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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

für das Frauenstimmrecht einstweilen darauf, dasselbe für diejenigen erwachsenen Mädchen und Wittwen zu beanspruchen, die mit eigenem Vermögen ausgestattet sind und die bestehenden Bedingungen des Wahlrechtes nach dieser Seite hin erfüllen. Man kann scherzend dagegen einwenden, daß dies einer Prämie für Altjungferschaft oder Nichtwiederverheirathung gleichkommt. Die Damen, welche den Stimmrechts-Vorschlag in dieser beschränkten Form aufstellten, haben allerdings, wie ich wohl weiß, ein weiteres Ziel im Auge. Sie bedienen sich nur einer politischen Kriegskunst. Sie wollen vorerst einmal Stellung nehmen: das Uebrige soll sich dann später finden. Daß es den Frauen nicht an taktischem Instinct fehlt, ist bekannt genug.

Die Frage vom politischen Stimmrechte der Frauen ist zu trennen von der Frage der Berufszweige, die zu erfassen ihnen möglich sein soll. Bei der Heftigkeit jedoch, mit welcher die meisten Männer sich gegen jede Aenderung in der Stellung des weiblichen Geschlechtes aussprechen, werden die beiden Fragen gewöhnlich durcheinander geworfen und in Bausch und Bogen, meist mit bloßem, nichtssagendem Spott, abgethan. So geschieht es wenigstens hier; und kommt das Gespräch einmal auf dies Thema, so stellen sich die Männer sofort mit flammendem Zungenschwert vor das „Paradies“, in welchem sie das andere Geschlecht gern für immer eingeschlossen haben möchten.

Bei dem Geräusch, welches die öffentliche Fürsprache zu Gunsten des Frauen-Stimmrechtes und das daran sich knüpfende Gespräch über Frauen-Emancipation in den Londoner Gesellschaftskreisen neuerdings gemacht hatte, mußte das öffentliche Erscheinen eines weiblichen Arztes, und noch dazu einer Amerikanerin aus dem Norden, die Neugier stark reizen. Dr. Marie Walker hatte eine Vorlesung in der großen St. James-Halle angekündigt, in welcher gewöhnlich musikalische Vorträge vor einer dichtgedrängten Zuhörerschaft gegeben werden. Sie wollte über die Befähigung der Frau zum ärztlichen Beruf und über ihre eigenen Erlebnisse während des welterschütternden Unionskrieges sprechen.

Die verschiedenen Schichten der Londoner Gesellschaft werden nicht leicht durch ein und dieselbe Strömung bewegt. Nur ausnahmsweise geschieht dies alle Jahre ein oder zwei Mal: nämlich beim Derby-Wettrennen oder beim Schifferstechen, das die Ruder-Clubs der Universitäten Oxford und Cambridge auf der Themse abhalten. Bei diesen Anlässen allein löst sich das Eis der englischen Frostigkeit. An dem Tage, wo die amerikanische Dame auftreten sollte, geschah ein ähnliches Wunder. Ueberall hörte man den Namen: „Dr. Mary Walker“, und Leute, die sich ganz fremd waren, fingen, der Londoner Gewohnheit zuwider, Gespräche miteinander über das bevorstehende Ereigniß an. Die Bemerkungen trugen freilich meist das Gepräge des Sarkasmus. Indessen war die Halle am Abend trotz der hohen Eintrittspreise (die ersten Plätze kosteten sieben, sechs und fünf Schilling) dicht gefüllt, so daß kaum mehr ein Sitz zur Verfügung stand. An Hörern schien es der Vorlesenden somit nicht fehlen zu sollen.

Die Engländer selbst besitzen bis jetzt nur eine einzige geprüfte Aerztin, Fräulein Garrett, die ihren Weg stark durchzukämpfen hatte. Uebrigens wurde sie blos zum sogenannten Apotheker-Examen zugelassen. Eine weitere Prüfung ihr zu gewähren, erklärte die edle äsculapische Zunft nicht berechtigt zu sein! Man stützte sich dabei, wie mir einer der Betheiligten lachend gestand, auf ein altes, verrottetes Statut, dessen Titel ich vergessen habe.

Fräulein Garrett, deren Schwester sich unlängst mit dem blinden Parlamentsmitglied für Brighton, Professor Fawcett, ehelich verband, habe ich in Gesellschaft getroffen. Ihr anspruchsloses, echt weibliches Wesen, das fern von aller blaustrümpfigen Eckigkeit ist, nichts Schrilles oder Männisches an sich hat, gewann ihr rasch die Sympathieen. Eine öffentliche Vorlesung zu halten, hat sie bis jetzt nicht gewagt, oder es nicht gewollt. Ein Wagestück wäre es in London allerdings gewesen; das sieht man jetzt an dem Ausgange des betreffenden Versuches der amerikanischen Dame.

„Ich glaube, unsere jungen Mediciner,“ sagte mir ein Freund, selbst Arzt, bei der Hinfahrt nach der St. James-Halle, „werden heute Abend großen Unfug machen!“ Ich hielt es für eine übertriebene Befürchtung und zuckte die Achseln ungläubig. In der Nähe der Halle, ein paar Minuten vor Beginn der Vorlesung, angekommen, hörte ich indessen bereits in den Gängen einen Heidenlärm aus dem Saale herausschallen. Ich trat ein und nahm Platz neben einem bekannten englischen Fürsprecher der Frauenrechte, auf dessen Zügen sich bereits Unruhe über den vermuthlichen Ausgang der Vorlesung malte.

Dr. Marie Walker trat auf die Rednerbühne in einer Art Bloomer-Anzug. Sie war mit einem oben geöffneten Rock bekleidet, aus welchem eine Weste und eine nach Männerart getragene Uhrkette heraussah. Hosen – von ihr „Pantaletten genannt – vollendeten den männlichen Anzug. Im gescheitelten Haar trug sie einen kleinen Kranz. Die Brust war mit einem von der amerikanischen Regierung ihr verliehenen Verdienstzeichen geschmückt. Bei ihrem Erscheinen, ehe sie noch ein Wort gesprochen, brachen die Unruhestifter – allerdings größtentheils Studenten der Medicin, die sich auf der obersten Galerie, im Himmelreich der Schillingplätze, geschaart hatten – in die scandalösesten Unziemlichkeiten aus.

Man sang – zum Hohn – das amerikanische Freiheitslied auf den Märtyrer der Sclaven-Emancipation, John Brown, –

„Deß Leichnam in der Erde modert,
Doch seine Seele zieht siegreich dahin!“

Dann stimmten die bübischen Gesellen den Gassenhauer: „Wir kreuzfidelen Hunde“ (Three jolly dogs are we) an. Dazwischendrein wurde gejohlt, gepfiffen und gegröhlzt. Man ahmte das Schmerzensgeschrei von Verwundeten nach, die operirt werden. Andere stellten sich seekrank. Erst nach längerer Zeit konnte sich die Rednerin Gehör verschaffen. Das zahlreiche feine Auditorium that kaum etwas, um dem Unfug zu steuern. Es bestand übrigens gewiß die Hälfte der Zuhörer, wenigstens auf den theueren Plätzen, aus Damen. Fast während des ganzen Abends dauerten die Unterbrechungen fort. Bald wurde gemiaut; bald erscholl ein wieherndes Gelächter, wenn die Vorleserin auf delicate Gegenstände überging; bald wurden ihr Anzüglichkeiten zugerufen, wie: „Liebchen!“ „Schätzchen!“ Manchmal mußte sie auf längere Zeit aussetzen. Zu verwundern war nur, daß sie bei solcher Behandlung überhaupt im Vortrage fortfuhr. Kurz, es war eine Scene, wie ich sie noch nie gesehen und nie wieder zu sehen hoffe.

Der Vortrag selbst wurde dadurch vielfach unverständlich, und es ist nicht möglich, ein ganz sicheres Urtheil über die Befähigung der Sprechenden darnach festzustellen, obwohl sie Alles aus einer auf einem Pulte vor ihr liegenden Handschrift ablas. Zu rhetorischen Bewegungen erhob sie sich kaum, auch nachdem eine Zeitlang, in Folge des energischen Auftretens einiger Herren, Stille geboten und erlangt war. Betonung und Geberde der Vortragenden ermangelten des Ausdruckes. Ausführlich behandelte Dr. Marie Walker ihren eigenen Lebenslauf als Studirende der Arzneikunde, sodann ihre Praxis während des amerikanischen Krieges. Auf die Kleiderfrage ging sie, wenn auch theilweise vom gesundheitlichen Standpunkte, mit einer Genauigkeit ein, die beständig Anlaß zu Sticheleien für die Lärmmacher gab. Ein Fehler war es, daß sie gerade bei Punkten, bei denen sie von vornherein auf die eingewurzeltsten Vorurtheile gefaßt sein mußte, humoristisch zu sein versuchte. Ein Fehler war es auch, daß sie eine ihr persönlich passirte Kußscene am Sterbebette eines tödtlich verwundeten Unionssoldaten mit allen Einzelheiten wiedergab und dabei unwillkürlich Ausdrücke gebrauchte, die sofort in England spaßhafte Gedankenverbindungen erwecken mußten. Das Miauen, das Turteltauben-Girren, das hänselnde Nachäffen der Stimme der Vortragenden wurde bei diesen Gelegenheiten jedes Mal am lautesten. Vom Parterre aus erhoben sich dann freilich Gegenrufe: „Hinaus mit den Unruhstiftern!“ – aber man merkte es dem Tone der Rufenden an, daß sie selbst nur scherzen und scandaliren wollten.

Bei der Schilderung des Kampfes der Republik gegen die Sclavenhalter-Liga verweilte Dr. Marie Walker in freiheitlich-patriotischer Darstellung. Die südstaatliche Gesinnung der Mehrheit der Zuhörer brach hier durch; Viele verließen geräuschvoll den Saal. Es war peinlich und empörend, sehen zu müssen, wie eine mit schwachem Stimmorgan begabte, zartgebaute Frau, die auf Schlachtfeldern ihre Aufopferungsfähigkeit bewiesen, sich gegen diesen zum Theil vornehmen Pöbel abkämpfte. Sie verlor indessen nie die Fassung. Ein oder zwei Mal suchte sie die Unterbrechenden durch eine Bemerkung zu beschämen. Im Uebrigen las sie ruhig aus ihrem Texte vor, der indessen, schon was äußere Anordnung betraf, nicht gut durchgearbeitet schien. Obwohl die Vorlesung ziemlich lang dauerte und bei dem Mangel an Stimmmodulation

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_310.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)