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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

trauen? – lachte mir das schönste, frischeste Obst entgegen, das ich je gesehen. Ich erkannte sogleich die einzelnen Sorten, ohne jedoch zu begreifen, wie sie bis zu dieser Jahreszeit erhalten werden konnten, als seien sie, noch mit dem Morgendufte, der auf ihnen thaute, heute erst gepflückt worden.

Lächelnd beobachtete der Freund meine staunende Ueberraschung. Dann reichte mir seine Gemahlin eine der Schalen, damit ich die seltenen Früchte nun auch versuchen möge.

„Nein!“ wies ich sie höflich zurück. „Es wäre Sünde, solche ausgezeichnete Exemplare mit dem Messer zu zerlegen. Ob aber dieser herrliche Grafensteiner auch noch duftet, wie er sonst mit seinem melonenartigen Geruch ein ganzes Zimmer parfümirt?“

Damit nahm ich den schönen Apfel, um daran zu riechen. Fast aber wäre er meiner Hand entfallen, so überrascht war ich von dem leichten Gewicht der großen Frucht. In demselben Momente merkte ich die Täuschung. Es war künstliches Obst, aber so meisterhaft nachgeahmt, und von einer so plastisch vollendeten Treue, daß ich mich nicht gewundert haben würde, wenn die Vögel, wie nach den von Zeuxis gemalten Weintrauben, nach diesen Früchten geflogen wären, um sie zu benaschen.

Bald löste sich meine stumme Bewunderung in laute Anerkennung auf. Ich kannte das ‚deutsche Obstcabinet‘ des berühmten thüringischen Pomologen Georg Dittrich, der das Unternehmen seines Landsmannes, des Pfarrer Sickler in Kleinfahner bei Gotha, mit rühmlichem Erfolge fortgesetzt hatte, indem er die anfangs in Wachs bossirten Früchte wegen der Zerbrechlichkeit dieses Materials später in Pappmasse nachbilden ließ. Ich wußte aber auch, daß dieses verdienstliche Unternehmen, welches nach Dittrich’s Tode († 1842) der Thüringer Gartenbauverein in Gotha noch eine Zeit lang fortgeführt hatte, schon seit Jahren eingeschlafen war, obgleich es der Charakteristik der deutschen Obstsorten wesentlichen Vorschub leistete. Seitdem behalf man sich, um irgend einen Ariadnefaden im Labyrinthe der deutschen Pomologie zu gewinnen, mit colorirten oder nicht colorirten Abbildungen der verschiedenen Früchte, die jedoch bei aller stereometrischen Treue die plastische Darstellung niemals ersetzen und dem vergleichenden Anschauungsvermögen nur unvollständig zu Hülfe kommen. Aber eine solche Portraitähnlichkeit der Natur, wie sie mir in jener Gartenlaube entgegentrat, als habe die Kunst der Photographie plastische Gestalten angenommen, hatte ich noch nicht gesehen und begriff sofort, wie eine Sammlung solcher Früchte nicht blos für den Pomologen, um sich in dem chaotischen Gewirre der so außerordentlich verschieden genannten Obstsorten zurechtzufinden, sondern auch für solche Lehranstalten, welche den Obstbau theoretisch und praktisch pflegen und fördern wollen, und somit für die wissenschaftliche, wie für die national-ökonomische Bedeutung der Obstcultur von unschätzbarem Werthe sei.

Als mein Freund sich eine Zeit lang an meinem freudigen Erstaunen geweidet hatte, drückte er die Hand seiner Frau und sagte: „Sind nicht diese wohlconservirten Früchte ein Kunststück der Wirthschaftlichkeit, womit meine gute Pomona mich am letzten Weihnachtsfeste überrascht? – Aber Scherz bei Seite! Sollten Sie das Arnoldi’sche Obstcabinet noch nicht kennen?“

Freilich hatte ich schon oft davon gehört und gelesen. Vielleicht hatte ich es auch auf irgend einer Obstausstellung flüchtig gesehen. Die Ueberfülle der natürlichen Früchte aber mochte mich verhindert haben, den künstlichen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie in so reichem Maße verdienen. Und doch hat die naturgetreue Nachbildung der edelsten Obstsorten, wie sie der Commercienrath Heinrich Arnoldi in Gotha seit dem Jahre 1856 liefert, überall im In- und Auslande reichliche Anerkennung und Belobung geerntet, und ist zu einem echt nationalen Kunstwerk gediehen, welches die deutsche Pomologie mit Stolz und Freude begrüßen darf. Dennoch ist es noch nicht so verbreitet, wie es seiner Schönheit und seiner Brauchbarkeit wegen verdient, wenn auch sein Absatz sich bis nach England, Rußland, Amerika und Australien erstreckt. In seinem Heimathslande selbst jedoch mag es zwar beachtet und gepriesen, aber doch nur spärlich gekauft worden sein, – sonst würde ich es doch häufiger gesehen haben – so daß schon die Beharrlichkeit, womit der Fabrikant im eifrigen Interesse der Sache das eben so schwierige, als kostspielige Unternehmen fortsetzt, einer ganz besonderen Anerkennung werth ist. Was aber mag der raschen allseitigen Verbreitung entgegenstehen?

Wir konnten uns nicht verhehlen, daß es vornehmlich der Geldpunkt sein dürfte, der sich mit der Kauflust nicht immer in harmonischen Einklang bringen läßt. Jährlich erscheinen drei bis vier Lieferungen des Arnoldi’schen Obstcabinets. Jede Lieferung enthält sechs verschiedene Früchte mit gedruckter Beschreibung, und kostet dermalen zwei Thaler. Bereits sind siebenundzwanzig Lieferungen mit einhundertundzweiundsechszig Obstfrüchten ausgegeben. Wer die Ausgabe dafür nicht scheut, besitzt aber auch eine Sammlung, die eben so viel Nutzen als Vergnügen gewährt. Auch jede einzelne Frucht ist für fünf bis zehn Neugroschen zu haben, und Arnoldi hat sogar dafür gesorgt, daß gerade diejenigen Obstsorten, welche bei den pomologischen Versammlungen zu Naumburg, Gotha, Berlin und Görlitz als die besten und culturwürdigsten empfohlen wurden, in besonderen Collectionen zu beziehen sind.

„Giebt es wohl“ – so mischte sich die Hausfrau in unser Gespräch – „giebt es wohl einen lieblicheren Zimmerschmuck, als diese lachenden Früchte, die uns den Obstgarten gleichsam in die Stube zaubern? In eleganten Glaskästen vereinigt, oder in Etagèren und auf Nipptischen geschmackvoll geordnet, werden sie unausbleiblich alle Blicke nicht nur anlocken, sondern auch fesseln. Wird doch für manche nichtssagende Nippfigur ein hoher Preis gezahlt, warum nicht für ein Kunstwerk, das uns die Natur in ihrer Fruchtbarkeit vergegenwärtigt?“

„Und“ – fiel ihr der Gatte in’s Wort – „sie sind ein Ehrendenkmal deutscher Industrie. In keinem anderen Land der Erde hat das Arnoldi’sche Obstcabinet seines Gleichen. Jene Früchte aber (Aepfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Pfirsiche, Nüsse), die, ohne Namen und Beschreibung, sowie ohne Rücksichtnahme auf bestimmte Sorten, weniger zur pomologischen Instruction, als zur Decoration der Zimmer und der Tafeln dienen, werden dutzendweise zwei Thaler) verkauft, und empfehlen sich als sinnige Geschenke; wiewohl ich meiner Hausehre zu absonderlichem Danke verpflichtet bin, daß sie mich nicht mit einer solchen Collection abgespeist, wie annehmbar und schön dieselbe sein mag, sondern mit einem vollständigen ‚Cabinet‘ erfreut und beglückt hat.“ Ueber den Werth einer solchen systematisch geordneten Sammlung waren wir einverstanden. Oder wozu legen denn Mineralogen, Botaniker und Entomologen, ohne irgend welche Kosten zu scheuen, naturhistorische Sammlungen an?

Ist nun nicht vor Allem das Obst in seiner reichen Mannigfaltigkeit und Schönheit, sowie in Anbetracht seines Wohlgeschmacks und seiner wirthschaftlichen Verwerthung, einer solchen Beachtung werth? Das Obst aber läßt sich nicht trocknen, wie die Pflanzen, und noch weniger ausstopfen, wie man Thierbälge ausstopft. Hier können blos malerische oder plastische Darstellungen[1] aushelfen. Allein nur die letzteren repräsentiren ein treues Bild der Natur und ersetzen die lebendige Frucht, ohne jemals zu faulen oder einzutrocknen. Dadurch werden sie zu einem wesentlichen Vehikel der Pomologie, die als Wissenschaft ohnedies noch in den Windeln liegt, wie sehr auch einzelne Matadore derselben sich der Pflege des zarten Kindleins angenommen haben. Und doch ist der Obstbau ein nicht zu unterschätzender Factor des Nationalreichthums. Manche Gemeindecasse würde die Einnahmen, die ihr aus den Obstpflanzungen zufließen, kaum entbehren können. Trotzdem liegt die Obstbaumzucht in vielen Gegenden noch so im Argen, daß man es kaum begreift, wie das Volk diese Quelle des Genusses und des Wohlstandes in träger Indolenz versumpfen läßt. Wundert man sich darüber, so heißt es gewöhnlich: Ja, das Obst gedeiht in unserer Gegend nicht. Und warum gedeiht es nicht? Weil man schlechte oder ungeeignete Sorten anpflanzt und die nothdürftigste Pflege versäumt. Dem ersteren Uebelstande will das Arnoldi’sche Obstcabinet abhelfen, indem es sich zu einem sicheren Wegweiser in dem Chaos der pomologischen Nomenclatur erbietet und die zuverlässige Kenntniß der besten Obstsorten vermittelt. Dadurch gewinnt dasselbe einen wissenschaftlichen und einen praktischen Werth von hoher Bedeutung, so daß nicht blos die eigentlichen Pomologen, nicht blos die Obstbaumzüchter und die Obsthändler, sondern auch und vornehmlich alle Lehr- und Lernanstalten, die mit dem Obstbau sich beschäftigen, namentlich die Lehrerseminare und die Ackerbauschulen, ja wohl auch die Volksschulen, worin


  1. Wir dürfen hier wohl an ein ähnliches Unternehmen auf dem Felde der „Schwammkunde“ erinnern, an die von Professor Büchner in Hildburghausen begründete plastische Sammlung aller eßbaren und giftigen Schwämme Deutschlands.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_280.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)