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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ja,“ versetzte sie, ihm von neuem die Hand bietend.

„Gut; also vorwärts,“ sagte er, dem Kutscher zuwinkend. „Mein Begleiter, – es ist ein Holzwärter – kann das Revier unter Augen behalten. Er ist sicher. Sind Sie es Ihrer Begleiter auch, Fräulein?“ Sein Auge wandte sich auf den folgenden Wagen zurück.

„Ja,“ entgegnete sie, einfach wie vorhin, und setzte dann in hartem Tone hinzu: „meine Verwandten dort hinten, die müssen sich fügen. Oder sie gehen.“ –

Der Zug ging weiter durch das Gebirg’ und den Wald, der nun, da sie in die Thäler hinabgelangten, sie immer dichter und höher umfing. Der ortskundige Begleiter war zur rechten Zeit gekommen, Jonas hätte sich hier niemals mehr zurecht gefunden. Nur einmal blickte[WS 1] in der Ferne, durch die alten Stämme ein Licht: „Es ist die Försterei,“ sagte Franz, der neben Esperancens Wagen ging, „und zur Noth könnten Sie auch dort bleiben. Der Förster Heiter ist ein lustiger, aber treuer Mann.“

„Ich muß nach Dernot, das ist mein und da ist mein Platz,“ versetzte das Mädchen stets mit der gleichen Entschlossenheit und Ruhe. Sie sprach sonst nicht mehr auf dem Wege.

Das Dorf, das übrigens völlig still und fast schon ganz dunkel dalag, umfuhren sie und gelangten den Schloßhügel hinauf vor das verschlossene Thor. Meister Tobias, da er endlich erschien und erfuhr, wer ihn noch so spät heimsuche, bekam einen von seinen Schreckensanfällen, der jedoch diesmal glücklicherweise schneller vorüberging denn vordem – als er die junge Herrin an der Spitze seiner Gäste sah, und noch mehr, als er den gestrengen Gebieter in einem Zustande fand, welcher denselben als durchaus ungefährlich erscheinen ließ, zeigte er sich sehr beruhigt und entwickelte eine Art von Theilnahme, Rührigkeit und sogar Gewandtheit, die selbst in Esperancens ernsten Zügen mehr als einmal ein leises Lächeln hervorzurufen vermochte und Herrn von Heimlingen zum wirklichen Lachen brachte, obgleich ihm dasselbe den strafendsten Blick von Eugenien eintrug. Daß Katharine sich auch jetzt als die Alte erwies: voll schicklicher Herzlichkeit und Theilnahme, voll Geistesgegenwart und stiller, wohlthuender, alles bedenkender und alle befriedigender Thätigkeit, dessen brauchen wir wohl kaum zu erwähnen.

„Da sind wir wieder, Mutter,“ sagte Esperance, als sie vor allen Dingen den Baron in’s Haus und hinauf geschafft und es dem armen Leidenden mit der Hülfe des alten Kammerdieners so bequem gemacht hatte, wie möglich. „Ihr seht wohl, die alten von der Not sind noch nicht ausgestorben – oder vielmehr,“ unterbrach sie sich mit beinah finsterem Lächeln, „sie leben wieder auf.“

„Fräulein,“ erwiderte die Matrone, und ihr Aug’ umfaßte das Mädchen mit seinem tiefsten und liebevollsten Blick, „darin sind wir Menschen alle ihre Kinder, und Sie – das ist richtig, – Sie sind das echteste von allen, die rechte Herrin von Dernot. Aber ich sah es damals: der Herrgott hat Ihnen die hellen Augen gegeben und das fröhliche und doch feste Herz – die Euphemia hatte das nicht! – und damit werden Sie’s gewinnen.“

„Mutter, fröhlich ist mein Herz nicht mehr,“ sagte das Mädchen ernst.

„Aber fest und unverzagt, Fräulein,“ versetzte Katharine ruhig, „und ein solches findet auch seine Fröhlichkeit immer einmal wieder.“

„Esperance ging von hier in den kleinen „Salon“ hinüber, wie sie im Herbst das als Wohnzimmer benützte Gemach geheißen hatten und das sich auch jetzt wieder als das wohnlichste in dem alten Hause erwies, freundlich erhellt und von dem flammenden Holzstoß im Kamin schon leise durchwärmt, so daß die drei Menschen, welche sie darin traf, alle Veranlassung hatten, freundlichere Gesichter zu zeigen als während der mehr als vierundzwanzigstündigen, angreifenden, gefahrvollen Reise. Heimlingen kam dem Mädchen mit großer Artigkeit entgegen und rückte einen Stuhl für sie in die Nähe des Feuers. „Sie müssen sich nothwendig Ruhe gönnen, Cousine,“ sagte er in einem Tone, der Esperance durch seine Herzlichkeit überraschte. „Sie dürfen sich nicht aufreiben – es scheint hier ja wirklich ruhig und sicher zu sein für unseren armen Kranken. Wie steht’s mit dem Onkel?“

„Er scheint die Fahrt glücklich überstanden zu haben,“ erwiderte sie; „ich finde keinerlei Veränderung – er ist wie unterwegs völlig theilnahmslos und kennt, glaub’ ich, niemand. Jetzt freilich,“ sprach sie, flüchtig die Brauen zusammenziehend, weiter, „darf es nicht so fort gehen, er muß ernstliche Hülfe haben. Wir wollen das sogleich in Ordnung bringen.“ Sie verließ das Gemach und kehrte nach einer Weile mit Burgsheim zurück. Und nachdem sie den jungen Mann der Tante und Heimlingen kurz vorgestellt, sagte sie: „Sie machten die Sicherheit unseres Aufenthalts von der strengsten Bewahrung des Geheimnisses abhängig, mein Freund. Vorhin schwieg ich – nun muß ich jedoch eine Ausnahme für den Arzt verlangen, dessen mein Vater unbedingt bedarf. Doctor Hallberg erschien mir im Herbst als ein Mann von Kopf und Herz, bei dem wir keine Gefahr laufen werden. Sie kennen ihn näher, dächte ich. Sie – setzen Sie Ihren Beistand von heut Abend damit fort! – müssen ihn herschaffen.“

Burgsheim schüttelte mit sorgenvollem Ausdruck den Kopf. „Und gerade in jenem Nest ist die Aufregung so toll wie möglich,“ bemerkte er. „Wenn sie dort erfahren oder nur ahnen, daß Seine Excellenz hier weilt, so haben wir sie auf dem Halse.“

„Das ist die Sicherheit von Dernot, wo sie den Minister nicht kennen!“ sagte Eugenie mit herbem Spott.

Die Antwort, welche auf Esperancens Lippen schwebte, wurde zu des Mädchens verwunderter Ueberraschung durch Heimlingen abgeschnitten. Nach einem – man hätte sagen mögen, gleichgültigen Blick auf seine Braut sprach er in leichtem Ton: „Aber weshalb sollten sie erfahren und ahnen? Wer von der schweren Krankheit des Ministers nichts erfuhr, wird ihn bestimmt nicht mehr im Lande glauben, und daß seine Familie sich hierher auf ihr altes Besitzthum geflüchtet, kann nicht auffallen, so wild wie es überall, besonders in größeren Städten, zugeht. Den Minister allein auf einige Zeit, bis sein Zustand sich entschieden und wieder mehr Ruhe über die Menschen gekommen, in diesem alten Nest zu verbergen und ihm den Neugierigen gegenüber einen andern Patienten zu substituiren, sollte, wenn der Arzt sicher ist, doch nicht schwer sein, dächte ich.“

In Esperancens Augen blitzte etwas auf wie eine wehmüthige Freude. „Cousin, so dachte auch ich in der Eile,“ sagte sie und fügte lächelnd hinzu: „ich will gern diese Patientin sein.“

„Sie? Behüte Gott, Cousine! Sie müssen gesunder sein als alle übrigen,“ erwiderte der Kammerjunker scherzend. „Jeder von uns anderen wird die Rolle gern übernehmen. Schaffen Sie uns den Arzt, Herr Burgsheim.“

„Sie scheinen zu vergessen, mein Freund, daß wir nur gezwungen hierher kamen,“ bemerkte Eugenie mit leicht gerötheten Wangen, aber in eiskaltem Ton. „Wir werden hoffentlich Mittel finden –“

„Aber sie nicht benützen, wenn sie dazu dienen sollen, den Oheim zu verlassen, dem wir so viel verdanken,“ unterbrach Heimlingen sie mit dem ruhigsten Ausdruck, der trotzdem jede Einwendung auszuschließen schien. „Ich bekenne demüthig,“ schloß er dann lächelnd, „daß ich in der Aufregung oder Abspannung der langen Fahrt vorhin selber mich ungeduldig zu Fluchtgedanken hinreißen ließ. Allein ich büße jetzt ab. Sie haben mich beschämt, Tante Kunigunde, und Sie, Cousine, bewundere ich. – Den Arzt, Herr Burgsheim. Ich will, wenn’s nöthig, selber der Kranke sein.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein deutscher Handwerksmann.


An einem sonnigen Märztage des Jahres 1516 ging ein einsamer Wanderer mit eilenden Schritten auf der viel befahrenen Heerstraße, die durch den großen Reichsforst führte, der bis fast an die Thore der alten freien Reichsstadt Nürnberg sich erstreckte. „Des Reiches Bienengarten“ hieß man den Forst – und in der That! schon gaukelte da und dort eine Biene vor dem Wanderer her, gerade so arbeitsam und auf Erwerb bedacht wie die fleißigen Bürger von Nürnberg, die auch durch alle Zonen ruhelos schwärmten, um das Köstlichste, was sie fanden, zusammen zu tragen, es dann zum Schmuck der Heimath aufzuhäufen und mit Stolz zu genießen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bickte
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_276.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)