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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gebieter in der schicklichsten Weise begrüßt hatte, erschrak, da sie droben die Begegnung des Vaters mit der, wie sie wußte, vergötterten Tochter mit ansehen mußte. Esperance flog dem Baron im vollen Glanz ihres Liebreizes und ihrer Heiterkeit schon an der Treppe entgegen. „Papa, ist’s möglich, Du bist’s?“ rief sie ihm zu. „Also solcher Mittel bedarf’s, um Dich nach Dernot zu bringen? Wie hast Du uns nur entdeckt?“

Die Stirn Treuenstein’s entrunzelte sich indessen nicht, im Gegentheil, ihre Falten wurden fast noch tiefer und der Ausdruck des Gesichts strenger, da er, sie von sich schiebend, kalt erwiderte: „Schon recht, mein Kind, wir werden ernst mit einander zu reden haben. Jetzt laßt uns frühstücken, Frau – nachher, wo habt Ihr den Kammerherrn untergebracht?“

„Papa, um Gotteswillen, welche übernächtige Laune!“ rief Esperance scherzend und ohne daß ein Zug in ihrem schönen Gesicht verrathen hätte, was bei diesem ungewohnten Empfang sich in ihrem Innern regen mochte. „Du wirst die erschöpfte Seele doch nicht wecken wollen? – Die Herrin von Dernot wird sich hoch geehrt fühlen, ihre Gäste inzwischen –“

„Einstweilen, mein Kind, lebe ich noch und bin selbst hier der Herr,“ unterbrach der Baron sie mit kaltem, trocknem Ton und schritt vor gegen den ihm von Frau Katharine geöffneten großen Saal.

Und da versetzte Esperance, die sich an seiner Seite hielt, mit dem ganzen Trotz des verzogenen Kindes: „Also Krieg, Papa? Du hast, so viel ich weiß, selbst bestimmt, daß ich mit achtzehn Jahren meine Herrschaft antreten sollte, und Serenissimus hat’s bestätigt. Du weißt wohl, daß ich mir mein Recht nicht verkümmern lasse.“

Der Baron machte eine ungeduldige Bewegung. „Kommen Sie, Justizrath, lassen wir die Thörin und machen es uns bequem,“ sagte er. Und sich zu der Tochter halb zurückwendend, fügte er kurz hinzu: „Packe, wenn es noch nicht geschah. Heut Mittag reist ihr.“ –

Aus Esperance’s Augen fiel ein langer, dunkler Blick auf den zürnenden Vater, doch erwiderte sie nichts, sondern sprach nur, sich zu Frau Katharine kehrend, gleichfalls kalt: „Sorgt also für die Bedürfnisse der Herren – wir frühstücken in unserem Zimmer, Mutter!“ – und verließ in einer fast stolzen Haltung das Gemach.

Der Justizrath flüsterte dem Baron einige, wie es schien, beschwichtigende Worte zu, der Herr hatte jedoch auch diese mit einer ungestümen Handbewegung zurückgewiesen. Beide waren dann allein geblieben, hatten gefrühstückt; ein Bote war an den Müller Augustin Besseling abgegangen mit der Weisung, vor Seiner Excellenz, dem Herrn Staatsminister, im Schlosse alsbald zu erscheinen, und darauf hatte der Baron sich trotz der frühen Stunde zum Kammerherrn verfügt und war nach einiger Zeit mit ihm in den Saal zurückgekehrt. Dort weilten sie, zu denen als Vierter auch noch der Verwalter der Herrschaft Dernot aus seiner Wohnung im Dorf herauf geholt worden, in Gott mochte wissen welchen Verhandlungen.

Die beiden jungen Verwandten hatte der Baron noch nicht sehen wollen – er habe noch keine Zeit dazu, hieß es – und war auch mit Esperance nicht wieder zusammengetroffen. Diese Letztere hatte freilich eine solche Begegnung nicht gesucht. Sie hatte sich zu ihrem Bruder begeben und war seither dort geblieben.

„Ich glaube, die Gespenster, über die wir neulich gelacht und mit denen wir die arme Selinde geneckt haben, rächen sich an uns: heut geht’s am hellen Tage in Dernot um,“ sagte Joseph zu seiner Schwester, zu der er nach einem Gange durch das todtenstille Haus zurückkehrte. Und er hatte nicht Unrecht, die Stunden waren unheimlich, und wo man einen Menschen sah, erblickte man ihn mit sorgenvoller oder ängstlicher Miene. Was zwischen Vater und Tochter vorgefallen war, davon flüsterte man selbst in der Küche einander mit Bestürzung zu, und es gab vermuthlich nicht einen Menschen im Schloß, der in der plötzlichen Ankunft des Gebieters und in seinem ganzen Auftreten nicht mehr gesehen hätte, als den Zorn über den eigenmächtigen Ausflug der jungen Leute.

Und Joseph brachte von seinem Gange noch eine andere Nachricht mit, welche dem eben mitgetheilten Einfall von neuem gewissermaßen entsprach: er hatte von Frau Katharine die Antwort erfahren, welche der Müller hatte sagen lassen. Seine Excellenz habe ihm, Augustin, ebenso wenig zu befehlen, wie überhaupt in und über Dernot, sollte sie etwa gelautet haben, und wenn er heut auf’s Schloß komme, so geschehe das nicht auf Befehl, sondern aus eigenem, vollem Recht und weil er grade im Schloß von Dernot dem Baron von Treuenstein sagen müsse, was er zu sagen habe.

„Junger Herr,“ hatte Frau Katharine, da sie Joseph diese bestürzenden Worte mitgetheilt, mit einem mehr finstern als schwermüthigen Ausdruck hinzugefügt, „es sieht bös aus in Dernot. Dem Herrn Leopold ist der Vater feind, und gegen seine Tochter voll Zorn. Und doch sollte Jemand da sein, der Seiner Gnaden zuredete und ihm sagte, wie es hier steht. Ich habe über die alten Zeiten nicht zu reden, ob und wie viel Unrecht damals geschah und ob’s auch den Augustin so getroffen, wie er’s glauben soll. Aber daß man’s versucht hat, vordem und hernach, ihn und die Mühle und was dazu gehört, wieder zur Herrschaft zu bringen, das ist ein Unrecht; denn die Besseling sitzen schon seit den Tagen der letzten Herren von der Not frei auf ihrem Eigenthum und haben nur den Fürsten über sich; und daß sie – es giebt drüben, Deuffingen zu, und im Gebirg noch ein paar andere solche Höfe, gegen die man es ebenso versucht – daß sie das sich nicht nehmen lassen wollen, wer will sie darum schelten?“

„Aber Frau Katharine, das muß ein Irrthum sein,“ hatte Joseph eingewandt, „es giebt ja bei uns längst keine Hörigen und Leibeigenen mehr!“ – Doch die Matrone hatte unverändert entgegnet: „Die Leute will man auch nicht, denk’ ich, sondern nur ihren Besitz, der vordem nicht mit Recht von Dernot abgekommen wäre. Darum geht der Streit und es ist viel böses Blut hier in der Gegend. Seine Gnaden hätten’s ausgleichen sollen, und daß Sie uns so lange aus den eigenen Augen und der eigenen Hand gelassen, das war nun gar nicht recht. Da hat man hier gute Zeit gehabt zu schwatzen, zu lügen und zu hetzen – wer weiß hier was vom Herrn Baron? – und wenn heut der Herr hier spricht und der Augustin, da hören sie auf diesen.“ –

„Komm, laß uns Selinden helfen, daß wir reisen können,“ sagte Eugenie zu ihrer Cousine, welche seit einigen Augenblicken bei den Geschwistern erschienen war und Joseph’s Bericht mit angehört hatte. „Was wollen wir hier in diesem traurigen Lande, bei diesen brutalen Menschen? Danke Deinem Vater, daß er uns daraus erlöst!“

Esperance schüttelte den Kopf. Es war etwas Finsteres in dem schönen Gesicht, und ihre Stimme klang hart, da sie erwiderte: „Das ist für euch beide richtig, aber für mich nicht. Reiset immerhin – ich bleibe. Ich will erst ins Reine kommen.“

„Wenn ich nur wüßte, was mit Dir ist,“ sprach Eugenie auch ihrerseits herb. „Was Dich hergebracht – nun, es war ein dummer Einfall, aber es war eben ein Einfall, und er hat uns ein paar lustige Stunden geschafft. Allein, was Dich, was uns hier eigentlich hält, bei der morösen alten Frau und in dem ruinenhaften, dunklen Nest –“

„Für Dich genügt der, wie er auch für mich genügen würde, wenn mir leider nicht auch noch Anderes auferlegt wäre,“ sagte Esperance mit noch auffälligerer Schroffheit und deutete dabei flüchtig auf den Bruder, der mit ihr eingetreten, am Fenster stand und in den stillen, von einem leichten Nebelduft erfüllten Hof hinabsah. „Daß wir den gefunden,“ fügte sie weicher hinzu, „sollte selbst in Deinen und Joseph’s Augen unsere Dummheit in Klugheit verwandeln. Aber wie ich sage –“ und der Ton wechselte schon wieder – „es ist nicht meine Schuld, daß ich hier acht Tage lang umsonst grüble, forsche und horche, während es, wie es scheint, nur einer einzigen offenen Stunde und eines kurzen, herzlichen Vertrauens bedurft hätte, um mich über alles aufzuklären. Respect verlange ich nicht, aber Vertrauen!“

Was war aus dem übermüthigen und wilden, unbedächtigen und fröhlichen jungen Mädchen in den wenigen Tagen für ein ernstes, ja finsteres und, wie es schien, willenskräftiges, überlegendes Weib geworden – Eugenie und Joseph meinten: in wenigen Stunden! Denn sie nicht minder als Leopold und vielleicht sogar Frau Katharine waren durch Esperancens Wesen in den letztvergangenen Tagen völlig getäuscht worden und schrieben, was sie in der ersten Zeit ihres Aufenthalts an ihr erlebt hatten, nur den neuen Eindrücken, dem trüben Wetter und dem öden alten Hause zu. Erst was sie von ihrer Begegnung mit dem Vater vernommen und wohl für etwas Anderes gelten lassen mußten, als für den Eigensinn des verzogenen Kindes, und das,

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