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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Griff, daß die Illustrationen des Kladderadatsch dem liebenswürdigen, geistvollen Künstler übertragen wurden.

Später trat noch Rudolph Löwenstein hinzu, gleichfalls ein Mitglied des Rütli und angehender Philologe, der, ein ausgezeichneter Lyriker, reizende Kinderlieder sang, nebenbei sich mit der Kunst der „Mnemotechnik“ beschäftigte und eine demokratische „Bürger- und Bauern-Zeitung“ redigirte. Vorläufig jedoch blieb Kalisch die Seele des Ganzen, der fast allein den ganzen ersten Jahrgang schrieb und eine wahrhaft staunenswerthe Thätigkeit entwickelte. Bald erregten einzelne Artikel eine große Sensation und übten einen wachsenden Einfluß auf die öffentliche Meinung aus. König Friedrich Wilhelm der Vierte wurde mit der Zeit ein eifriger Leser des Kladderadatsch und, selbst witzig, fühlte er trotzalledem eine gewisse Neigung für den verwandten Geist. Auch die damaligen Parteiführer erkannten die neue Macht, und der gefürchtete Agitator Held wurde hauptsächlich durch die kühnen Angriffe des genannten Blattes von seiner Höhe gestürzt. Dagegen huldigte Kladderadatsch der wahren Größe und dem Mannesmuth eines Johann Jacoby und anderer wahrhaft großer Charaktere.

Indeß wurde der politische Horizont immer finsterer, immer schwärzer und drohender zogen sich die Wolken der hereinbrechenden Reaction über Berlin zusammen. Im November wurde die Nationalversammlung aufgelöst und der Belagerungszustand über die Residenz verhängt. Vor Allem wurde die kaum befreite Presse von Neuem gefesselt und verfolgt. Auf der Proscriptionsliste der verbotenen Journale befand sich natürlich auch der Kladderadatsch, dieser Dorn im Auge der Reaction, der unermüdliche Spottvogel und Geißelschwinger des Philisterthums. Es blieb ihm nichts übrig, als auszuwandern; er ging zunächst nach Leipzig und fand daselbst ein freundliches und sicheres Asyl bei Ernst Keil. Die Nummer 29 erschien im Verlage dieser Firma. Hofmann und die übrigen Mitarbeiter hielten es ebenfalls für gerathen, Berlin zu verlassen und sich dem Arm der Rache zu entziehen. Löwenstein eilte nach Dessau, wo er unter dem liberalen Minister Habicht sich gemüthlicher und sicherer fühlte als unter Wrangel’s Militärregimente. Hofmann hielt sich in Leipzig auf und nur Scholz und Kalisch blieben in Berlin, wie Daniel in der Löwengrube der siegreichen Reaction.

Noch lebte Kladderadatsch, wenn auch unter tausend Aengsten und Nöthen. Das zum Druck bestimmte Manuscript mußte unter fingirter Adresse von Berlin nach Leipzig geschickt werden, da man von Angebern und Spionen umgeben war. Selbst diese Vorsicht genügte nicht und öfters wurde ein zuverlässiger Bote mit dieser wichtigen Mission betraut, so daß der Druck mit den größten Umständen und Hindernissen zu kämpfen hatte. Trotzdem verlor Kladderadatsch weder den Muth, noch seinen Humor, wenn er auch manchen Abonnenten einbüßte, manchen Freund abfallen sah. Unter dem Dache seines freundlichen Beschützers lachte er über alle seine Feinde, spottete er aller Verfolgungen, bis für ihn die Stunde der Erlösung schlug. Eine Deputation von Buchdruckern, Setzern und Affiliirten des Blattes hatte sich an den General Wrangel, den Befehlshaber der Marken, mit einer Vorstellung gewendet, worin sie den Nachtheil eines solchen Verbotes für ihren Erwerb mit so guten Gründen nachzuweisen wußten, daß Kladderadatsch wieder in Berlin erscheinen durfte. Mit der Caution in der Tasche kehrte Hofmann von Leipzig zurück.

„Selbst Wrangel fühlte ein Erbarmen
Und hat den Kladderadatsch erlaubt.“

Damit war jedoch die Gefahr keineswegs beseitigt und mit Recht erschien der bekannte Kopf des Kladderadatsch rings von bewaffneten Soldaten bedroht, im eigentlichen Sinne unter dem Belagerungszustand. Bald sah sich die Redaction gezwungen, noch einmal und zwar nach dem nahen Neustadt-Eberswalde auszuwandern. Jetzt trat Rudolph Löwenstein an die Spitze und lenkte muthig als geschickter Steuermann das bedrohte Schifflein, welches Kladderadatsch und sein Glück trug, durch die empörten Wogen und Klippen der Reaction. Als nach einiger Zeit das Blatt aus dem Exil zurückkehrte, stellte sich immer mehr die Nothwendigkeit heraus ihm einen neuen Redacteur zu geben, der in der Person des Schriftstellers Ernst Dohm höchst glücklich gefunden wurde. Derselbe hatte in Halle unter Tholuck und Wegscheider Theologie studirt, als Candidat bereits mit Erfolg die Kanzel bestiegen und später eine Hauslehrerstelle bei einer angesehenen Familie in der Nähe von Berlin bekleidet. Sein Talent und Liebe zur Unabhängigkeit führten ihn von der theologischen Laufbahn allmählich der Literatur zu und statt den Bauern zu predigen, schrieb er für die – ganze Welt. Jahrelang experimentirte er jedoch, ehe er den geeigneten Wirkungskreis fand; er errichtete ein Pensionat, quälte sich mit Privatstunden, arbeitete für das „Magazin für die Literatur des Auslandes“, für den „Gesellschafter“ von Gubitz, erwarb damit wenig Geld, aber manche Kenntnisse, besonders der neueren Sprachen und einen Schatz von literarischer Bildung, verbunden mit einem sichern kritischen Tact.

Mit ihm und durch ihn kam ein neues Element in das Leben des Kladderadatsch, ein höherer Aufschwung, ein ideelleres Streben, eine universellere Richtung. Der specifischere Berliner Witz wurde durch die reinere Form und den tieferen Gehalt über sich selbst emporgehoben, durch den Zusatz antiker Cultur gleichsam geadelt. Der Humor feierte gewissermaßen seine Wiedergeburt, die Vermählung der modernen Pointe mit der classischen Kunst, des Couplets mit der Parabase, des höheren Blödsinns mit der antiken Komödie, des Kladderadatsch mit Aristophanes. Aus einem bloßen Localblatt wurde jetzt ein Weltblatt, aus einem Organe von und für Bummler ein Organ von und für höhere Geister.

Demgemäß mußte auch die Stellung des Blattes immer einflußreicher, seine Bedeutung immer größer, die Theilnahme des Publicums immer lebendiger werden. Dichter wie Dingelstedt, Prutz und Herwegh verschmähten es nicht, von Zeit zu Zeit, wenn auch nur anonym, Beiträge zu geben, und manches „Eingesandt“, besonders aus Potsdam, floß aus hoher Quelle. Trotzdem ließen es die Gegner nicht an neuen Chicanen und Verfolgungen fehlen. Diensteifrige Bureaukraten wie einzelne Postbeamte legten der Verbreitung jedes ihnen zu Gebote stehende Hinderniß in den Weg, und es bedurfte der ganzen Umsicht, Thätigkeit, Energie und Gewandtheit des Buchhändlers Hofmann, um die verschiedenen Machinationen zu beseitigen, die beabsichtigten, bald offenen, bald geheimen Schläge zu pariren. Unter den vielen Buchhändlern Deutschlands ist der selbst witzige Hofmann einer der wenigen, die einer solchen Aufgabe gewachsen waren.

Noch einmal drohte ein heftiger Sturm dem Bestehen des Blattes, als der Kaiser von Rußland im Jahre 1852 Berlin besuchte. Es galt dem allmächtigen Czaren eine bessere Meinung von der revolutionären Bevölkerung beizubringen und ihm einen schmeichelhaften Empfang zu bereiten. Der Polizeipräsident von Hinckeldey ließ zu diesem Behufe alle verdächtigen Elemente ausweisen und sorgte auf dem Bahnhof für eine im Voraus angeordnete Ovation. Die Vossische Zeitung brachte ein von Rellstab verfaßtes Huldigungsgedicht, die übrigen Blätter stimmten mit ein oder schwiegen, der Kladderadatsch war so kühn, mit dem Autokraten anzubinden, vor dem damals noch ganz Europa zitterte. Einige Witze über die gemachte Begeisterung, über die gebotene Verfälschung der öffentlichen Meinung genügten für Hinckeldey, um ein furchtbares Strafgericht zu üben. Löwenstein und Kalisch wurden ohne Erbarmen ausgewiesen und Letzterer nur durch die Hülfe eines edlen Unbekannten vor der beabsichtigten Haussuchung und möglichen Verhaftung behütet. Plötzlich um Mitternacht geweckt, sah er einen jungen Mann, den Sohn eines seitdem verstorbenen Polizeibeamten, vor seinem Bette stehen. Derselbe theilte ihm mit, daß sein Vater soeben den Auftrag erhalten habe, eine Haussuchung bei Kalisch vorzunehmen. Dieser benutzte die freundliche Warnung, entfernte alle compromittirenden Papiere und brachte seine Person in Sicherheit. Nur Dohm, der das Berliner Bürgerrecht besaß, trotzte dem Zorne Hinckeldey’s und blieb auf seinem Posten.

Die armen Ausgewiesenen kehrten zwar nach einiger Zeit wieder heimlich nach Berlin zurück und wurden von den nachsichtigen Behörden stillschweigend geduldet, aber über ihrem Haupte schwebte fortwährend das Damoklesschwert der polizeilichen Willkür. Ein neuer Witz, irgend eine Anspielung vertrieb sie wieder, so daß Monate lang ihr Leben eine Hetzjagd war, eine ununterbrochene Wanderschaft zwischen Berlin und Spandau, wo sie sich im Verborgenen aufhielten. Endlich gelang es der Vermittelung des bekannten Hofraths Schneider und des berühmten Garten-Directors Lenné, den Bann aufzuheben und den Verfolgten die bisher versagte Niederlassung zu verschaffen. Doch erst nach dem Tode Hinckeldey’s hörten diese kleinlichen Chicanen auf und auch der Kladderadatsch durfte freier athmen. Dagegen drohte ihm eine

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