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Krankheit das Weihgeschenk gelobt und nach der Heilung entrichtet. Daher ist denn der Altar einer solchen Leonhardscapelle häufig ganz überdeckt mit dergleichen Weihbildern aller Art: Rinderhörner, Ziegenhörner, Ochsenköpfe, Pferdenacken, Schweinsrüssel, Hinter- und Vorderfüße von allen Hausthieren, aber auch innere Theile, Herzen, Lebern, Lungen, Nieren, Magen etc., sämmtlich aus rothem Wachs gebildet, bedecken die Platte oder die Glasschreine des Altars und bezeugen die Güte und Gewalt und die Veterinär-Wissenschaft des Heiligen. (Bekanntlich werden der Mutter Gottes und anderen Heiligen in ganz analoger Weise menschliche Glieder in Wachs gebildet geopfert.) Das hat nun ein echt heidnisches Gepräge, daß Jeder, der diese barbarischen Opferspenden um das Bild und zu den Füßen des Heiligen gelagert sieht, sich in eine graue Urzeit unter Bärenfelle und Steinhämmer zurück versetzt fühlt. Uebrigens hat der heilige Leonhard, wie im guten Fall den Dank, so auch im schlimmen die unwillige Entrüstung seiner gläubigen Verehrer zu tragen. Wie die nordischen Könige ihre Götterbilder mit Keulen zerschlugen, wenn sie ihnen den Sieg versagt hatten; wie die badischen Bauern noch in unseren Tagen das Holzbild des heiligen Urban, des Beschützers des Weinbaues, in den Rhein warfen, als der gute alte Heilige dem modernen Uebel der Traubenkrankheit nicht zu wehren verstand: so weiß ich auch einen Fall, daß österreichische Bauern, welche, als die Klauenseuche ihrer Gemeinde nahte, dem heiligen Leonhard für den Fall seines Schutzes gegen diese Gefahr eine neue reich vergoldete Statue gelobt und – voreiliger Weise – pränumerando schon errichtet hatten, nachdem die Krankheit gleichwohl kam und fast all ihr Vieh fortraffte, das kostbare Bild wieder herausrissen, mit Beilen zerschlugen, verbrannten und die Asche des undankbaren Heiligen unter Verwünschungen in’s Wasser streuten. Man sieht, es hat auch seine Schattenseiten, ein Schutzpatron zu sein! –

Allbekannt ist die Begehung der Sommersonnenwende (24. Juni) durch das Entzünden der schönen „Sunwendfeuer“, welche zwar auch im Flachland vorkommen, aber wohl eigentlich doch nur verstanden werden in ihrer vollen Pracht und Poesie, wenn sie von den Gipfeln der Alpen hernieder leuchten und etwa wiederscheinen in den Fluthen eines Bergsees. Wie anderwärts, so hat auch in Baiern Jahrzehnte lang eine lichtscheue Bureaukratie diese schönen und unschuldigen Feuer auszutreten versucht: aber vergebens! Die Bergbauern lassen sich ihre Poesie so leicht nicht nehmen, und die Gensd’armen hätten Flügel anlegen und sich vertausendfachen müssen, wollten sie in jener Nacht alle die Berghöhen erreichen, auf welchen im ganzen Umkreis des Gebirges nach wie vor die verbotenen Feuer glühten. Da die Bauern nicht nachgaben, gab die Regierung nach, und weil die Feuer nicht aufhörten, hörten die Verbote auf, und vor einigen Jahren zählte ich siebenunddreißig solcher Feuer auf den Gipfeln der Bergkette, welche den Chiemsee umschließt. Es verknüpfen sich zahlreiche Gebräuche mit diesem Fest, welche seine ursprüngliche mythologische Bedeutung erläutern.

Es ist der Scheiterhaufe des sterbenden Lichtgottes, der hier entzündet wird. Man sollte glauben, dieser Tag müsse ein Tag der Trauer, nicht der Freude, sein. Aber wir wissen, daß, als Allvater (Odhin, Wodan) den sterbenden Sohn auf den Holzstoß legte, er dem Liebling ein geheimnißvolles Wort des Trostes in das Ohr raunte: das Wort von seiner Wiederkehr aus Hela’s dunklem Reiche an dem Tage der Götterdämmerung, da nach dem gegenseitigen Sichaufreiben der schuldbefleckten Götter und Riesen eine neue Welt der Unschuld und des Lichts erstehen wird. Ist nun auch natürlich das Bewußtsein des Volkes von diesem Sinn des Festes längst erloschen, so hat sich doch das Gefühl erhalten, daß es sich um eine Feier und Verherrlichung des edlen Elementes des Lichtes und Feuers handelt, und diese Naturfeier giebt dem Fest ein viel echter heidnisches Gepräge, als so manchen andern Gebräuchen verblieb, welche die Kirche zu christianisiren und mit einem „Weihrauch-Geschmäckle“ zu durchdringen vermochte; auf den Bergesgipfeln will der Weihrauch nicht verfangen. In der That, die Localität, an welche das Fest geknüpft ist, – es setzt weithin sichtbare Höhen voraus – ist sehr wichtig und wesentlich für den Gesammtcharakter dieser Uebung. Wahrscheinlich sind die Stellen, an welchen seit Jahrtausenden diese Feuer lodern müssen, um rechten Sinn und rechte Wirkung zu haben, uralte Opferstätten. Schon mehrere Male haben Nachgrabungen an denselben deutliche Spuren hiervon ergeben, und ich selbst habe schon manchmal erkundet, daß auf der Höhe, wo das Sunwendfeuer brennen muß, vor Alters eine Grenze oder eine Gerichtsstätte war; diese waren aber immer zugleich Opferstätten.

Charakteristisch ist, daß in vielen Thälern jedes Haus im Dorf Antheil an dem Fest nehmen und einen Holzbeitrag zu dem Feuer spenden muß, sonst bringt die Bäuerin das Jahr über kein ergiebiges Feuer im Heerd zu Stande. Die Flamme des Sunwendfestes hat eine prophetische, vorbeugende, heilende und weihende Kraft. So hoch die Lohe empor schlägt oder so hoch der Bauer über der Gluth weg springt, so hoch gedeiht in diesem Jahr der Flachs. Wer über die Flamme springt, ist das ganze Jahr gegen Sonnenstich, Rheuma und Fieber geschützt. Allgemeine Sitte ist es, das kranke Vieh über die noch glimmende Asche oder durch die Flamme zu treiben, auf daß es gesunde, und gesundes, auf daß es gegen Behexung, Verfallen und Seuche gesichert sei. Endlich aber werden Liebesgebräuche der mannigfaltigsten Bedeutungen vor und mit dem weihenden Feuer angestellt. Heutzutage ist ihr poetischer Sinn meist vergessen und es wird ihnen eine scherzhafte, oft sogar obscöne Bedeutung beigelegt. Aber ursprünglich wurde Treue und Liebe geschworen bei der lodernden Flamme; das Liebespaar springt noch heute Hand in Hand über die Gluth, und die Umstehenden machen schlechte Witze und Anspielungen oft sehr unfeiner Art, je nach der Art wie sich Bursche und Mädchen dabei anstellen; unverkennbar jedoch lag in der heidnischen Zeit in der symbolischen Handlung ein Gelübde, jede Gefahr mit einander zu theilen und „für einander durch’s Feuer zu gehen.“

In der Nacht der „Sunwend“, wie in den ebenfalls in den Monat Juni fallenden Nächten von St. Veit und Peter und Paul, wird jener bösartige, unheimliche Zauber geübt, welcher den Namen „Bilmes-“ oder „Bilwis-Schnitt“ führt und unverkennbar sehr alten Ursprungs ist. Ein Bauer nämlich, der seiner Nachbarn Korn, wie es auf dem Halm im Felde steht, für sich gewinnen will, schließt einen Bund mit dem Teufel, welcher ihm in einer der erwähnten Nächte in Gestalt eines zottigen schwarzen Bockes mit glühenden Augen vor seiner Hausthür erscheint. Der „Neiding“, der Zauberer, schwingt sich auf den Rücken des Dämons und wird dadurch wie dieser unsichtbar; er hat sich an den linken Fuß ein scharfes, blankes Messer geschnallt und nun umreitet er die Fluren aller Nachbarn, deren Korn am schönsten steht. Der teuflische Bock berührt nur die Spitzen der Halme, und wie im Fluge legt er in kurzer Zeit große Strecken zurück. Die Wirkung dieses Rittes, welcher auf seiner etwa fußbreiten Spur die Halme abgeschnitten zurückläßt, ist nun aber, daß nicht blos diese wenigen gesichelten Aehren, sondern alles Korn, welches in dem weit gezogenen Zauberkreis eingeschlossen steht, den die Linien des Rittes bilden, fortan nicht mehr auf dem Felde für den Nachbar, sondern in der Scheune des Bilmisschneiders wachsen und reifen muß, während es draußen auf dem Acker schwindet. Begreiflich kann auf diese Weise in kurzer Frist ein unermeßlicher Schade angerichtet werden, deshalb hat Gott auf Fürbitte der Madonna die Uebung dieses Zaubers auf die genannten drei Tage beschränkt und zwar auf die kurze Zeit des Gebetläutens – deshalb weiß ein rechter „Meßner“, daß er an diesen Abenden so kurz als möglich zu läuten hat.

Es giebt aber auch Schutzmittel des „weißen“ (erlaubten) Zaubers gegen den „schwarzen“ des Bilmisreiters. Wenn man sich ein Kukuksnest (welches aber bekanntlich sehr schwer zu finden!) oder eine Natterhaut oder auch einen alten Maulwurfshügel auf den Kopf legt und auf einem Grenzstein niedersetzt, aber so, daß die Füße die Erde nicht berühren, so wird man unsichtbar und kann seinerseits den unholden Reiter erkennen. Ruft man ihn beim Namen an, so verschwindet der Bock mit Geheul, der Zauberer stürzt zusammen, erkrankt von Stund an und binnen Jahr und Tag hat ihn der Teufel geholt. Und wenn der Schade schon angerichtet ist, so kann man ihn dadurch wieder gut machen und die hinweggehexten Aehren wieder aus der Scheune des Bösewichts in die eigene gewinnen, daß man den ersten Erntewagen verkehrt in das Scheuerthor fährt.

Andere Sagen und Aberglauben beweisen, daß der „Bilwis“ ursprünglich eine wohlthätige, wenn auch muthwillig neckende Feldgottheit war, wie dies die Art elbischer Wesen; daß er als Elbe (unser „Elfe“ ist falsch, es ist das Wort seit Shakespeare’s Reception in die deutsche Bildung in dieser englischen Form [elf] herübergenommen worden, ist aber deutsch ebenso unrichtig, wie wenn wir half oder Kalf statt halb, Kalb sagen wollten; das

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