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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

daß ich etwas thun, mich zu irgend einem Handeln entschließen müsse, womit ich mich wieder emporarbeiten könne, daß dies aber mit meinem innern Wesens im Einklang stehen müsse. Da sagte ich ihm, ich wolle Schauspielerin werden. Er wollte anfangs nicht gern darauf eingehen, aber ich erklärte ihm, daß es der einzige Beruf sei, für den ich wirkliche Neigung hätte. Nachdem er sich noch eine Weile besonnen, auch meine Fähigkeiten geprüft hatte, sagte er, daß er mich nicht an meinem Vorhaben hindern wolle, nur sollte ich ihn als meinen Lehrer und Berather ansehen. Das versprach ich ihm und in seiner Schule habe ich mich darauf zur Schauspielerin ausgebildet. Später, als ich schon festeren Fuß auf der Bühne gefaßt hatte, war ich einige Jahre von ihm getrennt, während welcher Zeit Feldern nach Ihrer Vaterstadt kam. Als ich ihn nicht mehr sah, fühlte ich mich entsetzlich unglücklich, und da ich nur suchte, wieder in seine Nähe zu kommen, nahm ich ein Engagement in eben derselben Stadt an. Ich sah ihn wieder – aber dies Wiedersehen machte mich elend! In meinem Herzen war eine Leidenschaft aufgekeimt, die es zu verzehren drohte, und doch mußte ich sie vor ihm verbergen, vor ihm – der mich nicht lieben konnte. Der Gedanke an meine Vergangenheit drohte mich oft zu ersticken; nie war er lebhafter gewesen, als dieser edlen, stolzen Männlichkeit gegenüber, und daß er mit barmherziger Milde sich wie ein Freund zu mir stellte, konnte meine Qual nicht mindern. Da kam der Tag, an welchem ich erfuhr, daß er sein Herz einer Andern – Ihnen, Frau Professorin – geschenkt hatte. Ich hatte es geahnt, zuletzt gewußt, und doch überwältigte es mich. Ich konnte ihn nicht wiedersehen – darum floh ich vor ihm!“

„Und später haben Sie Feldern nicht mehr gesehen, nichts wieder von ihm gehört?“ fragte Alma, die ihre Erschütterung kaum noch bergen konnte.

„Ich vermied es, ihm zu begegnen,“ entgegnete Melanie, „bis uns der Zufall an jenem Badeorte zusammenführte; gehört aber habe ich mitunter von ihm, denn ich konnte nicht leben ohne alle Nachricht von ihm und ich wußte mir diese insgeheim zu verschaffen. So erfuhr ich – –“

„Was erfuhren Sie?“ versetzte Alma gespannt und fast scharf, als die Schauspielerin stockte.

„Frau Professorin, was ich jetzt noch zu sagen habe, betrifft nicht mehr mich, sondern Sie – wollen Sie auch dies hören?“ Alma blickte sie unruhig an, Melanie mochte aber in ihren Augen die Erlaubniß lesen, fortzufahren, denn sie sagte: „Frau Professorin, die Welt nennt Sie, nennt Ihren Gatten nicht glücklich!“

„Wer wagt, dies auszusprechen?“ rief Alma in aufwallendem Stolz.

„Zürnen Sie nicht – jetzt nicht!“ flehte Melanie. „Sie haben es selbst gesagt, daß Sie mich hassen, und ich weiß, daß der Grund Ihres Hasses zugleich der Grund Ihres Unglücks, wenigstens des gegenwärtigen, ist. Sie haben sich an dem Badeorte in tiefer Uneinigkeit von Ihrem Gatten getrennt.“

„Gott im Himmel, wie wissen Sie –?“ stieß Alma hervor, das junge Mädchen fast entsetzt ansehend.

„Lassen Sie mich Ihnen, ehe ich darauf antworte, einige Fragen vorlegen! Haben Sie nicht während Feldern’s Krankheit einen Brief von einem Verwandten, einem Baron Wertach erhalten, worin dieser sich zu Ihrem Ritter antrug und Ihnen versprach, die Beleidigung, welche Feldern Ihnen durch ein Verhältniß mit – einer Schauspielerin zugefügt habe, an ihm zu rächen?“

„Das habe ich,“ sagte Alma.

„Sie haben damals den Baron nicht ganz zurückgewiesen!“

„Doch!“ entgegnete Alma stolz. „Ich habe ihm geschrieben, daß ich selbst meine Ehre aufrecht halten und zu vertheidigen wissen würde, die Einmischung eines Dritten nicht dulden könne.“

„So hat er Ihren Worten eine andere Deutung untergelegt, die seinen Wünschen entsprach; wenigstens daraus erkannt, daß Sie eine Ihnen widerfahrene Kränkung zugestanden, und in diesem Sinn hat er in der Person eines Freundes an jenem Badeort einen Spion bestellt, der genau auf alle Vorgänge achten und ihm im rechten Augenblick Bericht erstatten sollte. Durch die Indiscretion dieses Freundes nun war die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die Verhältnisse hingelenkt, und als man dann Feldern’s und Ihre plötzliche, aber nicht gemeinschaftliche Abreise erfuhr, mit der man einige andere Umstände zusammenreimte, hatte man schnell die Lösung des Räthsels bei der Hand: Es war ein Bruch zwischen Ihnen und Feldern entstanden, weil Sie sein Verhältniß zu – mir entdeckt hatten.“

Alma war außer sich. Mußte es nicht ihren Stolz tödtlich verletzen, daß sie ihre zartesten persönlichen Verhältnisse an’s Licht gezogen und der Unterhaltung des Publicums preisgegeben sah? „Und Sie – Sie hörten das Alles sagen?“ fragte sie.

„Ich hörte es. Wie sollte man sich nicht beeilen, es mir zuzutragen: ließ sich ja doch so manche herbe Bemerkung gegen die Schauspielerin daran knüpfen!“ versetzte Melanie bitter, fuhr jedoch gleich darauf fort: „Im Grunde aber dankte ich doch der Geschäftigkeit der Zungen, denn sie lehrte mich, was ich zu thun hatte.“ Sie schwieg eine Weile, dann sah sie Alma fest an und sagte: „Ich will Ihnen jetzt gestehen, daß es einen Moment für mich gegeben hat, wo die Hoffnung sich jubelnd in meinem Herzen regte, Feldern könne zu mir – und dann in anderer Weise – zurückkehren, denn ich sah, daß er nicht glücklich war. Da aber geschah das Unglück und es kam der Tag, wo ich an dem Lager des todkranken Mannes saß. Er war ohne Bewußtsein; ich glaubte ihn sterbend und da dachte ich mir, wie ich eine Welt darum geben würde, wenn dieser Mund, ehe er für ewig stumm wäre, ein einziges Wort der Liebe für mich ausspräche. In demselben Augenblick öffnete er die Augen, und als er mich über sich gebeugt sah, erkannte er mich und flüsterte: ‚Melanie!‘ Mein Herz drohte vor bangem Entzücken zu springen! ‚Melanie,‘ sagte er noch einmal, aber in unsäglich schmerzlichem Ton, ‚o, warum nicht Alma?!‘ Dann sank er auf’s Neue in Betäubung. – In jener Stunde habe ich den Schwur geleistet vor Gott, daß ich mein Herzblut opfern wollte für das Glück dieses Mannes, und in der gegenwärtigen Stunde, Frau Professorin, habe ich den Schwur gelöst.“

„Gott wird Ihnen das Opfer lohnen,“ sagte Alma tief ergriffen, „Sie haben damit das Lebensglück zweier Menschen erkauft!“ –

Dann aber flogen ihre Gedanken zu ihrem Gatten und es erfüllte sie mit unaussprechlichem Jubel, daß sein Bild wieder rein und makellos vor ihr stand. „Gott sei Dank,“ murmelte sie, „er ist meiner Liebe nicht unwerth!“ Sie deckte die Hände über’s Gesicht und verharrte längere Zeit in schweigendem Sinnen.

Melanie fühlte, daß sie vergessen war; sie erhob sich leise und sagte: „Erlauben Sie, daß ich mich jetzt entferne, Frau Professorin?“

Es kam ein Gefühl von Beschämung über Alma, daß sie der Schauspielerin so kargen Dank gesagt hatte, und in warmer Bewegung ergriff sie beide Hände derselben. „Ich sagte, daß Gott Ihnen danken würde – wie aber sollen wir Ihnen danken?“

Melanie schüttelte den Kopf. „Lassen Sie das,“ bat sie, „es würde schmerzen.“

„Melanie, ich bin hart und unfreundlich gegen Sie gewesen, können Sie es mir vergeben? Es würde ein Stachel in meinem Herzen bleiben, wenn Sie unversöhnt von mir schieden!“

Die Schauspielerin blickte sie mit einem trüben Lächeln an. „In meiner Seele ist kein Groll mehr und keine Bitterkeit. Sie dürfen in Frieden an mich denken.“

„Und was wird aus Ihnen werden?“ fragte Alma beklommen.

„Sorgen Sie nicht um mich!“ entgegnete Melanie. „Wissen Sie nicht, daß meine Kunst mich lehrt, wie man bleiche Wangen blühend macht, wie man lächelt, statt zu weinen, und scherzt, statt zu seufzen?“

„So täuschen Sie die Welt, doch nicht Ihr Herz, Melanie!“ sagte Alma ernst.

Die Schauspielerin schwieg, aber es drangen große Thränen aus ihren Augen und tropften langsam auf die Hände, die gefaltet auf ihrem Schoße lagen. „Wenn Sie später vielleicht hören werden, daß Melanie sich zu einer gefeierten Schauspielerin emporgearbeitet hat, welche zu den Besten ihrer Kunst gezählt wird,“ sagte sie endlich, „so sagen Sie zu sich selbst: ‚sie hat den Preis errungen, den sie als den höchsten erkannte, nachdem sie mit ihrem Herzen abgeschlossen hatte.‘ Wenn Ihnen dann aber eines Tages die Kunde wird: die Schauspielerin Melanie Wolde ist gestorben – so denken Sie: ‚sie hat jetzt das Glück gefunden, welches das Leben nicht für sie hatte!‘“

„Alma war unfähig zu sprechen, aber sie zog die Schauspielerin an sich und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. In der nächsten Minute hatte Melanie das Gemach verlassen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)