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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 10.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Aus dem Merkbuche der Gartenlaube.[1]
An die Halben.


Ihr seid nicht dumm, ihr seid nicht schlecht,
Ihr wißt, was Freiheit ist und Recht,
Ihr liebt die Wahrheit, haßt den Schein,
Ihr wollt auch gern freisinnig sein;
Auch habt ihr Alles auf der Welt:
Ihr habt Gesundheit, Freud’ und Geld,
Und Weib und Kinder, Hof und Gut,
Doch fehlt euch Eins – euch fehlt der Muth.




Getrennt.
Von Von F. L. Reimar.
(Schluß.)


Melanie schwieg einige Augenblicke, wie in Erinnerungen verloren, und als sie dann wieder aufsah, begegnete sie den gespannt auf sie gerichteten Blicken ihrer Zuhörerin. „Ich habe Ihnen versprochen, kurz sein zu wollen, Frau Professorin,“ sagte sie, „gönnen Sie mir, daß ich es auch in dieser Minute sein darf! – Genug, es blieb nicht bei dem Malen des Studienkopfs –: ich sah den Maler wieder und wieder und ich fragte meine Principalin nicht mehr um die Erlaubniß dazu. Ich fragte überhaupt nach keinem Menschen, nach keinem Dinge in der Welt: ich sah, ich liebte nur ihn und war selig, daß er mich wieder liebte. Er miethete mir ein Stübchen in der Vorstadt; dort wohnte ich und dorthin kam er, mich zu besuchen – und wenn er nicht kam, so dachte ich an ihn – ich war glücklich! Er zeigte mir auch seine Bilder, erklärte mir, was sie bedeuteten, und lehrte mich auch sonst vielerlei. Mir aber ward das Lernen leicht, denn es war süß, seine Schülerin zu sein!

Die glückliche Zeit dauerte eine Weile – dann aber kam eine andere Zeit und da hörte das Glück auf. Ich sah den Maler nicht mehr in meinem Stübchen; ein Tag verging nach dem andern: er kam nicht. In meiner Angst ging ich auf die Straßen, wo ich mich sonst nicht gern blicken ließ, weil ich dachte, ich könne ihm begegnen – aber ich sah ihn nicht. Verzweifelnd lief ich eines Abends nach seiner Wohnung, die, wie ich wußte, in einem großen und vornehmen Hause war – er war der Liebling aller Großen und Vornehmen – und fragte nach ihm. Der Maler Feldern sei sehr krank, hieß es, und Niemand dürfe zu ihm; er werde wahrscheinlich sterben. ‚Ich aber muß zu ihm!‘ rief ich außer mir: ‚ich will bei ihm bleiben Tag und Nacht, um ihn zu pflegen!‘ Man sah mich verwundert an, man lachte über mich – die Sinne schwanden mir. Was ich noch gesagt habe, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß man mich zuletzt fast mit den Füßen fort und auf die Straße stieß. In meiner Wohnung weinte ich nun Tag und Nacht und bat Gott, mich auch sterben zu lassen. – Ich hörte nichts von ihm, aber eines Tages vernahm ich Schritte auf der Treppe, die mir wie die seinigen klangen, und als ich noch athemlos horchte, that sich die Thür auf und es trat ein Mann herein, den ich im ersten Augenblick für Feldern hielt. Mit einem Freudenschrei sprang ich auf – da sah ich aber, daß es ein Fremder war, vor welchem ich stand; er war ernster, dunkler und nicht so schön wie der Maler. Er sagte mir, daß auch er Feldern heiße und gekommen sei, um mir mitzutheilen, daß sein Bruder gestorben wäre. Sein Ton klang weich und gütig, das fühlte ich noch, als ich in dumpfer Verzweiflung zusammensank, und ich fühlte auch, daß er seine Hand wie erbarmend auf mein Haupt legte. Er sagte mir dann noch, daß sein Bruder ihm auf dem Todbette die Schuld gebeichtet, die derselbe auf dem Herzen gehabt, daß jener ihm meinen Namen genannt und daß er ihm geschworen habe, er wolle sich meiner annehmen und mir seine Hand zur Hülfe leihen. – Den Schwur hat er gehalten, Frau Professorin; er hat mich aus dem Elend gerettet, in das ich ohne ihn versunken wäre! ‚Verzweifeln Sie nicht, Melanie,‘ sagte er, ‚Sie haben noch eine Zukunft!‘ Und dann half er mir, diese Zukunft zu erringen.

Er hatte mir gesagt – und ich selbst fühlte dies auch –


  1. Uns vielfach geäußerten Wünschen entsprechend, beginnen wir hiermit die Veröffentlichung einer neuen Reihe von Blättern aus unserm Merkbuche, die früher sich so vielen Anklangs zu erfreuen hatten.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_145.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)