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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

einzustimmen. Ja, es schien, als sei sie von einer besonderen Munterkeit ergriffen, die sich rasch bis zur Ausgelassenheit steigerte. „Wir wollen unsere Kunst, das Schauspielern, leben lassen; das Leben besteht ja nur darin und dadurch!“ rief sie und zog hastig an der Klingel. „Champagner!“ befahl sie dem eintretenden Dienstmädchen. Eine ältliche Dame, die bald nach dem Erscheinen der lustigen Gesellschaft in’s Zimmer getreten war und in Melaniens Nähe Platz genommen hatte, stand leise auf und flüsterte dem jungen Mädchen, bei dem sie eine Art Ehrendame zu sein schien, etwas zu, augenscheinlich eine Warnung, aber die Schauspielerin schüttelte nur den Kopf und wandte sich ungeduldig von ihr ab. Wenige Minuten darauf schäumten und klangen die Gläser und daneben ertönte das Jubeln und Lachen der munteren Genossen, unter denen Melanie als die Fröhlichste gelten konnte. Erst als die Gesellschaft sich lange nach Mitternacht getrennt hatte, als Melanie sich allein sah – da war es plötzlich mit der heiteren Laune der Schauspielerin vorbei. In krampfhafter Hast riß sie die glänzenden Schmuckstücke von Hals und Armen, um dann die aufgelösten dunklen Locken mit den Händen zu durchwühlen und diese wieder zu ringen in stummer und banger Verzweiflung. –

Eine andere, gemessenere Gesellschaft hatte sich an einem der nächsten Abende im Hause des Oberforstmeisters von Büsching zusammengefunden, der mit seiner Gattin in etwas steifer Weise die Honneurs machte. Vielleicht galt diese mehr als gewöhnlich hervortretende Förmlichkeit der Anwesenheit eines vornehmen Besuchs, eines älteren, unverheiratheten Bruders des Hausherrn, welcher als Minister in der Residenz lebte und zu dessen Ehre und Unterhaltung die heutige Soirée veranstaltet worden war. Die Excellenz selbst schien jedoch gar keinen Anspruch auf besondere Rücksichtnahme für seinen Stand zu machen, denn sie gab sich der Unterhaltung mit voller Ungezwungenheit hin und hatte sich bald in ein so lebhaftes Gespräch mit einigen der anwesenden Herren vertieft, daß sie sich erst durch die directe Anrede des Bruders unterbrechen ließ, welcher zu ihr getreten war, um ihr unter dem Namen „Herr Doctor Feldern“ einen neu hinzugekommenen Gast vorzustellen. Der Minister verbeugte sich artig gegen den jungen Mann und richtete einige verbindliche Worte an ihn, doch da dieser fühlte, daß er eine vielleicht unwillkommene Störung veranlaßt hatte, zog er sich gleich darauf zurück, um sich unter die übrige Gesellschaft zu mischen, während jener die frühere Unterredung noch eine Weile fortsetzte. Bald jedoch wandte er sich mit der Frage an seinen Bruder:

„Wer und was ist eigentlich jener Doctor Feldern, mit dem Du mich bekannt machtest? Er hat etwas Distinguirtes, das mein Interesse erweckt.“

„Seiner Herkunft nach kann er dies wohl nicht haben,“ lautete die Antwort, „aber seine Persönlichkeit ist allerdings ausgezeichnet. Er gilt für einen der geistvollsten Männer unserer Stadt, der sich auch als Schriftsteller einen geachteten Namen erworben hat; daneben ist er Privatdocent an der hiesigen Universität.“

Der Minister schien noch etwas fragen zu wollen, doch wurde seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblick von seiner Nichte, der schönen Tochter des Hauses, in Anspruch genommen, die aus einem der Nebenzimmer trat, wo er sie kurz vorher scherzend und plaudernd inmitten einer dichten Gruppe gesehen hatte. Sie blickte wie suchend um sich und nach einigen Secunden bemerkte er, wie ein glänzendes Lächeln über ihre Züge flog und wie sie sich einem alleinstehenden Herrn näherte, in welchem er Feldern erkannte und den sie anredete. Obgleich der Onkel scheinbar nicht auf die Unterhaltung achtete, entging ihm doch kein Wort derselben.

„Man bittet mich, zu singen,“ sagte sie, „aber Sie wissen, ohne Ihre Unterstützung wage ich schon nichts mehr. Wollen Sie mich begleiten?“

„Die Frage gleicht zu sehr einem Befehl,“ antwortete er wie scherzend, „um meine Antwort nicht überflüssig zu machen. Was wünschen Sie zu singen, gnädiges Fräulein?“

„O, ich stehe Ihnen nicht nach an Liebenswürdigkeit und will auch Ihnen Concessionen machen: also etwas Schwermüthiges, denn ich lese auf Ihrem Gesichte den Wunsch danach. Aber nein,“ unterbrach sie sich rasch wieder, „ich will Ihnen nicht das Recht lassen, Ihrer Schwermuth nachzuhängen, Sie sollen mich auch in meiner Stimmung accompagniren, wollen Sie?“ und wieder sah sie ihn mit ihrem strahlenden Lächeln an.

Es war, als läge eine Erwiderung auf seinen Lippen, die er unterdrückte, und er antwortete nur: „Ich begleite Sie, gnädiges Fräulein!“ Damit folgte er seiner schönen Gefährtin in das anstoßende Gemach, wo die Letztere an dem geöffneten Flügel Platz nahm, um sich selbst bei ihrem Gesange zu accompagniren. Feldern begleitete sie mit seiner Stimme, einem überaus angenehmen und kräftigen Tenor, der so vortrefflich zu ihrem schönen Alt paßte, daß sich eine lange Uebung voraussetzen ließ, die solch’ ein harmonisches Zusammenklingen der beiden Stimmen hervorgebracht hatte.

Der Minister hatte sich nachlässig in eine Fensterbrüstung gelehnt und beobachtete von dort aus das junge Paar, fast so gespannt, als ob er die Mienen desselben studire, während er doch ebensowohl ganz in das Hinhorchen versunken sein konnte. Nachdem der Gesang geendet und die Unterhaltung in der Gesellschaft wieder allgemein geworden war, trat er wie zufällig an seine Schwägerin heran und sagte, während seine Finger mit einer Blume spielten, die er aus einer der Vasen genommen hatte:

„Singt und spielt Alma häufig mit dem jungen Doctor Feldern?“

„Seit einem Vierteljahr kommt derselbe mitunter zu diesem Zweck in unser Haus,“ erwiderte die Angeredete. „Er ist gewissermaßen Alma’s Lehrer geworden, denn es hielt schwer, für ihre Stimme die gewünschte Ausbildung zu erlangen, und da Doctor Feldern’s musikalische Begabung außerordentlich ist, konnte uns die Gelegenheit nur angenehm sein.“

„Wenigstens scheint sie dies für Lehrer und Schülerin geworden zu sein,“ warf der Minister scheinbar nachlässig hin.

Das Gesicht. der Oberforstmeisterin verrieth aber, daß sie seine Meinung verstanden hatte, denn es stieg eine plötzliche Röthe darin auf und indem sie den Kopf etwas in den Nacken warf, sagte sie: „O, was das betrifft, Herr Schwager, so vergißt der junge Mann, denke ich, weder seine noch unsere Herkunft und Stellung und jedenfalls ist meine Tochter derselben eingedenk. Rücksichtlich der äußeren Schicklichkeit aber brauche ich wohl kaum zu versichern, daß ich in jeder Minute bei den Zusammenkünften gegenwärtig bin.“

„Zweifle nicht!“ antwortete der Minister, sich gegen seine Schwägerin verbeugend. „Indessen – eh bien – laissons cela!“ Damit bot er ihr seinen Arm und führte sie in den Salon zurück. –

Melanie hatte seit jenem Abend, wo sie zum letzten Male die Bühne betreten und sich darauf im Kreise der Genossen so heiter gezeigt hatte, einige trübe Tage verlebt. Der Erwartete war immer noch nicht bei ihr gewesen und sie verzehrte sich in Angst und Unruhe. In der Dämmerung des hereinbrechenden Abends stand sie jetzt am Fenster und blickte gespannt auf die Straße, als ob sie unter den vorübergehenden Gestalten nach einer bestimmten Persönlichkeit forsche. Sie hatte dabei überhört, daß Jemand die Treppe hinaufgekommen war und daß die Zimmerthür sich geöffnet hatte.

„Guten Abend, Melanie!“ tönte plötzlich eine tiefe, wohlklingende Stimme hinter ihr.

Mit einem Schrei der Ueberraschung wandte sie sich um und wie in überwallender Freude stieß sie das Wort „Friedrich!“ hervor, um dann gleich darauf in leiserem und gehaltenerem Tone ein „Willkommen“ hinzuzufügen.

Feldern, denn er war der Eintretende, hatte unterdessen ruhig an ihrer Seite Platz genommen und that einige gleichgültige Fragen, auf die sie sich bemühte in derselben Weise zu antworten. Bald aber konnte sie diesen Zwang nicht länger ertragen und ihre leidenschaftliche Erregung klang durch, als sie in die Worte ausbrach:

„Sie sind lange nicht hier gewesen – haben Sie mich vergessen, Friedrich?“

Fast verwundert blickte er sie an. „Ich war vielbeschäftigt, Melanie,“ antwortete er und fügte in einen halb scherzenden Ton übergehend hinzu: „Sie haben schon als Prinzessin Eboli dafür gesorgt, daß ich Sie nicht vergessen durfte.“

„Wie gefiel Ihnen mein Spiel?“ fragte sie rasch.

„Haben Sie meine Beurtheilung jener Aufführung nicht in dem Tagesblatt gelesen?“ fragte er dagegen. Sie verneinte.

„Nun, so muß ich Ihnen gegenüber schon Lob und Tadel wiederholen, wie ich Beides dort ausgesprochen. Zuerst will ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_098.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)