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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 7.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Getrennt.
Von F. L. Reimar.


Der Schein einer Hängelampe erleuchtete ein kleines, aber mit geschmackvoller Eleganz ausgestattetes Gemach und fiel auf den glänzenden Scheitel eines jungen Mädchens, das rastlos in demselben hin und wieder ging. Die Schritte der Wandernden waren unhörbar auf dem weichen Teppich, aber jede Bewegung, die ganze Haltung, welche manchmal ein gespanntes Aufhorchen verrieth, zeugte von großer Aufregung. Sie war in reicher Kleidung, die indessen mit der modernen Einrichtung des Zimmers seltsam contrastirte, denn die Perlengehänge, die geschlitzten, bauschigen Aermel, kurz das ganze Costüm gehörte offenbar dem Geschmack eines längstvergangenen Jahrhunderts an. Trotz ihrer schlanken, nach dem feinsten Ebenmaß gebildeten Gestalt war sie nicht das, was man eine eigentliche Schönheit nennt, aber daß die Züge des bräunlichen Gesichts der Regelmäßigkeit entbehrten, vergaß man über dem Glanz der großen schwarzen Augen, die darin blitzten, und wenn der Mund nicht eben klein war, so blieb das Lächeln, welches ihn zu Zeiten umspielte und dann zwei Reihen blendend weißer Zähne sichtbar werden ließ, nicht minder bezaubernd. In diesem Augenblick schwebte indeß dies Lächeln nicht um ihre Lippen, die vielmehr fest geschlossen waren, wie in einem herben Gefühl, während sich die dunklen Augenbrauen düster zusammengezogen hatten. „Er kommt wieder nicht!“ murmelte sie, und es war, als bebte ihre ganze Gestalt in verhaltener Leidenschaft. „Er kommt nicht!“ wiederholte sie dann leiser und warf sich in die Kissen des Sophas, das Gesicht gegen die weichen Polster gedrückt, als ob sie schluchze.

Nach einer Weile ließen sich Schritte auf der Treppe hören, bei deren Schall sie von Neuem heftig emporfuhr. Den schmerzlich Erwarteten mußte sie jedoch nicht daran erkennen, denn ihre Züge verriethen neben einem gewissen Erschrecken einen lebhaften Unmuth, während sich draußen bereits lachende Stimmen vernehmen ließen. Einen Augenblick verbarg sie den Kopf noch in beiden Händen, und als sie diese dann wieder sinken ließ und das Gesicht den Eintretenden, einer Gesellschaft von mehreren Damen und Herren, zuwandte, trug dieses einen vollkommen veränderten, heiteren Ausdruck.

„Guten Abend, theure Melanie,“ „cara mia,“ „durchlauchtige Prinzessin!“ ertönten die Begrüßungen von allen Seiten, während die Angeredete lachend ringsum die Hände bot und die Gäste zum Sitzen einlud.

„Noch im Costüme des Abends, Liebe?“ bemerkte etwas spöttisch eine der Damen und ließ den Blick über die Gewandung des jungen Mädchens gleiten; „wir sind seit einer Stunde wieder Alltagsmenschen.“

Melanie erröthete flüchtig und erwiderte, daß vorgefundene Briefe ihr nicht die Zeit zum Umkleiden gelassen hätten. „Und wozu auch?“ rief ein Herr, der den Platz an ihrer Seite zu erobern gewußt hatte, dazwischen. „Wir sind entzückt, Sie noch länger als Prinzessin Eboli sehen zu dürfen. Waren Sie an Ihrem Platz heute Abend, und war das eine Gluth in Ihrem Spiel! Ich sage Ihnen, ich erschrak und erzitterte beinahe unter Ihren Blicken, als ich Ihnen als Marquis Posa den Dolch auf die Brust setzte, und bin nur nicht mit mir einig, ob ich meinen Freund Don Carlos als Tropf verachten, oder als Held bewundern soll, daß er Ihnen gegenüber kalt zu bleiben vermochte.“

„Was wollen Sie?“ lachte die ersterwähnte Dame, eine schnippische kleine Brünette, die für die Soubrettenrollen engagirt war. „Der hatte eben nur Augen für seine blonde Elisabeth, die überhaupt während ihres Gastspiels verstanden hat, das hiesige Publicum zu enthusiasmiren. Mir – ich sage es gerade heraus – ist der Geschmack desselben unbegreiflich!“

„Und ich wiederum erkläre, daß mir ihr Spiel Respect eingeflößt hat!“ konnte Melanie sich zu sagen nicht enthalten, „und Manche könnten von ihr lernen.“

Die Brünette maß die Sprecherin mit einem spöttischen Blick und sagte dann: „Das ist denn auch wohl die Ansicht unseres gestrengen Kritikers, des Doctor Feldern, Ihres anerkannten Protectors, Melanie? Ich habe ihn wenigstens begeistert Beifall klatschen sehen, nachdem Elisabeth ihre stolze Vertheidigung vor dem König gesprochen hatte.“

„Ich habe dasselbe bemerkt,“ entgegnete Melanie ruhig und fügte gleich darauf, scheinbar unbefangen und wie um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, hinzu: „Wer mochte die schöne Dame sein, welche in der Loge neben Feldern saß? Ich sah ihn einige Male mit ihr sprechen.“

„Ah, das schöne Fräulein Alma, die Tochter des Oberforstmeisters von Büsching!“ lautete die Entgegnung, und ein Anderer fügte hinzu: „Das Gerücht bringt ihren Namen vielfach mit dem des Doctor Feldern zusammen und man nimmt ein Verhältniß zwischen den Beiden als ausgemacht an. Er soll ein fast täglicher Gast in dem Büsching’schen Hause sein.“

Wäre ein beobachtender Blick auf Melanie gefallen, so würde er vielleicht wahrgenommen haben, daß sich für einen Moment die Lippen des jungen Mädchens fest auf einander preßten, wie um einen unwillkürlichen Ausruf, eine Frage zurückzudrängen, und daß ein Erbleichen über ihre Wangen flog. Eine Secunde später aber war die Röthe derselben zurückgekehrt und als sie den Mund öffnete, war es, um heiter in die Scherzreden der Gesellschaft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_097.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)