Seite:Die Gartenlaube (1867) 058.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Botzheim, der zugleich zur Ruhe und zum Gehorsam ermahnte damit nicht ernstere Maßregeln nothwendig würden.

Allein alles Zureden blieb fruchtlos und die Bauern beschlossen, der angedrohten Execution ungeachtet, auf ihrem Widerstand zu beharren. In diesem Entschluß wurden sie durch einige fanatische lutherische Geistliche der benachbarten Gebiete, worunter Pfarrer P. Ch. Nacke[1] in dem leiningen-westerburgischen (heute rheinhessischen) Wachenheim a. d. Pfr. einer der rührigsten war, unablässig bestärkt, nachdem sich die einheimische Geistlichkeit, durch den Ernst der Regierung eingeschüchtert, von aller Agitation gegen das ABC-Buch zurückgezogen hatte.

Obgleich daher die Regierung den Pfarrern und Lehrern auf ausschließlicher Benutzung des neuen ABC-Buchs in den Schulen zu bestehen befahl und die Schultheißen anwies, jene hiebei in aller Weise zu unterstützen, so war doch die Einführung des Buches fast nirgends durchzusetzen. In Sippersfeld kamen die Bauern, an ihrer Spitze Theobald Scholl, in die Schule und untersagten dem Lehrer im Namen der Gemeinde den Gebrauch der neuen Namenbücher, die sie sämmtlich dem Pfarrer zurückgebracht hatten; ihren Kindern gaben sie die alten Bücher mit, aus denen aber der Lehrer nicht unterrichten wollte. Gleicher Widerstand zeigte sich in Marnheim, von wo der Schultheiß Gassenberger am Schlusse eines Berichtes vom 16. Februar an das Amt meldete: „Summa, es ist nichts als Utz und Spötterei; wenn man einen kommen lassen will, so wird es eine Stund, und gehen erst im Dorff herum und befragen sich, was sie thun sollen.“ In ähnlicher Weise berichtete der Schultheiß Engel Ermarth von Albisheim unterm 17. Februar: „Wie man denen Leuthen mehr zured, sie sollten die neuen Namenbücher nehmen, desto weniger thun sie es.“

Um diesen Widerstand zu brechen, glaubte die Regierung zunächst gegen die Rädelsführer einschreiten zu sollen. Sie ließ daher dieselben aus den einzelnen Gemeinden vor das Amt nach Kirchheim citiren, wo diejenigen, welche sich am ungebührlichsten benommen hatten, zu kurzem Arreste verurtheilt wurden. Ebenso wurden jene festgehalten, welche sich auch vor dem Amte weigerten, das ABC-Buch für ihre Kinder anzunehmen. Die meisten der Eingethürmten legten nach wenigen Tagen das Versprechen des Gehorsams ab und erhielten ihre Freiheit wieder. Allein drei derselben, Adam und Philipp Decker von Marnheim, sowie der erwähnte Nickel Morgenstern von Albisheim, die trotzig auf ihrer Weigerung beharrten, beschloß die Regierung in das Zuchthaus nach Weilburg abführen zu lassen, um dort ein peinliches Verfahren gegen sie einzuleiten.

Als aber deren Verwandte und Freunde hievon Nachricht erhielten, trafen sie sofort Anstalt, um die Transportirung zu verhindern und die Gefangenen mit Gewalt zu befreien. Die Bewohner von Marnheim, Albisheim, Bischheim und Rittersheim versprachen hierzu ihre Beihülfe. Den beiden Decker ward heimlich im Gefängniß ein Brief zugesteckt, der sie zur Standhaftigkeit aufmunterte. Als nun am 18. Februar ein Commando von vier Grenadieren mit den Arrestanten von Kirchheim nach Alzei aufbrach, fand es schon vor Morschheim zahlreich versammelte Einwohner aus dieser Gemeinde, sowie aus dem benachbarten Orbis, welche Miene machten, ihm die Gefangenen abzunehmen. Doch trugen die Bauern vermuthlich Scheu, im nassauischen Gebiete selbst der bewaffneten Macht offen entgegengetreten. Anders aber gestaltete sich die Sache, als die Grenadiere mit ihrem Transport in die Gemarkung der zur österreichischen Grafschaft Falkenstein gehörigen Gemeinde Ilbisheim kamen, indem hier plötzlich ein großer, mit Flinten, Pistolen, Dreschflegeln u. s. w. bewaffneter Haufe von Bauern aus allen umliegenden Dörfern gegen das Commando heranrückte, es überwältigte und die Gefangenen in Freiheit setzte.

Nachdem somit das Signal zur Empörung gegeben war, kehrten die Bauern mit ihren befreiten Genossen triumphirend nach Haus zurück. Schon in Ilbisheim ließ aber Nickel Morgenstern durch den Maurer Freyhöfer einen „Verschwörungsbrief“ aufsetzen und ihn noch in derselben Nacht in die obern, an der verübten Gewaltthat nicht betheiligten Gemeinden des Amtes (Damenfels, Sippersfeld, Stauf, Ramsen, Eisenberg, Kerzenheim, Göllheim, Rüssingen und Bolanden) tragen, um auch deren Bewohner auf den andern Tag nach Kirchheim zu entbieten. Das interessante Actenstück, welches übrigens beweist, wie wenig seinen Verfassern ein besserer Schulunterricht geschadet hätte, lautet wörtlich: „Im Namen des ganzen Landes wird hiermit bekannt gemacht und auch jedermann wissen sein, daß wir von unserm rechten Glauben sollen abwendig gemacht werden, und daß sie diejenige protestantische Leyd die es nicht haben wollen einwilligen, in das Zuchthaus nacher Weilburg sollen transportirt werden, so haben wir uns, noch Hilf angeruffen zu Ilbesh. in der Gemarkung, die Arrestanten hinweggenommen, so haben wir uns verbunden, euch alle zuwissen zu thun, wer ein Christ ist der muß des Morgens früh, um fünf Uhr zu Kirchheim erscheinen, im ganzen Land zu erscheinen und keiner auszubleiben, damit unser Protestantie-Krieg ein Ende nimmt. Geschehen Ilbesh. den 18. Februar 1777. Wie schen leicht der Morgenstern von Knat und Worheit von dem Herrn N. M**.“ Neben diesem eigenhändigen Sinnspruch des Nickel Morgenstern folgten noch andere Unterschriften und am Schlusse war das Ersuchen beigefügt: „So ist verbuten Ort vor Ort diesem Boten auch ein Bot mit zu geben, denn es ist ja für uns alle und ohne Aufenthalt damit kein Verzug gibt und niemand ausbleibt um Seligkeit willen.“

Da sich in Albisheim noch während des Tages das Gerücht verbreitet hatte, auch die vier andern Unterthanen, die wegen des ABC-Buchs noch zu Kirchheimbolanden im Gefängniß saßen und worunter drei Angehörige der genannten Gemeinde waren, sollten nach Weilburg gebracht werden, so wurde mitten in der Nacht die Sturmglocke geläutet und die Bauern zogen in Masse gegen die Stadt, bis sie in deren Nähe, zu Bischheim, den Ungrund ihrer Befürchtung erfuhren.

Inzwischen strömten am nächsten Morgen, den 19. Februar in Folge der ausgegebenen Losung von allen Seiten Haufen von Landleuten nach Kirchheimbolanden, wo sie sich in der Vorstadt sammelten. Von hier zogen sie, mehrere hundert Mann stark, lärmend und drohend vor das Amthaus. Auf ihr Rufen erschien der Geh. Rath Frhr. von Botzheim in ihrer Mitte und suchte sie durch freundliche Vorstellungen und Ermahnungen zu beruhigen. Allein dieses Mittel blieb eben so fruchtlos wie sein schließlicher ernster Befehl zum Auseinandergehen. Trotzig und mit Ungestüm verlangten die Aufrührer die Entlassung der übrigen Gefangenen und die Abschaffung des ABC-Buchs. Als dies verweigert wurde, rückten sie gegen das fürstliche Schloß, wo Frhr. von Botzheim sich nochmals unter sie begab, um seine Versuche zur Herstellung der Ruhe zu wiederholen. Allein dieselben hatten so wenig Erfolg als vorher, vielmehr drohten die wüthenden Bauern mit „großem Unglücke, das es absetzen solle“, falls man ihre Forderungen nicht erfülle.

Da die Aufregung einen immer bedenklicheren und gefährlicheren Charakter annahm, Militärmacht aber nicht zu Gebote stand, so war die Regierung endlich genöthigt, die Gefangenen in Freiheit zu setzen. Ein Theil der Bauern war hierdurch befriedigt und verließ die Stadt. Die übrigen aber blieben bis in die Nacht und bestanden nur noch ungestümer auch auf der Abschaffung des ABC-Buchs. Erst als die Bürger, die für ihre und ihrer Habe Sicherheit fürchteten, ankündigten, daß sie auf Verlangen der Herrschaft der Gewalt Gewalt entgegensetzen würden, zog auch der andere Haufen von dannen.

Gleich beim Beginn des Aufstandes hatte der Fürst einen Eilboten mit der Bitte um militärischen Beistand an den Kurfürsten Karl Theodor nach Mannheim abgeschickt. Da dem Boten rasch das Gerücht nachfolgte, daß die aufrührerischen Bauern in Kirchheim schon Häuser zerstörten, so ward die nachgesuchte Hülfe schleunigst gewährt, und bereits am folgenden Tage, 20. Februar, rückte aus Alzei ein Bataillon Pfälzer von achthundert Mann in das Amt Kirchheim ein. Das Erscheinen dieser Truppen, sowie die Thätigkeit der sofort niedergesetzten Untersuchungscommission, welche die Hauptruhestörer gefänglich einzog, wirkte ungemein rasch auf die Einsicht der Unterthanen. Noch am nämlichen Tage erschienen vor dem Amte zu Kirchheim Deputirte von Morschheim, am 21. Februar solche von Bischheim und Göllheim, am 22. von Rittersheim, Orbis und Marnheim, am

  1. Derselbe ist wahrscheinlich auch der Verfasser eines aus siebenzehn Strophen schlechter Knittelverse bestehenden, gegen das ABC-Buch und die indifferent gewordenen Geistlichen gerichteten Kreuzzugsliedes, betitelt: „Glaubensposaune, welche die eingeschläferten, vom wahren Glauben entwichenen und ihre Heerde verlassenden evangelischen Pastores in dem Nassau-Weilburgischen Amt Kirchheim ihres Mayn-Eids erinnert und ihre Schafe zur Beständigkeit aufmuntert, angeblasen von einem treuaufrichtigen benachbarten evangelisch-lutherischen Prediger.“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_058.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)