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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Man will Ihnen, wie ich von Varnhagen höre, keine Concession geben und Sie sollen Ihr Theater schließen? Ist das wahr?“

Mit diesen Worten trat der „alte Pfuel“ bei mir ein, polternd, wie ein gutmüthiger Alter in der Komödie, indem er sich, als sei er mein jahrelanger Gast, in den Lehnstuhl niederließ.

„Leider, Euer Excellenz, ist dies die Wahrheit.“

„Dummheit! Was werden Sie anfangen?“

„Das weiß ich noch nicht gewiß. Ich habe eine Offerte zur Führung eines größeren Hoftheaters, da ich aber mein Vermögen in dem Geschäft stecken habe, so kann ich mich nicht so schnell von Berlin losreißen.“

„Dummheit! Sie müssen in Berlin bleiben! Ihre hübsche Schöpfung darf nicht zerrissen werden. Wollen lachen, die Berliner, ohnehin wenig Veranlassung dazu. Auch Varnhagen ist derselben Ansicht. Hat mir da einen Brief für Sie an den Oberpräsidenten mitgegeben, worin er ihm die Sachlage auseinandersetzt. Wird wirken! Der Oberpräsident ist ein Schulcamerad und alter Freund von Varnhagen. Die Empfehlung dringend. Uebergeben Sie selbe persönlich.“

Bei diesen Worten legte er ein zierliches Briefchen, dessen Adresse die überaus elegante Handschrift Varnhagen’s trug, vor mich hin. Ich glaubte zu träumen: zwei einflußreiche Gönner erwuchsen mir in einem Augenblick, wo ich fast im Begriff stand, die Flinte in’s Korn zu werfen. Zwar hatte ich mich an die Gnade des Prinzregenten gewendet, da aber alle diese Immediatgesuche den Instanzenweg gehen mußten, so hing der günstige Erfolg desselben doch größtentheils wieder von dem Entschluß und Bericht des Oberpräsidenten ab.

Ohne Weitläufigkeit will ich nur noch berichten, daß mein Gnadengesuch an unseren jetzigen König und mein Briefchen Varnhagen’s an den Oberpräsidenten die günstigste Wirkung für mich hatten und daß in kurzer Zeit die Cabinetsordre für eine neue selbstständige Theaterconcession in Berlin in meinen Händen lag, welche meinem und meiner Familie Schicksal eine sichere Basis gab und mich nicht mehr abhängig machte von den Launen meines Vorgängers. Von da ab datirt das „Wallnertheater“ in Berlin.

Von dem Tag an, als ich dem braven Pfuel meinen Dank aussprach für seine Güte für mich, war ich bei ihm, war er bei mir ein gern gesehener Gast, dem ich wohl auch oft in anderen befreundeten Cirkeln, am meisten aber in dem gastlichen Hause der Frau Professorin Mundt begegnete, deren erfolgreiche Wirksamkeit als deutsche Schriftstellerin (Louise Mühlbach) es ihr möglich macht, ihrem Hang zur liebenswürdigsten Gastfreundschaft in ausgedehntester Weise zu genügen. Was ich daher in den nachstehenden Zeilen erzählen werde, habe ich theils von Augenzeugen, theils aus dem Munde Pfuel’s selber, obwohl letzterer sehr schwer und nur in den seltensten Fällen zu bewegen war, über sich selbst zu sprechen.

Pfuel, ein Mann der Wissenschaft, war namentlich in seinen jüngeren Jahren mit vielen literarischen Größen befreundet, unter andern auch mit Heinrich von Kleist, mit dem er einst in Thun in einem Hause wohnte. Abends kam Kleist gewöhnlich mit mehreren Cameraden bei Pfuel zum frugalen Abendbrod zusammen. Eines Tages warteten die Freunde stundenlang vergebens auf Kleist, erst, als die Gesellschaft schon im Begriffe war auseinanderzugehen, trat der Dichter stumm und sichtlich verstört ein. Nach langem Andringen endlich nahm er des theilnehmenden Pfuel Hand in seine beiden, drückte sie krampfhaft, ein Strom von Thränen entstürzte Kleist’s Augen, und mit bebender Stimme würgte er schluchzend die Worte heraus: „Sie ist todt!“ Entsetzt sprangen Alle in die Höhe, um zu erfahren, wem die Schreckenskunde gelte, und waren nicht wenig enttäuscht, als sie erfuhren, das; die „sie“, welche gerade gestorben war, die Heldin des heute vollendeten Trauerspiels „Penthesilea“ sei, von welchem Kleist soeben die letzten Scenen geschrieben hatte. Das brüllende Gelächter, welches dieser Mittheilung folgte, verletzte den Dichter so tief, daß er sich längere Zeit nicht mehr im Freundeskreis sehen ließ.

Zur Zeit des ersten Kaiserreichs lebte Pfuel ein halbes Jahr lang auch in Paris mit Kleist zusammen. Schon damals trug sich letzterer mit Selbstmordgedanken, und machte Pfuel eines Tages allen Ernstes den Vorschlag: „ob er sich mit ihm zusammen tödten wolle?“ Mit seinem gewohnten Phlegma meinte dieser: „Nun, wir können uns die Sache ja überlegen, bis wir nach Berlin zurückkommen.“ In Dresden besuchte Pfuel mit Kleist die Vorstellungen einer Somnambulen. Der sie begleitende Magnetiseur erklärte, daß selbe gegen alle Berührung mit Metallen einen unüberwindlichen Abscheu habe. Nach einer Weile flüsterte Kleist seinem Freunde zu, daß er den Nacken der Hellseherin mit seinem Schlüssel heimlich berührt habe, ohne daß sie irgend Abscheu geäußert. „Nun,“ meinte Pfuel, „so drücke ihr einen harten Thaler in die Hand, dagegen wird sie wohl noch weniger Aversion haben.“

General Pfuel war noch im höchsten Alter der ausdauerndste, kühnste Schwimmer, den man finden konnte. Ich erinnere mich noch meiner Angst, als er – damals hatte er schon zweiundachtzig Sommer hinter sich – in Ostende einst vor mir in die Wellen stürzte, sein Wald von weißen Haaren zuerst wie ein abgezogener Scalp auf dem Wasser trieb, dann untertauchte und lange Zeit jede Spur des alten Herrn verschwand. Als meine Frau, ein Unglück befürchtend, zitternd seinen Namen rief, tauchte in weiter, weiter Ferne ein dürrer, musculöser Fuß grüßend aus den Wellen in die Höhe. Ich fand diese Art, mit den Beinen zu salutiren, ungeheuer komisch. Noch jetzt bewähren sich übrigens die nach seinem System im ganzen preußischen Staat eingerichteten Schwimmanstalten, so wie die von Pfuel erfundenen künstlichen Wellenbäder als mustergültig in ganz Europa.

Als Hauptmann in Coblenz hatte sich unser ritterlicher Pfuel in eine junge, schöne Bäckerstochter verliebt, die lange Zeit seinen heißen Bewerbungen widerstand. Ernst ging der junge Krieger in voller Uniform mit seiner Flamme lustwandelnd an den Ufern des Rheins. Lebhafter als je klangen seine Liebesworte, kälter als früher wurden sie erwidert. Leidenschaftlich gab Pfuel sein Ehrenwort, er wolle sich jetzt vor ihren Augen in die Fluthen des Stromes stürzen, wenn ihn das Mädchen nicht erhöre. Ein spöttisches Lächeln, mit den höhnischen Worten: „Das werden Sie wohl bleiben lassen,“ war die Antwort. Wer beschreibt aber das Entsetzen der Maid, als ihr Begleiter lautlos, „mit Sack und Pack“ in den Rhein stürzte und in den um ihn zusammenschlagenden Wogen verschwand! Schreiend und schluchzend lief sie am Ufer entlang: „Pfuel hat sich in’s Wasser gestürzt,“ rief sie verzweiflungsvoll, „um meinetwillen! – Rettet – rettet!“

Rasch waren eine Menge Menschen versammelt, die Unglücksnachricht ging von Mund zu Munde, einige Officiere machten einen Kahn los, um die Leiche des Selbstmörders zu suchen, als dieser, frisch und wohlgemuth am anderen Ufer auftauchend, an’s Land stieg, sich wie ein nasser Pudel schüttelnd, und seine besten Grüße herüber sandte. Die stolze Schöne aber soll, von dieser Heldenthat gerührt, ein gut Theil ihrer Sprödigkeit verloren haben. Später soll Pfuel, nahe am Greisenalter, als heiße Liebesflammen unter dem Schnee seines Hauptes glühten, diese Leanderfahrt über den Rhein, unter sehr ernsten Verhältnissen, noch oft wiederholt haben.

Pfuel gehörte in den Augen Blücher’s zu den sogenannten „gelehrten Officieren“, gegen welche dieser eine Antipathie hatte, da Gelehrsamkeit kein Fehler war, der den alten “Vorwärts“ drückte. Vor Lützen erging er sich in bitteren Stichreden, die offenbar dem seinem Generalstabe zugetheilten Pfuel galten, „über die gelehrten Soldaten, denen es in der Regel, wenn es gälte, an persönlichem Muthe fehle; er möge diese Sorte nicht leiden und mache kein Hehl daraus.“ Als die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht hatte, hielt Pfuel auf seinem Schimmel in der nächsten Nähe des Heerführers, der sich tollkühn jeder Gefahr aussetzte. Da stürzte eine Granate gerade vor das Pferd Pfuel’s. Alles rief ihm entsetzt zu, sich zu retten, während dieser, wie aus Erz gegossen, ruhig stehen blieb. Jetzt explodirte die Granate; der Gaul stürzte tödtlich getroffen zu Boden, seinen Reiter unter sich begrabend. Mit Mühe wurde dieser unter dem verendenden Thiere hervorgezogen. Blücher sprang von seinem Gaul herab; sein Auge suchte in überquellender Rührung das seines wackeren Officiers, er streckte ihm die Rechte entgegen und rief mit schallender Stimme: „Pfuel, die Hand: Sie sind ein braver Kerl!“

Während der Barricadenkämpfe in den Märztagen des Jahres 1848 sah man einen Greis mit Gefahr seines Lebens im dicksten Kugelregen die verwundeten Soldaten in Sicherheit bringen, während er selbst, vom erbitterten Pöbel bedroht, nur durch die Bemühungen des Abgeordneten Jung gerettet wurde. Der silberlockige Greis war Pfuel.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_012.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)