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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 1.   1867.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr.    Monatshefte à 5 Ngr.



An unsere Freunde.


Wir begrüßen zum fünfzehnten Jahrgang der Gartenlaube unsere Freunde mit der Nachricht, daß dieses von ihnen mit so ehrender Treue bevorzugte Familienblatt von heute ab in einer Auflage von

210,000 Exemplaren

erscheint. Wir danken diesen auf der ganzen Erde unerreichten Erfolg der in Deutschland immer heimischer werdenden Bildungsfreude, deren Segen für das Gemeinwohl und den nationalen Aufschwung unseres schönen Vaterlandes nicht ausbleiben kann. Uns aber legt die großartige Anerkennung, die in dem Erfolge selbst sich ausspricht, die Verpflichtung auf, unser Familienblatt solcher Auszeichnung immer und in jeder Weise würdig zu erhalten.

Leipzig, am Weihnachtsfeste 1866.

Die Redaction. 


Die Brautschau.

Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
1. Die Sichelhenk.

Die Sonne hatte sich geneigt; wie ein Goldstrom fluthete es von der Ebene durch die breit sich öffnende Thalmündung herein in die traute Bergeinsamkeit, in welcher der Schliersee sich lieblich eingebettet hat. Am Fuße der Berge, in den Obsthainen des Dorfes und der zerstreuten Einzelhöfe dämmerte es schon stark, aber die höheren Halden zu beiden Seiten hinan waren noch hell genug, daß die herbstlich roth gefärbten Buchenwipfel wie mächtige Blumenbüschel aussahen, mit denen das Tannengrün der Wälder besteckt war. Die Gipfel der Berge, der breite Rücken der Rohn und der scharfe Zackengrat des Jägerkamms glänzten im letzten Strahl eines schon erlöschenden Alpenglühens; klar, duftig, hell und kühl wölbte sich der andunkelnde Abendhimmel darüber, mit manchem aufblitzenden Sternlein geziert, und all’ das Glühen und Dunkeln, das Licht und die Nacht, Höhe und Tiefe spiegelte sich wieder in der Fläche des Sees, gleich als wär’ er ein fühlend Menschenherz, das Erd und Himmel aufgenommen und in sich vereinigt habe.

Die Ruhe und Stille eines sanften Entschlummerns waltete über der ganzen Landschaft; nichts war zu vernehmen, als hier und da ein Ton, der sich anhörte wie ein im Beginn unterbrochenes oder halb verwehtes Glockenläuten. Er kam von der Anhöhe herab, wo aus dichten Obstbaumwipfeln sich Giebel und Altane eines stattlichen Bauernhauses emporhoben; vor demselben auf der Grad saß ein alter Mann, an dem dort überall angebrachten Steinwürfel, in welchem ein Stück Eisen eingelassen ist, um ihn als Ambos brauchbar zu machen. Der Alte hielt eine Sense über das Eisen und „dengelte“ sie mit kunstgerechten Hammerschlägen, ihr die bei der Arbeit abgenutzte Schärfe wiederzugeben.

Um das Haus herum und in ihm war es nicht minder still als in der Umgebung; alle häusliche und ländliche Arbeit schien gethan, wie am Vorabend eines Festtages, wo die Feierstunde wohl ein wenig früher zu schlagen pflegt; der mächtige Rauch, der aus dem Schornstein aufwirbelte, bestätigte die Vermuthung und schien anzudeuten, daß man auch in der Küche tüchtig daran war, zu etwas Ungewöhnlichem zu rüsten. Die Emsigkeit des Alten in der allgemeinen Ruhe hatte etwas Sonderbares, aber so eifrig er auch über seiner Sense her war, mochten seine Gedanken doch anderwärts umherwandern, denn es geschah wohl, daß die Hammerschläge zeitweise immer langsamer wurden. Dann ließ er den Hammer auch wohl völlig sinken, horchte forschend um sich und blickte nach der Richtung der Landstraße hin, die sich hell und schmal durch den Thalgrund heranschlängelte. Manchmal hielt er sogar die Hand über die Augen, als wäre das Blenden der Abendsonne daran schuld, daß er nichts sehe.

„Weit und breit keine Spur,“ murrte er dann grollend vor sich hin, „es ist schier nimmer zu machen mit dem Loder, dem nichtsnutzigen! Ich werd’ ihn einmal tüchtig in’s Gebet nehmen müssen.“

Dann griff er wieder zu, und als hätte er den Erwarteten schon vor sich, schwang er den klingenden Hammer tüchtig und ließ die Sense seinen Unmuth entgelten.

Der Mann mochte ein Sechsziger sein; wenn er arbeitete, sah er gebeugt aus und das vollständig weiße Haar ließ ihn älter erscheinen; richtete er sich aber auf, dann war nicht zu verkennen, daß in der hagern sehnigen Gestalt noch Kraft und Rührigkeit wohnte, und unter den etwas wirren buschigen Haaren und Brauen funkelten ein paar entschlossene Augen, als wäre der Mann an’s Befehlen gewöhnt und nicht recht wohl geartet, Widerspruch zu ertragen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_001.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)