Seite:Die Gartenlaube (1866) 700.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

auf meine Verantwortung hinauf und stattet dem alten Nest einen Besuch ab – es liegt so jetzt öde und einsam genug zwischen den Büschen, und der alte Wildenfels muß schmähliche Langeweile haben.“

„Wer?“ frug Einer der Fremden, „der alte Wildenfels? wohnt denn Jemand oben?“

„Wohnen? Gott soll uns bewahren, wer möchte in dem alten Eulennest wohnen,“ sagte ein anderer der Gäste, der Stadtschreiber Mahler, indem er über seine Brille hinweg nach dem Fremden sah. „Hugo von Wildenfels, wie der letzte Bewohner jener Raubburg hieß, soll dort, der Volkssage nach, noch hausen und manchmal, den abgeschlagenen Kopf in der Hand, auf den Zinnen spazieren gehen.“

„Alle Wetter, das wäre interessant, dem zu begegnen!“ lachte einer der jungen Leute.

„Soll nur da hausen, Herr Stadtschreiber?“ sagte ein kleines graues Männchen, das etwas abseits von den übrigen an seinem Schoppen saß und bis jetzt ununterbrochen Wallnüsse dazu geknackt hatte; „ich dächte wir hätten hier in Wellheim doch genügend Beweise, daß er wirklich gesehen ist, denn die Achtbarkeit der Zeugen läßt sich nicht bestreiten.“

„Mein lieber Herr Registrator,“ rief ein junger Beamter, „wer hat ihn denn eigentlich gesehen? Ihr Vetter der Apotheker, und was das für ein Windbeutel ist, wissen wir Alle zusammen.“

„So?“ sagte das alte, etwas engbrüstige Männchen gereizt, „und meine Schwägerin – Gott hab’ sie selig – hat wohl nicht vor jetzt drei Jahren fast den Tod vor Schreck gehabt, als sie eines Abends mit einer Gesellschaft von Hellenhof herüberkam und in ihrem Uebermuthe noch einen Abstecher nach der Burg machte? Sie hat nachher sechs Wochen das Bett hüten müssen, so war ihr der Schreck in die Glieder gefahren.“

„Na,“ nahm da noch ein Anderer des Registrators Partie, ein pensionirter Steuerbeamter, der hier in Wellheim seine kleine Pension verzehrte, „ich dächte doch, wir hätten auch in diesem nämlichen Jahr Beweise genug, denn zweimal hat er sich da gezeigt und jedes Kind weiß, was für ein gutes Weinjahr das jedesmal verspricht. Der alte Gärtner Weber, dem gewiß Niemand nachsagen kann, daß er lügt, hat ihn selber das eine Mal gesehen, und das zweite Mal Ihr eigener Bruder, Rosel, der doch auch sonst nicht gerade abergläubisch ist.“

„Und ich glaub’s doch nicht,“ sagte Rosel, die, beide Ellbogen mit beiden Händen haltend, lächelnd dem Gespräch zugehört hatte, „und wenn’s selber mein Bruder gesehen haben wollte.“

„Junges, übermüthiges Blut,“ sagte der alte Registrator, „glaubt nur immer das, was es selber sieht, und selbst das nicht immer, muß erst durch Schaden klug werden, und wenn ältere Leute etwas sagen, so wird gewöhnlich darüber gelacht und gespottet.“

„Ach, bester Herr Registrator,“ erwiderte Rosel freundlich, „glauben Sie ja nicht, daß ich spotten wollte; nur die Geschichte von dem Ritter, der den Kopf unter dem Arme tragen soll, kommt mir so wunderbar vor, denn wenn dort oben noch etwas von dem alten Herrn von Wildenfels umgeht, so kann es doch nur der Geist desselben sein und nicht der Körper, und ein Geist kann doch wohl nicht mit abgeschlagenem Kopf umherwandern, denn wer wäre im Stande einem Schatten den Kopf abzuhauen.“

„Du redest gerade wie Du’s versteh’st, Kind,“ sagte der Registrator, ein alter Stammgast des Hauses, der auch bei der Rosel Pathe gestanden und sie oft auf dem Arme herumgetragen hatte, weshalb er sie auch noch immer Du nannte. „Der Schatten ist doch nur der Wiederschein des Körpers, und wenn man einem solchen den Kopf herunterschlägt, so kann ihn doch der Schatten nicht aufbehalten. Der Schatten wird natürlich nicht enthauptet, aber der Körper, und dadurch zugleich der Schatten.“

„Mein liebes Fräulein,“ bemerkte jetzt der alte Steuerbeamte, der ‚Herr Hauptcontroleur‘ in der Stadt betitelt wurde, da sich ein Mensch ohne Titel nicht gut denken ließ und nie im Leben hätte auf Pension Anspruch machen können, „Sie werden gewiß nicht leugnen wollen, daß es Dinge auf Erden giebt, die unser Verstand zu schwach ist zu begreifen, und daß wir durchaus noch nicht mit unseren Seelenkräften im Klaren sind, in wie weit wir mit einer anderen Welt in Verbindung treten können. Auch soll man Gott nicht versuchen, liebes Fräulein,“ setzte der Alte ernst hinzu, „und ein guter Christ hat an den Stätten, wo der Herr irrende Seelen zur Strafe umwandeln läßt, in der dafür bestimmten Nacht nichts zu suchen.“

„Lassen Sie’s sein, Herr Hauptcontroleur,“ lachte der Bäckermeister; „die Rosel ging auch nicht bei Nacht zu dem alten Schlosse hinauf. Bei solchen unheimlichen Geschichten ist uns Allen nicht geheuer, und es überläuft Einen schon ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn man einmal Nachts im Holze draußen nur einem


Das Ständchen.
Illustriert von Carl Schlesinger. ( Aus Bodenstedt’s Album.)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_700.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)