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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 44.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Doppelcur.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)


„Ich Dich verleitet, Alwine?“ sagte Ernst, „wahrhaftig, das ist ein ungerechter Vorwurf … ich habe Dich zu dem abscheulichen Novellenschreiben nicht verleitet … Du selbst hattest den glücklichen Einfall, auf diese Art Deine Zeit, die Du als Frau wahrhaftig besser benutzen könntest, todtzuschlagen, und Du siehst nun, was dabei herauskommt!

„Aber Du, Du warst es doch,“ entgegnete Alwine, „der mir den Stoff unterschob, und Du mußtest doch wissen, was Du thatest, Du mußtest die Geschichte irgendwo gehört haben.“

„Ich … die Geschichte gehört haben? Aber ich begreife Dich nicht … ich hätte Dir den Stoff untergeschoben … welche Frauenbehauptung! Und das sagst Du an derselben Stelle sitzend, wo wir damals friedlich und harmlos zusammensaßen und Beide gemeinschaftlich das Ganze als ein ganz freies Gewebe der Einbildungskraft ausspannen?“

„Ernst, Du kannst mich nicht glauben machen wollen, daß uns der bloße Zufall dazu geführt habe, so …“

„Ja, aber mein Gott, wenn der Mensch, von dem Du sprichst, wirklich nicht verrückt war, so liegt das ja vor Augen!“

„Es ist ja ganz unmöglich,“ rief die Frau aus.

„Hat er Dir gesagt, daß er seine Geschichte Jemandem anvertraut habe, der sie mir hätte wiedererzählen können?“

„Nein, das nicht,“ entgegegnete Alwine.

„Und es sei Deine Novelle ganz und genau dieselbe Geschichte, welche er erlebt oder die er gemacht oder in die er verwickelt?“

„Ganz genau nicht; manche Nebenumstände, warf er mir vor, habe ich ersonnen oder anders dargestellt, um die Sache ein wenig zu verkleiden, aber die Hauptsache und der Kern treffen so mit seinen Erlebnissen zu, daß Jedermann es sich werde auslegen können, der seine Verhältnisse kenne, und es bliebe ihm nichts übrig, als vor dem Scandal, den die Sache machen werde, auf und davon zu gehen und sich unter ganz fremde Menschen zu flüchten.“

„Ich meinte, er wolle sich schießen mit mir?“

„Das will er auch – schon morgen – und sich flüchten!“

„Das ist wirklich fürchterlich,“ sagte Ernst, indem er die Hände zusammenschlug und sehr niedergedrückt aussah, „mich schießen zu sollen ist mir gar keine angenehme Aussicht … es ist und bleibt eine gefährliche Sache, namentlich wenn man wie ich seit vielen Jahren keine Waffe mehr in der Hand gehabt hat …“

„Du denkst doch nicht daran, gegen den rasenden Menschen Dein Leben auf’s Spiel zu setzen?“ fiel Alwine in höchster Bestürzung ein.

„Eine Herausforderung kann ich nicht ablehnen; ich bin durch alle Gesetze der Ehre gezwungen, ihm Satisfaction zu geben, wenn er sie verlangt.“

„Herr des Himmels, Du wolltest wirklich …?“ Alwine war einer Ohnmacht nahe.

„Ich habe es geahnt,“ fuhr Ernst fort, „daß Unheil aus der Sache entstehen würde, ich habe es geahnt; Du wirst Dich erinnern, daß ich’s Dir auch gesagt, daß ich Dich gewarnt habe. Ich sagte Dir, daß man nichts erfinden könne, was nicht schon ein Mal da gewesen, daß man also immer Gefahr laufe, verletzend, Unheil stiftend in die Verhältnisse wirklich lebender Personen einzugreifen, wenn man nur von erdichteten zu erzählen glaube; Du siehst, wie Recht ich hatte, wie sehr Recht! Wärst Du doch nie auf den unseligen Einfall gerathen!“

„Ja, ein unseliger Einfall, das war er gewiß! Zehn Jahre, meines Lebens gäbe ich, wenn ich ihn nicht gehabt hätte,“ antwortete Alwine und brach in einen Strom von Thränen aus. Der Schrecken, die Angst, die furchtbare Aufregung, worin sie besonders bei dem Gedanken, daß Ernst sich wirklich werde schießen müssen und daß er fallen könne, gerathen war, nahmen ihr alle Besinnung, alle ruhige Ueberlegung. Sie fühlte sich als die schuldigste, jeder Verzeihung unwürdigste Verbrecherin, und ohne über die Seltsamkeit der Thatsache nachzusinnen, wozu sie gar nicht im Stande war, fühlte sie sich erstarrt von dem Schrecken, den dieselbe über sie gebracht hatte.




Es war am andern Morgen. Unser Rechtsanwalt wanderte, in einem von seiner Wohnung sehr entfernten Stadttheile, durch eine neuangelegte Straße und zog an einem schmal aufgebauten neuen Hause die Klingel. Als sie geöffnet wurde, verlangte er den Herrn Färber zu sprechen. Herr Färber war zu Hause und Ernst wurde in sein Zimmer geführt, das ein wenig wie das Zimmer eines Junggesellen aussah; der Inhaber desselben, ein junger Mann von etwa acht- oder neunundzwanzig Jahren, war noch im Schlafrock und saß über eine architektonische Zeichnung gebeugt; Herr Färber war Architekt, wie es schien. Als Northof eintrat, sprang er auf und schritt ihm lebhaft entgegen.

„Nun, sind Sie mit mir zufrieden?“ sagte er lächelnd.

„Vollkommen … Sie haben Ihre Rolle vortrefflich gespielt; ich fürchte fast, Sie haben vor meiner armen kleinen Frau zu sehr den Wütherich gemacht, sie liegt heute unwohl zu Bett.“

„Das thut mir in der That leid, aber wirklich, ich habe nur gesagt, was Sie mir so ungefähr vorgeschrieben, und die Rücksicht,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_681.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)