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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

von Paris Unterkommen und damit nicht allein den benöthigten Verdienst, sondern auch die heißerwünschte Gelegenheit mehr und mehr zu lernen. Gern erzählt er noch heut’ beim Glase Wein, wie er dort an dem Staatswagen für den König Joseph von Spanien mitgeholfen, die Kinderequipage des kleinen Königs von Rom allein verfertigt, an den Instrumenten für den großen Leuchtthurm im Havre de Grace mit gearbeitet hat. Die Hauptsache aber war, daß in dieser Wagenfabrik der kaiserliche Oberst Pauly auf ihn aufmerksam wurde. Dieser besaß selbst eine Fabrik der verschiedensten Eisenwaaren, verfertigte aber auch Gewehre. Dreysse hatte es namentlich in der Kunst des Feilens und Drehens weit gebracht, war ein geschickter Modelleur und ungemein glücklich in der Auffindung von Verbesserungen und Vereinfachungen. Pauly nahm Dreysse zu sich und von diesem Zeitpunkt datirt eigentlich der Gewehrarbeiter Dreysse. Pauly beschäftigte sich ungemein viel mit allerlei Versuchen und Verbesserungen der Schießwaffen und wurde dabei von Dreysse energisch und erfolgreich unterstützt. Fast klingt es wie ein Märchen, und doch ist es vollkommen wahr, daß der Kaiser Napoleon unserem Dreysse die erste Idee zu dem Hinterladungssystem gegeben bat, indem er Pauly beauftragte, ein derartiges Gewehr zu construiren. Das Ding kam zwar zu Stande, war aber so ungeschickt und complicirt, daß von einer praktischen Anwendung im Kriege nicht die Rede sein konnte. Was dem Lehrer mißlang, das sollte, wenn auch erst nach langen Jahren, dem Schüler glücken.“

„Wunderbar!“ rief ich überrascht. „Das Genie Napoleon’s mußte dem deutschen Schlossergesellen den Anstoß zu seiner wichtigen Erfindung geben!“

„Von der Idee aber bis zur Ausführung,“ fuhr mein freundlicher Graukopf fort, „war noch ein weiter, dornenvoller Weg, den jedoch mein Freund mit seltener Beharrlichkeit verfolgte. Nach einem langen Aufenthalte in Paris kehrte Dreysse 1814 nach Sömmerda zurück, wo er zunächst seinen inzwischen gealterten und kränklichen Vater in seinem Geschäfte und der kleinen die Familie mit ernährenden Oekonomie kräftig unterstützte. Das war im Jahre 1814, als der erste Pariser Frieden eben geschlossen war. Es ist mir noch wie heute, als Abends beim Bier erzählt wurde, Dreysse, der Pariser, wäre wieder da. Einige Jahre arbeitete Nikolaus nunmehr als Geselle bei seinem Vater, machte dann sein Meisterstück und übernahm darnach im Jahre 1818 das Geschäft seines Vaters für eigene Rechnung und damit die Pflicht der Sorge für die gesammte, aus Vater, Mutter, einem Bruder und zwei Schwestern bestehende Familie. Noch vor seiner im Jahre 1821 erfolgenden Vermählung mit Dorothea Ramann hatte er neben seiner Schlosserei ein kleines Eisenwaarengeschäft etablirt und sich dadurch vielerlei Bekanntschaften und Verbindungen mit den umliegenden Orten und den daselbst existirenden Eisenwaaren-Etablissements erworben. Neben der Schlosserei, dem kleinen Geschäfte, ja selbst neben der eigenhändigen Mithülfe bei der nicht großen Landwirthschaft seiner Eltern bestrebte sich Dreysse fort und fort die Kenntnisse zu verwerthen, die er im Auslande gesammelt. Er construirte Maschinen von allerdings geringen Dimensionen, weil immer noch sehr beschränkt in den daran aufzuwendenden Mitteln, mit denen er Eisenwaaren auf sogenanntem kalten Wege herstellen konnte; er erfand eine Maschine, mit welcher er z. B. Nägel schnitt, während diese doch bisher nur geschmiedet wurden; er fertigte ferner Maschinen zu rascherer Herstellung von Fensterbeschlägen in größerer Anzahl, während bisher die Stücke einzeln fabricirt werden mußten.

So hatte er auf Anregung eines Geschäftsfreundes Namens Zierfuß aus Frankenhausen eine Knopfzange construirt, mit welcher immer je sechs Knöpfe auf einen Druck fertig wurden. Zufällig sieht diese Zange Collenbusch, der Reisende eines Eisenwaarengeschäfts in Erfurt, das Friedrich Kronbiegel gehörte und an Dreysse Eisenwaaren für dessen Handel lieferte. Collenbusch fragt den in der Werkstelle allein befindlichen Vater Dreysse nach dem Verfertiger der Zange. ‚Die hat mein Franzose, der Niklas, gemacht,‘ antwortet der Vater und deutet dabei nach dem Fenster, durch welches man diesen im Hofe mit landwirthschaftlichen Arbeiten beschäftigt erblicken konnte. Nikolaus wird hereingerufen und nach dem Preise für Ueberlassung der Knopfzange gefragt und, als er den Verkauf ablehnte, aufgefordert als Werkmeister in die Fabrik Kronbiegel’s einzutreten; als er auch dies Anerbieten zurückwies, weil er – wie er bemerkte – schon in Paris Werkmeister gewesen wäre, eine selbstständige Stellung aber vorzöge, bittet Collenbusch um eine Frist von drei Tagen, innerhalb welcher Dreysse die Knopfzange nicht weggehen solle. Dies wird ihm bewilligt und nun reist Collenbusch nach Erfurt zurück und meldet seinem Principal den wichtigen Fund. Beide fahren ohne Säumen zusammen nach Sömmerda, und da Dreysse es entschieden ablehnt, Sömmerda und seinen alten Vater zu verlassen, entschließt sich Kronbiegel, der sich wohl von der Bedeutung des jungen Dreysse für sein Geschäft nachgerade überzeugt haben mochte, dasselbe nach Sömmerda zu verlegen und Nikolaus Dreysse zum Compagnon desselben anzunehmen. Das Abkommen kam im Jahre 1821 bald nach der Verheirathung Dreysse’s zu Stande. Zuerst führte das Geschäft den Namen Kronbiegel’s; als dieser aber bald darnach starb, der Reisende Collenbusch die Wittwe desselben heirathete, als inzwischen von Dreysse das vervollkommnete Zündhütchen und eine Maschine zur Herstellung des Zündhütchens in größeren Massen erfunden und vom preußischen Staate patentirt worden war, nahm das Geschäft die Firma Dreysse und Collenbusch an. Sie können die Gebäude dieses Geschäftes, das, obwohl Dreysse längst ausgeschieden, gleichfalls zur höchsten Blüthe entfaltet ist, wenige Schritte von hier in Augenschein nehmen.“

Mein Begleiter war selbst so freundlich mich zu dem dem Schützengarten schief gegenüberliegenden Fabrikgebäude zu führen und mir einige Aufklärungen zu geben. Dann fuhr er fort:

„Bald nach Beendigung der französischen Kriege und dem Wiener Friedensschlusse, mit welchem Sömmerda, das bis zum Jahre 1803 kurmainzisch, dann bis 1807 preußisch, von da ab aber französisch gewesen, definitiv zu Preußen zurückkam, war die Percussionswaffe auch in Deutschland mehr und mehr zur Geltung gelangt und die preußische Regierung hatte die Umänderung der alten Steinschloßgewehre in Percussionsgewehre vorzunehmen beschlossen. Dreysse wurde dadurch zu den verschiedensten Versuchen, eine besonders gute und tadellose Zündmasse zur Füllung der Zündhütchen herzustellen, veranlaßt. Mit Hülfe der Apotheker Baudius und Kahleis, tüchtiger Chemiker, und eines geschickten Waffenpraktikers, Büchsenmacher Burchard, fand er endlich unter den lebensgefährlichsten Experimenten eine Zusammensetzung, die allen Wünschen und Anforderungen entsprach, und die Firma erhielt im Jahre 1824 ein Patent für Zündhütchen. Bis zum heutigen Tage haben die deutschen Bundesstaaten und andere Staaten Europas ihren Bedarf an Zündhütchen fast nur allein aus dieser Fabrik bezogen, noch größere Massen sind über das Meer gewandert. Nachdem Dreysse noch im Jahre 1825 eine Dampfmaschine nach einer neuen Construction erfunden und von der preußischen Regierung patentirt erhalten hatte, kehrte derselbe gänzlich zu der Aufgabe, die er sich gestellt und nie ganz aus dem Auge gelassen, wenn auch inzwischen etwas vernachlässigt hatte, der, ein verbessertes Gewehr herzustellen, zurück und widmete sich von nun an derselben ausschließlich.“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Pariser Bilder. Kürzlich hatte ich einmal gar keine Arbeitslust und bummelte auf den Straßen umher. Ich sehnte mich nach Deutschland und zwar um so lebhafter, je schwächer für mich damals die Aussichten waren heimkehren zu können. Unwillkürlich sang ich zu einer passenden Melodie die ersten Verse von Heines Gedicht:

„O Deutschland, meine ferne Liebe,
Gedenk’ ich Deiner, wein’ ich fast.“

„Ha, Freund Eugen,“ rief eine mir wohlbekannte Stimme, „wo kommen Sie her, wo gehen Sie hin?“

„Ich komme vom Hause und gehe in’s Blaue hinein.“

„Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, gehen Sie mit mir, meine Frau soll uns Thee machen, vielleicht kommt Mademoiselle Fleurette, und haben Sie heute Lust einen guten Zuhörer zu machen, so lese ich Ihnen mein neuestes kleines Lustspiel vor. Fleurette ist ein Mädchen voll Mutterwitz, sie hat mir schon manchen guten Wink gegeben, sie soll in dem Stück eine Hauptrolle spielen.“

„Ich danke für diese freundliche Einladung und nehme sie an.“

„Schön, erst aber muß ich noch einen Bekannten besuchen; wollen Sie mit mir hingehen?“

„Zu wem?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_631.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)