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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 37.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dommeister von Regensburg.
Geschichtliche Erzählung von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Alle Thore und Ausgänge der Stadt, die sie kennen, sind besetzt,“ sagte der Stadtkämmerer verächtlich zu Margarethe, nachdem er einen kräftigen Zug aus dem ihm gereichten Becher gethan. „Ein klug Mäuslein kennt der Schlupflöcher mehrere … ich laufe keine Gefahr; gestern schon wär’ ich unangefochten aus Regensburg gekommen, hätt’ ich’s nicht noch für nöthig gefunden, dem kaiserlichen Hauptmann ein Wort zu sagen; auf dem Wege zu ihm ergriffen sie mich …“

„Nicht doch, die offen betriebenen Vorbereitungen zur Abreise hatten Dich schon verrathen …“

„Glaubst Du das auch, thöricht Kind? Die Vorbereitungen waren nur ein Vorwand, das rothe Tuch, das man dem wilden Stier vorhält, daß er darauf losstürzt und sich darein verwickelt, um dann gefahrlos von der Seite her angefallen zu werden! Ich dachte nicht daran, die Stadt zu Wagen oder zu Roß zu verlassen, aber glauben sollten es die Schreier und während sie an Brücken, Thoren und Straßen Wache standen, wäre ich lang auf sicherem Kahne die Donau hinabgeschwommen nach Staus und hätte diesen Morgen meine Spießknechte herangeführt, daß sie auch ein Wörtlein mitgesprochen bei dem heutigen Rathsgespräch!“

„Ich kenne und verehre Deine Klugheit, Vater,“ sagte Margarethe schmeichelnd, „aber warum jetzt noch auf dem Vorhaben bestehen? Hat doch Alles eine andere Wendung genommen seit diesem Morgen: die Bürger werden ruhig bleiben, bis ihr Hauptmann wieder kommt …“

„Sieh doch,“ rief Lyskirchner und heftete einen durchbohrenden Blick auf Margarethe, „Du hast Dich doch sonst nie um der Stadt Hader und Zwiespalt gesorgt und bist auf einmal so wohlunterrichtet! Von wannen kommt Dir solche Kunde?“

„Frau Diemuth hat mir Alles erzählt,“ stammelte das Mädchen erröthend und mit gesenktem Blick.

„Dann höre noch von mir, daß das eben der günstige Augenblick des Gelingens ist! Der Führer, den die tolle Schaar gefunden, ist fort … das Ungeheuer ist ohne Kopf; es gilt, ihm schnell den Rest zu geben, eh’ ihm ein anderer wächst! Mag Jener zum Kaiser reiten; bis er wiederkehrt, hab’ ich mit des Kaisers Hauptmann einen raschen Schluß zuwege gebracht. … Fülle mir den Becher noch einmal und schweige davon … Du hältst mich nicht zurück!“

„Ich schweige nicht,“ erwiderte sie, anmuthig credenzend, „und möge dieser Trunk Dir so zu Kraft und Heil gereichen, als ich hoffe, daß es mir gelingen wird, Dich dennoch zu halten… Du bist gebunden, Vater, und bedenkst es nicht, aber Du wirst es fühlen, wenn ich Dich mahne! Es ist heute nicht mehr, wie es gestern war; denkst Du der Zusage, Regensburg nicht eher zu verlassen, als bis der Stadtfriede wieder hergestellt ist …“

„Thörin! Die Zusage ist aufgehoben … soll ich dem Treue halten, der mich gefangen nahm?“

„… Frag’ Dich selbst, Vater, wer es war, der zuerst gegen die Treue gefehlt … Du weißt am besten, wie es gemeint war mit dem Rathsgespräch …“

„Was versteht ein Kind, ein Weib von solchen Dingen! Willst Du urteln und rechten über der Männer Rath? Wenn der Feind mir die Schlinge um den Nacken geworfen, soll ich mich seiner nicht erwehren … ihn nicht niederstoßen und fein abwarten, bis es ihm beliebt, die Schlinge zuzuziehen und mich zu erwürgen?“

„Unnütze Sorge, Ihr hattet nichts zu befahren, Vater …“

„Nichts zu befahren?“ fragte der Kämmerer mit finsterem Blick und steigender Aufmerksamkeit. „Wie kannst Du das ermessen, Du, die bisher sich nur um ihre Kunkel gekümmert, um ein neu Wämmslein oder um Schmuck? Woher diese Zuversicht? … Ich errathe, wem sie gilt! Du denkst an den Uebermüthigen, dessen Name Galle ist in meinem Munde … lüge mir nicht, Du denkst an den Steinmetz … Du kennst ihn, hast mit ihm geredet?“

„Ich lüge nicht, Vater,“ erwiderte Margarethe einfach, „ich hab’ den Meister nicht gekannt, bis Du selber mir ihn gestern gezeigt … ich hab’ kein Wort zu ihm geredet, als Du selber gehört, aber Du hast Recht, Großvater, ihn hab’ ich gemeint … der Dommeister hätte Keinem ein Leid gethan, hätt’ es nicht gelitten, daß Einem ein Leid gescheh’ … der Mann sieht aus, wie Einer, der nur thut, was Recht ist!“

Die Augen des Kämmerers funkelten immer unheimlicher. „Sieht er so aus vor Deinen verblendeten Augen, thörichte Dirne?“ rief er. „So bin ich es wohl, der Unrecht thut, und mein graues Haupt erscheint Dir bedeckt mit Arglist und Verrath? Ungerathene, ein langes Leben hindurch habe ich unerschütterlich und rastlos für das gestanden und gekämpft, was mir Recht gedünkt, weil es nicht allein mein Recht, das meines Stammes, weil es das Recht der edlen Geschlechter, das Recht Aller war, die durch Geburt, Reichthum und das Ansehen von Jahrhunderten über dem gemeinen Volk sich erheben, das mit dem Tage kommt und verschwindet, und die darum zum Regiment berufen sind, wie Insel und Klippe das Meer beherrschen zu ihren Füßen! Mein Bewußtsein, meine Ueberzeugung war mein Stolz und mein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_569.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)