Seite:Die Gartenlaube (1866) 562.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

unten im Hof giebt Wasser, so frisch und so kalt wie Eis. Es ist ja Christenpflicht, daß man die Durstigen tränken soll, und wenn Ihr doch einmal glaubt, daß Euch das Gold nichts mehr nütze …“

Er hielt beide Hände aneinandergelegt gegen Lyskirchner hin, daß sie eine Art Schüsselchen bildeten; ein gierig grinsendes Lachen verzerrte sein Gesicht. Der Stadtkämmerer schleuderte ihm den Beutel zu.

„Recht so, recht so,“ lachte der Weber, „Ihr seid auch ein guter Christ und werfet von Euch, was Euch ärgert! Dafür will ich hinunter zum Brunnenwirth und Euch mein Krüglein voll des besten Gänseweins füllen bis an den Rand …“

Mit Einem Zuge stürzte er den Rest des Kruges aus und stieg dann unter stetem Grinsen und Lachen über die Beine und Hellebarden der schlafenden Schmiede weg; vor der Thür des Vorsaales in dem halbdunklen Gange hielt er jedoch an, blickte höhnisch nach dem innern Gemache zurück und ließ die Goldstücke eins nach dem andern vergnüglich in seine Tasche gleiten. „Dummkopf!“ knurrte er vor sich hin. „Er glaubt wohl, ich soll es nicht merken, daß er mich fortbringen will? daß er, wenn ich nur erst weg bin, zwischen den schlafenden Wächtern zu entwischen hofft? … Er denkt nicht, daß die Andern da vorn im Gang und auf der Stiege keine Maus durchlassen, und ein solcher Mensch ist so viele Jahre der Herr der Stadt gewesen? Ein solcher Hohlkopf hat über so Viele das Regiment gehabt, die allesammt klüger sind, als er? Hahaha, da ist es ja ein gutes Werk, ihn abzusetzen, und der darf wohl Wasser trinken, damit er lichte Augen bekommt!“

Damit eilte er der Stiege zu.

Der Stadtkämmerer lauschte einen Augenblick auf die verhallenden Tritte; dann erhob er sich geräuschlos, warf einen scharfen forschenden Blick auf die schlafenden Gesellen und stand im nächsten Momente vor dem Holzgetäfel, mit welchem die Wand verkleidet war. Tastend glitt seine Hand daran hin, dann ein leises Knarren, eine Tafel wendete sich nach innen und ließ einen dunklen Raum erkennen, groß genug, um einem sich bückenden Manne das Durchschlüpfen zu gestatten. Lyskirchner sah noch einmal in dem Gemache umher, dann trat er hinein und das Getäfel legte sich wieder lautlos und spurlos in seine Fugen.

Es währte nicht lange, bis der Weber wieder im Vorsaal erschien und behutsam wie zuvor zwischen den Wächtern durchschlüpfte. „Da bin ich schon wieder!“ rief er leise, „und Wasser habe ich, so frisch und klar, daß mich schier selber die Lust angewandelt, davon zu kosten… Nehmt und laßt …“

Er verstummte, denn jetzt erst gewahrte er, daß sein durstiger Gefangener entschwunden war, und in wildem Zorn stieß er den Krug auf den Tisch, daß er knackte und das Wasser überfloß. „Heiliges Blut von Neumarkt!“ knirschte er in sich hinein. „So hat er mich doch überlistet und hat den Dummkopf zurückgelassen, daß ich ihn selbst auf meine Achseln setzen kann! O, wir sind noch lang nicht klug genug, um es den Geschlechtern gleich zu thun; wir können’s nicht sein, weil wir nicht so schlecht sind, weil wir auf Treu und Glauben halten, selbst wo man einmal ein Auge zudrücken muß! Der Spitzbube, während ich drauf aus war, ein christlich Werk zu thun, hat er mich betrogen! Wo er nur durchgekommen sein mag! Durch die Thür ging’s nicht, der Boden muß ihn verschluckt haben oder er ist ein Hexenmeister und ist durch die Luft davon geritten! Was thu’ ich nun? Wenn sie sehen, daß er entwischt ist, daß der Kopf der Schlange davon ist, dem der Leib wieder nachwächst, dann geht’s an meinen eigenen Kragen … sie werden glauben, ich hab’ ihm durchgeholfen, und das verzeihen sie mir nie! … Ich muß machen, daß man ihn nicht vermißt, daß seine Flucht so lang als möglich verborgen bleibt… Ich will’s machen, wie die Andern; ich will auch thun, als wenn ich des Guten zu viel gethan und wär’ eingeduselt darüber … einen Krug über den Durst, das verzeihen sie mir noch am leichtesten … vorher aber gilt’s, meinen Goldvögeln ein sicher Nestlein zu bauen …“

Sorgfältig nahm er den Gürtel vom Leibe, trennte ihn von innen auf und schob die Münzen hinein; dann band er ihn wieder fest und kauerte sich ruhig neben die schnarchenden Wächter, den umgestürzten Weinkrug zur Seite …

Der Stadtkämmerer war indeß durch den wohlbekannten Gang, in welchen die geheime Thür mündete, unter der Erde fortgeeilt, im Winkel eines engen Gäßchens an der äußern Stadtmauer wandte derselbe sich wieder zu Tage. Eine Hornlaterne, die in einer Mauerblende für alle Fälle nebst Stein und Zunder bereitstand, hatte ihm zum Wegweiser gedient; jetzt verlöschte er selbe und stand lauschend hinter der Thür still, nichts regte sich und aufathmend trat er in die inzwischen vollends eingebrochene Nacht hinaus, seiner Behausung zuzueilen.

Schon von fern gewahrte er Licht in derselben; ein Erkerfenster war matt erleuchtet, eben hell genug, um den schwachen Umriß einer Gestalt erkennen zu lassen, die ängstlich in das Dunkel blickte und nach dem ferne heranbrausenden Stimmengewirr hinhorchte. Es war Margarethe, welche Schmerz, Sorge und Ungewißheit um das Schicksal des Großvaters nicht zur Ruhe gelangen ließen; nahm auch jede dahin zögernde Minute ein Stück von dem Gebäude ihrer Hoffnungen mit, so brachte jede neu kommende neue Erwartungen und Möglichkeiten, und nichts erschütterte die Zuversicht des Mädchens, daß sie den so sehr verehrten Ahn’ in sein Haus zurückkehren sehen werde. Trotz der Dunkelheit erblickte sie den sich heran Schleichenden sogleich, trotz des Mantels, in den er sich gehüllt hatte, erkannte sie ihn augenblicklich. Sie wollte ihm zuwinken, wollte laut aufschreien vor Freude und Ueberraschung, aber eine Geberde von ihm machte sie verstummen und erstarren, denn sie brachte ihr das ganze Bewußtsein der Gefahr, all’ das drohende Unheil zurück, von dem er umgeben war. Wie ein Schatten huschte sie aus der Stube, die Treppe hinab und schob behutsam den Thürriegel zurück, daß er nicht knarrte, athemlos, stumm vor Erregung faßte sie des Greises Hand, zog ihn hastig nach sich und ruhte nicht, bis sie ihn in die Stube geleitet hatte; als die Thür hinter ihm abgeschlossen war, warf sie sich in nicht mehr bezwingbarem Schluchzen an seine Brust.

„Großvater,“ rief sie, „ist es denn wahr? Bist Du wirklich wieder gekommen? Bist Du es denn, den ich in meinen Armen halte? Ja, ja, Du bist es … Du lebst, Du bist wohlbehalten! Denke Dir, drei Mal bin ich am Rathhause gewesen, habe gefleht und geweint, daß sie mich zu Dir lassen, daß sie mir gestatten sollen, Dein Gefängniß zu theilen, die Unbarmherzigen haben mich zurückgewiesen! Ich habe sie vor Gott verklagt in meinem Herzen und doch wich ein sicheres Ahnen, eine zuversichtliche Hoffnung nicht von mir … ich wußte, Du würdest wieder kommen, es müsse wenigstens Einer unter der Schaar sein, der nicht denkt wie die Andern und der Dich befreit …“

Der Stadtkämmerer hatte die Hand auf den Scheitel des sich innig anschmiegenden Mädchens gelegt und sah ihr mit unverkennbarem Wohlgefallen in die warmen überquellenden Augen; so viele Liebe that ihm wohl, und wie ein später Sonnenstrahl über den Abendhimmel eines Gewittertages flog ein Widerschein von Milde über seine strengen Züge. Es war wirklich nur ein Strahl, und bei den letzten Worten Margarethens verschwand er wieder in dunklen Gewölken des Unmuths. „Ich verstehe Dich nicht, Kind,“ sagte er, „mich hat Niemand befreit, mir selbst ist es gelungen, einen thörichten Wächter zu täuschen, aber lange wird meine Flucht nicht verborgen bleiben; in diesem Augenblick ist sie vielleicht schon entdeckt, sie werden mich suchen, und sicher auch hier nachforschen, darum muß ich in der nächsten Secunde aus ihrem Bereiche sein! …“

„Unmöglich, Großvater,“ rief Margarethe mit sorglicher Angst, „Dein Auge glüht, Deine Stirn brennt, Du bist angegriffen, erregt, Du mußt Dir Ruhe gönnen, mußt Dich stärken. … Ich will die alte Diemuth rufen …“

„Laß!“ entgegnete er gebieterisch. „Zu ruhen hab’ ich keine Zeit, Ruhe kenn’ ich nur am Ziele! Zur Stärkung wird ein Becher guten Weins reichen, den magst Du mir selber bringen … ich bin nicht angegriffen. Du täuschest Dich in meinem Aussehen, ich bin nur den Haaren nach ein Greis; für den Gang, den ich jetzt vorhabe, wird meine Kraft noch wohl ausreichen! …“

„Der Wein steht bereit … vom besten, Vater,“ rief das Mädchen, „hatt’ ich doch schon vorgesorgt, ihn Dir zu bringen, aber geh’ nicht wieder fort, Großvater; ich beschwöre Dich, wage Dich nicht wieder hinaus in die Gefahr! Du selber sagst, daß man nach Dir fahnden, daß man Dich ausspähen wird, verbirg Dich im Hause, bis der Aufruhr vorüber ist; bedenke, wie unglücklich der gestrige Versuch ausfiel … Du wagst Dein Leben zum zweiten Mal … es ist unmöglich, aus der Stadt zu entkommen, alle Thore und Ausgänge sind besetzt …“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_562.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)