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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

tragikomische, d. h. damals eine tragische und heute, nachdem sie überstanden ist, eine komische. Wir wurden genau wie ebensoviel Stück Vieh oder Holzblöcke betrachtet, denn man stellte einen Frachtschein über so und so viel Stück Emigranten aus, übergab diesen an den Supercargo und machte diesen für die richtige Ablieferung derselben, gleichgültig ob todt oder lebendig, verantwortlich. Nachdem das geschehen, wuschen Falke und Comp. ihre Hände in Unschuld und das Geschäft blieb ein reinliches.

In Hamburg hatte man uns an Bord eines Dampfers gethan, der von England Kohlen holte, wenn ich nicht irre, und in dem zumeist leeren Kohlenraum wurden wir einquartiert. Ich entsinne mich dessen nicht mehr genau, wie viele Menschen hier auf stinkenden Matratzen zwischen den Kohlen beisammenlagen, weiß aber noch, daß neben mir ein deutscher Sänger campirte, der nach jedem Schnaps „mein ganzer Reichthum ist mein Lied“ anstimmte, und daß sich nicht weit von ihm ein junger Italiener in den Zuckungen der Seekrankheit krümmte. Es ist kein schlechter Witz von mir, wenn ich erzähle, daß mich der Arme himmelhoch bat, den Capitän zu ersuchen, ihn aussteigen zu lassen, da er gern sein Reisegeld verlieren wolle.

Wir kamen nach England, das uns selbstverständlich mit Nebel und Regen empfing. Ein Cicerone begleitete uns in das Kosthaus, wo bereits für so und so viel Stück Emigranten Quartier gemacht war, d. h. man steckte uns in eine kolossale Breterbude, von der ich vermuthe, daß sie für einen Pferdestall nicht tauglich war. Hier fütterte man uns mit ranziger Butter und einem Kaffee, dessen Analyse wahrscheinlich neunundneunzig Theile heißen Wassers und einen Theil Cacaobohnenschalensurrogat ergeben haben würde.

Was soll ich Ihnen viel von der Eisenbahnreise durch England und von den Viehwagen erzählen, in welchen wir transportirt wurden? Das war ja noch der rosigste Theil der Fahrt und bisher hätten wir noch gern zufrieden sein können. Wir kamen nach Liverpool. An der Station empfing uns ein nicht sehr appetitlicher Israelit und zählte uns ab.

„Seid Ihr Alle beisammen?“

„Ja!“ riefen einige schüchterne Stimmen.

„Dann nehmt Eure Sachen und kommt!“

Wir packten unsere Matrazzen und blechernen Eßgeschirre auf und die elende Karawane zog durch die Stadt. Ich, der ich mir in leichtsinnigen Augenblicken eingebildet hatte, vom Pegasus getragen zu werden, ging als Packesel voran. Neben mir schritt unser Geleiter, grunzend, brummend, commandirend, als führe er verbrecherische Recruten zum Stockhause.

„Wohin geht Ihr?“ fragte er mich nach einer vorhergegangenen vornehmen Räusperung.

Ich antwortete natürlich nicht.

„Wohin Ihr geht, frage ich Euch,“ wiederholte er, meine Schulter berührend.

„Das müßt Ihr besser wissen, als ich.“

„Der Teufel, das Volk ist noch grob!“ sagte der Mann zu seinem Begleiter, einem pfiffig aussehenden Neger, in englischer Sprache.

Jetzt lief mir die Galle über.

„Wenn Sie unverschämt sein wollen,“ sagte ich ihm, „dann seien Sie es wenigstens direct, damit Sie Ihre Maulschellen auch direct einstecken können.“

„Wie so, unverschämt?“

„Sie bezeichnen uns mit ‚Volk‘ und nennen uns ‚Ihr‘, geschieht das noch einmal mir gegenüber, so setzt es Ohrfeigen!“

„Ohrfeigen?! Denken Sie nich, daß Sie sind in Deutschland; hier ohrfeigt man nicht, hier ist es Sitte zu nennen die Emigranten ‚Volk‘ und ‚Ihr‘. Sind Sie aber was Besseres, wie die Andern, so können Sie haben in meinem Hause Extrazimmer und Extrakost gegen geringe Vergütung.“

Ich nahm natürlich diese Extras nicht an und wurde mit drei wildfremden Menschen in ein Dachzimmerchen gesteckt, welches zwei Betten enthielt. Betten wie diese habe ich indessen nie gesehen und wünsche ich nie mehr zu sehen. Dieselben waren nicht etwa in der Wäsche unrein, sondern die Betten selbst starrten von Wanzen, Unrath und Blut, ja man konnte deutlich sehen, daß dieselben von ekelhaften Kranken kurz vorher benutzt waren.

Glücklicherweise waren meine Stubencameraden gesunde Jungen. Die Betten sehen, sie zusammenraffen und durch das Treppenloch in die erste Etage stürzen, war eins. Nun schoß unser „Seelenmakler“ wild herauf und setzte uns zur Rede. Diese neue Frechheit empörte uns dermaßen, daß wir unwillkürlich zu den Schemelbeinen griffen, aber der eine Goldsucher, ein biederer Schwede, kam uns zuvor. Er packte den Burschen mit seiner kolossalen Rechten in die Halsbinde, hob ihn wie ein Kind in die Höhe gerade über das Treppenloch und warf ihn sans façon hinab auf die Betten. Der Fall dröhnte dumpf durch das ganze Haus, doch das Zetergeschrei des Gemaßregelten bewies, daß er sich nicht ernstlich wehe gethan hatte. Unsere Energie verhalf uns nun zwar nicht zu Betten und wir waren gezwungen, auf den bloßen Dielen zu schlafen, aber viel höflicher wurde der Mann, d. h. soweit das bei einem Klotz möglich ist.

Nichts wirkt komischer auf Jemand, der nicht darunter zu leiden hat, als die Festungsordnung und militärischen Gesetze in diesen Emigranten-Kosthäusern. Was auf den gedruckten Tabellen steht, ist im Befehlston gehalten und die Strafe im Uebertretungsfalle gleich dabei angegeben. Z. B.:

§. 1. Derjenige, welcher nicht pünktlich nach Ablauf jeder Woche seine Rechnung bezahlt, wird unter Zurückhaltung seiner Sachen hinausgewiesen.

§. 2. Eßstunden: sechs bis sieben Uhr Frühstück; zwölf bis ein Uhr Mittagsbrod; sechs bis sieben Uhr Abendessen. Wer nicht pünktlich erscheint, kann außer der Zeit nichts beanspruchen.

§. 3. Das Haus wird um zehn Uhr geschlossen; wer dann nicht daheim ist, bleibt draußen etc.

Scheußlicheres, als das Essen in diesen „Strafkneipen für Emigranten“, giebt es in der Welt nicht, und als sich Einer darüber beklagte, erwiderte der rohe Wirth: „Ich weiß nicht, was Ihr wollt, soll ich Euch vorsetzen Gänseleberpastete und Vogelnester? Daheim habt Ihr nicht zu fressen satt Kartoffeln und hier wollt Ihr sein vornehme Leut’?“ –

Endlich waren die Tage des Jammers überstanden und wir auf den Dampfer „City of Washington“ transportirt, der vielleicht fünfhundert Emigranten, darunter meist Irländer, an Bord nahm. Vierzehn Tage haben wir in dem furchtbaren schwarzen Kasten bei elender Kost in dumpfigen Räumen zugebracht, und diese vierzehn Tage habe ich mit einem dicken rothen Strich aus meinen Erinnerungen gestrichen, denn es sind die einzigen, von denen ich sagen kann, es war verlorene Lebenszeit. Man kann auf diesen englischen Emigrantenschiffen nichts sehen, als Rohheit, Bosheit, Dummheit, Schmutz; man hat hier nichts, als das bittere Gefühl, eine Canaille unter Canaillen zu sein, weil – man kein Geld hat, mit den Gentlemen der ersten Classe zu fahren.

Außerdem, warum beeilt Ihr Euch so sehr, deutsche Landsleute, das schöne, liebe, einzige Vaterland mit einer Hast zu verlassen, die Euch nicht einmal den Abgang der deutschen Dampfer erwarten läßt? Nach Amerika kommt Ihr immer noch früh genug, ja Tausende kommen viel zu früh hin, und um wieviel angenehmer ist es, unter lauter Deutschen die weite Seereise zu machen, anstatt sich von den wüsten Kindern der grünen Insel herumstoßen und „damned dutchmen“ nennen zu lassen. –

Es ist sonderbar, wie nach einer langen und unangenehmen Seereise sofort alles Leid und Elend vergessen ist, wenn man das ersehnte Land sieht, gleichviel, ob man sich von demselben viel oder wenig verspricht, ob man in Cayenne, wo der Pfeffer wächst, oder an den Küsten des gelobten Landes, wo Milch und Honig fleußt, ankert. Ob das vielleicht das nun gestillte Heimweh nach der guten Mutter Erde ist? Als ich im Hafen von New-York meine Matrazze und mein Eßgeschirr in’s Meer warf, flog aller Zorn gegen Falke und Co., gegen England und jüdischen Herbergsvater über Bord, trotzdem aber bleibt es dabei: „nie mehr über Liverpool!“

Passiren die Emigrantenschiffe Sandy-Hook, so kommen die Douane- und Sanitätsbeamten an Bord, untersuchen die Menschen so genau wie das Gepäck und geben die Erlaubniß zum Ausbarkiren, wenn keine Seuche an Bord ist. Unter Seuche ist natürlich nur die asiatische Cholera verstanden, welche in diesem Jahre wieder durch Emigrantenschiffe in New-York eingeschleppt wurde. Natürlich schrieen die reinlichen Irländer, das sei durch die unreinlichen Deutschen geschehen, es stellte sich aber glücklicherweise heraus, daß der erste Cholerakranke am Bord der „Persia“ ein schmutzstrotzender Irländer war und daß unter den grünen Insulanern die Seuche auch am meisten aufräumte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_527.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)