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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wortverdrehern aufnehmen kann, wir wären längst im Reinen. … Was meint Ihr, Wachtgenossen? Wenn uns der Meister nicht blos abspeisen will, so soll er uns zu unserm Recht verhelfen; wenn er’s nicht heimlich mit den Geschlechtern halt, soll er zu uns stehen und unser Anführer sein!“

„Das fehlte noch!“ brummte Loy, der mit blankem Degen hinter Roritzer stand. „Du wirst Dich doch nicht vom Teufel blenden lassen?“ flüsterte er ihm zu, „sag’ nein, Wölflein, oder Du bist verloren!“

„Euer Anführer?“ entgegnete Roritzer gelassen. „Das kann ich nicht sein; ich hab’ derlei nie geübt und bin nur in meiner Werkstätte und meinem Bau am rechten Platz. Ich kann nicht zu Euch stehen, denn ich weiß nicht, ob ich Alles gutheißen kann, was Ihr fordert; was mir davon bekannt, so geb’ ich dem Rath Unrecht, aber darum geb’ ich Euch noch lange nicht Recht! Ich kann Euer Anführer nicht werden, doch der Vermittler will ich sein zwischen Euch und dem Rath …“

„Thu’s nicht, thu’s nicht,“ flüsterte Loy wieder; „den Vermittler holt der Teufel!“

„Nichts da von Vermittlung!“ schrie der Schuster, der inzwischen die alte Keckheit wieder gefunden hatte, und der Barchentweber winkte den Andern, daß sie brüllend einstimmten. „Wir wollen nichts Halbes, wollen uns nicht den Halm durch’s Maul ziehen lassen! Fisch oder Fleisch, wir müssen wissen, für was wir Euch zu halten haben; also gegen uns als unser Feind oder mit uns als unser Anführer!“

Roritzer senkte das Schwert und sah einen Augenblick zu dem Dome hinan, der sich über Lärm, Fackelschein und Rauchqualm ernst und in erhabener feierlicher Ruhe empor hob. … „Nun denn,“ sagte er nach kurzem Besinnen, „ich will denken, daß eine höhere Macht es so fügt … vielleicht bin ich auserwählt, Handlanger beim Neubau meiner lieben Vaterstadt sein, einen Stein beitragen zu dürfen zum Glücke meiner Landsleute und Mitbürger: ich will denn Euer Anführer sein! Von diesem Augenblick gelob’ ich mich Euch und will Euer Fürsprech beim Rath, bei Kaiser und König sein und nicht von Euch lassen, bis Euer gutes Recht errungen und gewahrt ist. Ihr dagegen versprecht mir als Euerem Anführer volle Unterwürfigkeit, strengen Gehorsam …“

„Redet, Herr, was verlangt Ihr?“ fragte der Schmied.

„Ihr laßt die Dombauhütte in Ehren und achtet den Frieden dieser geheiligten Freistatt,“ entgegnete Roritzer; „ist es doch meist um ihretwillen … um die Entweihung abzuhalten von dem mir anvertrauten Heiligthum, daß ich den Weg betrete, auf den Ihr mich zerrt! Ihr zieht ruhig ab und erwartet in Eueren Wachen den Morgen, um die Verhandlung mit dem Rath zu beginnen … Dann aber gebt Raum, daß ich den Mann, der hier Schutz gesucht, unangefochten in sein Losament begleite …“

„Aber er darf nicht aus der Stadt,“ riefen viele Stimmen durcheinander, „der Kammerer muß bleiben und muß Rechnung legen …“

„Er wird bleiben,“ erwiderte Roritzer, „ich bürge Euch dafür, und wenn es Euch so genehm ist, sei der Vertrag also geschlossen und mit einem Handschlag besiegelt!“

„Es gilt! Es soll so sein! Hier meine Hand!“ rief der Schmied und bot Roritzer die Rechte, in welche dieser kräftig einschlug: auch der Schuster, der Weber und die andern Führer drängten sich hinzu und gaben dem Dommeister die Hand. Loy stand noch immer hinter diesem und sah wortlos und betroffen zu; Entrüstung und Schmerz rangen in seiner Seele wie in seinen Mienen mit der gewohnten Spottneigung und Lachlust. „O … o!“ seufzte er endlich, „sogar der bucklige Wechselbalg, der schmierige Weber, faßt nach seiner Hand! Ein Kerl, der für den linken Schächer zu schlecht wäre …“

„Der Vertrag ist also geschlossen,“ rief der Schmied wieder. „Jetzt auseinander, Genossen, unser Anführer soll sehen, daß wir auf ihn halten und ihm gehorsam sind! Macht die Gasse frei, Fackeln an beide Seiten, senkt die Spieße und schreit: Hoch lebe unser Anführer! Wolfgang Roritzer, der wackere Dommeister, hoch!“

Der Befehl ward überraschend schnell vollzogen; wie von geschickten Kriegern gebildet, that sich die Gasse auf, hart zwischen den eng aneinander gerückten Häusern dahin.

„Was hast Du gethan, Unglücklicher!“ sagte Loy halblaut und faßte, wie um sein Beileid zu bezeigen, des Freundes Hand; Doctor Stabius trat hinzu, haschte nach der andern und sagte mit schlecht verhehlter Ergriffenheit: „Herr Dommeister … deß’ werd’ ich nie vergessen … Ihr seid ein ganzer Künstler, aber auch ein ganzer Mann!“

Roritzer erwiderte nichts; mit leichter würdevoller Verbeugung trat er vor Lyskirchner hin, der die alte Haltung mindestens äußerlich wieder gefunden. „So es Euer Gestrengen beliebt,“ sagte er, „so gestattet, daß Euch der Steinmetz aus seiner Freistatt das Geleite giebt!“

Schweigend und mit verbissenen Lippen folgte der Rathsherr und schritt an Roritzer’s Seite durch die Menge; Alles lüftete die Mützen und rief dem Meister zu, aber dazwischen erklang auch Murren und manches bedenkliche Wort gegen den Schützling desselben. Loy und Stabius schritten hinter den Beiden einher; der Gelehrte in unbehaglicher Beklommenheit, Loy in einer Stimmung, die zwischen Thränen und lautem Gelächter schwankte. „Wie sie Reverenz machen vor dem Jungen!“ brummte er in sich hinein. „Wie sie Respect haben vor meinem Wölflein! Er ist eben in alle Sättel gerecht … aber ich wüßte nicht, was ich gäbe, wenn wir heut’ ein Stündlein früher im güldenen Greiffen gesessen wären!“

„Das ist ein Mann, der Dommeister,“ sagte der Schmied, als der Zug vorüber war und die Schaar wieder ordnungslos durcheinander wogte. „Wir haben ein gut Geschäft gemacht und unsere Sache wird nun bald ein ander Gesicht kriegen!“

„Ich will’s uns wünschen,“ erwiderte der Barchentweber, „und ihm wünsch’ ich es auch! Morgen wird sich’s ja zeigen, ob er ernstlich zu uns hält, und wenn er es nicht thut, habens wir ihn in der Hand, wie alle Andern… Verloren haben wir auf keinen Fall! Aber kommt, Genossen, vertheilt Euch wieder auf Euere Wachten, oder geht heim, wer sich auf’s Ohr legen will … behaltet aber die Waffen in den Händen, und wer schläft, der lege sie neben sich in’s Bett! Wir müssen die Augen offen haben oder es geht an Haut und Haar!“

Roritzer hatte bald mit seinem Schutzbefohlenen dessen Behausung erreicht; kein Wort war gesprochen worden, denn der Kammerer sann und wählte nach einem Ausdruck, seinen Dank kund zu machen und doch seinem Ansehen nichts zu vergeben.

„Ich weiß wirklich nicht,“ begann er endlich, als sie schon vor den Thürstufen standen, „in welche Worte ich meine Erkenntlichkeit kleiden soll. … So Ihr mit Eueren Gefährten noch bei mir eintreten und einen Becher edlen Rheinfall nicht verschmähen wolltet …“

„Laßt das, Herr Lyskirchner,“ entgegnete Roritzer kalt, „wir werden uns begegnen, wo wir einander begegnen müssen, und ich bin Bürge dafür geworden, daß Ihr Euch der Begegnung nicht entzieht! Was ich gethan, ist meine Schuldigkeit gewesen als Dommeister, und meint Ihr Ursache zu haben zur Erkenntlichkeit, so bewährt sie dadurch, daß Ihr mir Euer Wort gebt, Regensburg nicht zu verlassen, ehe wieder Frieden ist zwischen der Gemeine und dem Rath …“

Der Kammerer antwortete nicht sogleich; er hatte Mühe, seine Betroffenheit zu bergen.

„Ihr zögert?“ rief Roritzer unmuthig. „Ihr besinnt Euch, mir Euer Wort zu geben?“

Aus der Thür fiel voller Lichtschein auf ihn, daß er unwillkürlich inne hielt und dahin blickte. In dem erleuchteten Raume stand eine hohe schlanke Mädchengestalt, mit offnen, weit über die Schultern herabwallenden Locken, die Züge des Schreckens und der Besorgniß in dem schönen, erblaßten Angesicht. Sie wollte mit offenen Armen auf Lyskirchner zueilen, hielt aber in schüchterner Befangenheit inne, als sie dessen Begleiter erblickte. „Großvater,“ flüsterte sie, „kommst Du endlich? Bist Du endlich da und unversehrt? Gott sei Dank … wie habe ich mich um Dich geängstigt …“

„Der wüthende Haufe,“ entgegnete der Kammerer, „hatte mich unterwegs überfallen… Hier steht mein Retter, Wolf Roritzer, der Dommeister …“

Das Mädchen erröthete; ihr dunkles Auge richtete sich mit unaussprechlichem Ausdruck auf Roritzer’s Antlitz, der hinwider betroffen stand und den Blick von ihr nicht abzuwenden vermochte. „Verschmäht meinen Dank nicht, Meister,“ sagte sie leise, „und lehret mich, wie ich ihn Euch zu erweisen vermag…“

„Das könnt Ihr leicht, edles Fräulein,“ rief Roritzer, „ich bin Bürge dafür geworden, daß Herr Lyskirchner die Stadt nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_522.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)