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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Garten schweifen. Sie schalt über die fehlenden Rosen an Lilli’s Brust, schnitt rasch selbst einige ab und übersah dabei gänzlich, daß die Gescholtene auf schwankenden Füßen mit aschbleichem Gesicht vor ihr stand. Wortlos stieg Lilli in den Wagen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, als sei plötzlich ein unübersehbares Unglück in ihr Leben hereingebrochen und als habe sie eine Schuld, schwärzer als die Nacht, auf ihre Seele genommen. –

Die sogenannte grüne Stube, ein sehr großes Eckzimmer mit sechs Fenstern im Hause der Hofräthin, steckte Jahr aus Jahr ein hinter festgeschlossenen Jalousien und zugeriegelten Thüren. Zu des alten Erich Zeiten hatte dieser Raum sehr oft großen Glanz gesehen. Die deckenhohen Wandspiegel hatten majestätische Frauengestalten mit thurmhoher Frisur und brocatener Schleppe und jene pomphaften, aus Atlas, Tressen und Spitzen zusammengesetzten Männertoiletten zurückgeworfen, und der sauber eingelegte Fußboden wußte von mancher Menuett zu erzählen, die auf hohen Stöckelschuhen von den Honoratioren der Stadt in aller Feierlichkeit und Grandezza hier getanzt worden war. Nur zweimal im Jahr wurden jetzt die Fensterladen auf wenige Tage zurückgeschlagen, und wer Tante Bärbchens Gewohnheiten kannte, der wußte dann, daß sie eine jener großen Gesellschaften beabsichtige, zu denen ihre sämmtlichen Freunde eingeladen wurden. Zu Sauer’s und Dortens Erstaunen wurde in diesem Sommer der Befehl zum Auslüften der grünen Stube bei weitem früher gegeben, als seit vielen Jahren herkömmlich war. Diese Abschweifung von der Regel hatte aber lediglich ihren Grund in Lilli’s „fortgesetzter Kopfhängerei“, wie sich die Hofräthin ausdrückte. Es war für Tante Bärbchen etwas ganz Neues, Ungewohntes, dem jungen Mädchen gegenüber auch einmal „im Finsteren zu tappen“. Nach zahllosen Muthmaßungen, aber stets mit Umgehung der allein richtigen, war sie schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß Lilli Heimweh habe, und hatte ihr sofort mit großer Selbstverleugnung die Abreise nach Berlin freigestellt. Aber mit ausbrechender Heftigkeit, die fast ausgesehen wie ein tödtliches Erschrecken, hatte das junge Mädchen den Vorschlag entschieden zurückgewiesen. Von diesem Augenblick an bemühte sie sich mit unsäglicher Anstrengung, heiterer auszusehen, und Tante Bärbchen sann Tag und Nacht darauf, die angeblichen Hirngespinnste im Kopf ihrer Pflegebefohlenen zu zerstreuen.

Die Speisung des zwanzigsten Landwehr-Bataillons auf dem Magdeburger Bahnhofe in Leipzig.


Es waren viele Gäste, alte und junge, zu dem bevorstehenden Souper eingeladen und die Hofräthin hatte bereits einigemal prüfend den Raum überblickt, ob sich neben den Spieltischen der alten Herren und Damen auch noch ein Tanzplatz für die Jugend einrichten lasse.

Durch die strenge Abgeschiedenheit von Luft und Licht hatte sich der Salon so ziemlich seine ursprüngliche Frische zu erhalten gewußt. Die Vergoldung der zierlich geschnitzten Holzleisten an den Wänden blinkte lebhaft unter den neugierig hereinhuschenden Sonnenstrahlen, und das mythologische Plafondgemälde zeigte noch dieselben feurigen Fleischtöne an den Gestalten, wie sie längst gebrochene Augen ehemals entzückt hatten. Nur einige weibliche Pastellportraits, die eine unkundige tactlose Hand an den Wänden des harmonisch im Renaissancestil gehaltenen Raumes aufgehangen, hatten erblaßte Lippen und Wangen und die einst carmoisinschimmernde Umhüllung der häßlichen, ungebührlich kurzen Taillen war schmutzig-fahl geworden.

In dem Kamin brannte trotz der Sommerhitze ein helles Feuer; es sollte die letzten Ueberreste der dumpfen Luft verzehren. Noch standen inmitten des Zimmers die provisorisch hereingeschobenen Möbel aus dem Pavillon, und die geflüchteten Oelgemälde lehnten an den Wänden; sie sollten nach Tante Bärbchens Beschluß endlich hier ihren Platz finden, weil der Großvater Erich für dieses Zimmer stets eine große Vorliebe, gezeigt hatte. Die Hofräthin und Lilli säuberten und wuschen vorsichtig die Bilder, und Sauer, der eben von einem Geschäftsgang nach der Stadt zurückkehrte, sollte sie aufhängen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_485.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2019)