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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 27.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Blaubart.
Von E. Marlitt.


Vor der kleinen Thür, deren eisernes Gitter einen schmalen Einblick in den Garten gewährte, hielt ein Einspänner. Das elende Fuhrwerk war eben in fliegender Eile die Chaussee herabgerasselt und hatte somit bewiesen, daß der häßliche, alte Gaul an der Deichsel und der gelb angestrichene Kutschkasten doch noch nicht so mürbe und lebensmüde seien, wie es den Anschein hatte. Für das verschrumpfte, staubige Lederverdeck war der Gewitterregen, der unaufhaltsam herniederströmte, augenscheinlich eine lange nicht genossene Wohlthat; der hinten aufgebundene elegante Koffer dagegen gewann sicher nicht durch die schwarzgefärbten Bäche, die aus den steifen Lederfalten auf seinen hellen Deckel herabrannen, und der Gaul protestirte durch Schnauben und ohnmächtiges Stampfen gegen das unfreiwillige Bad. Er hätte von seinem Lenker lernen können, wie man sich mit Ruhe und Würde in das Unvermeidliche fügt; der dickköpfige Bursche auf dem Kutschersitz klatschte energisch mit der Peitsche und wartete dann geduldig unter der triefenden Mütze auf den Effect seiner Armbewegung. Aber auch die Insassen des Wagens schienen nicht zu harmoniren mit diesem wahrhaft spartanischen Gleichmuth gegen äußere Unbill; denn als auch die letzte Schwingung des Peitschenknalles drüben an dem Berge verhallt war und hinter der Gartenthür nichts sich rührte und bewegte, als der Regen, der klatschend auf die riesigen Rhabarberstauden niederfiel, da erschien eine schmale Damenhand unter dem Lederbehang, der die Fensteröffnung des Wagens bedeckte. Die feinen Finger, die ein silbergrauer Handschuh so elfenbeinglatt umschloß, daß selbst die zierliche Mandelform der Nägel sich abzeichnete, wurden offenbar von Ungeduld dirigirt; sie gaben sich alle erdenkliche Mühe, den steifen Riemen zu lösen, mittels dessen draußen das Lederstück befestigt war – vergebens. Die Hand zog sich endlich wieder zurück und die Art und Weise, wie sie sich blitzschnell zu einer allerliebsten kleinen Faust zusammenbog, ließ auf einen bedeutenden Grad von Unmuth schließen.

Zu gleicher Zeit hielt es aber auch der Kutscher für angezeigt, sein Signal zu wiederholen, und diesmal blieb es nicht ohne Erfolg. Eine feine Thürklingel ertönte, dann näherten sich rasche Schritte über den knirschenden Kies; ein rother, baumwollener Regenschirm erschien hinter der Gartenthür und unter demselben ein hagerer, alter Mann in gestreifter Weste, einem altmodischen, bis auf die Fersen reichenden Rock und das eigenthümlich breitgedrückte, grundhäßliche Gesicht zwischen zwei steife Vatermörder geklemmt, die ihn zwangen, gleich dem Krokodil, jeder Kopfschwenkung seine gesammte Persönlichkeit hinzuzufügen. Nach einem prüfenden Blick durch das Gitter öffnete er die Thür, nahm sogleich den widerspenstigen Riemen in Angriff und rief in respectvollem Ton nach dem Garten zurück: „Ja, ja, es ist richtig, Frau Hofräthin, es ist der Christian aus Neudorf.“

Sofort trat eine große, stattliche Frau in die Thür. Ihre starken, dunkelgefärbten Züge zeigten unverkennbar freudige Erregung und Erwartung, aber beim Anblick des kläglichen Fuhrwerkes verschwand dieser Ausdruck augenblicklich. Die geröthete Stirn wurde noch dunkler und um den Mund, den der Anflug eines schwarzen Bärtchens beschattete, flog ein Zug heftigen Verdrusses.

„Ei, da soll mich doch Gott bewahren!“ fuhr sie den erschrockenen Burschen auf dem Kutschersitz an. „Ist denn Dein Herr verrückt? Schämt er sich nicht, eine junge Dame von Stande in solch’ einen erbärmlichen Rumpelkasten zu stecken? In solch’ eine Mäuseherberge?“

Während dieses Zornausbruchs hatte der Mann mit dem rothen Regenschirm den widerspenstigen Riemen gelöst, der Lederbehang und die Wagenthür wurde zurückgeschlagen. Ein reizendes Füßchen erschien, aber es vermied den Wagentritt; wie aus der häßlichen Puppe der Schmetterling, so flog eine leichte Mädchengestalt aus der altfränkischen Kutsche auf den Boden, und sogleich schlangen sich zwei Arme, um den Hals der scheltenden Frau Hofräthin.

„Sei nicht böse auf den guten, alten Postmeister, Tante Bärbchen!“ bat das junge Mädchen, und in seiner Stimme mischte sich mit dem Schluchzen der Wiedersehensfreude ein Anflug von Schalkheit. „Er wollte mich durchaus nicht weiter befördern, weil sein ganzes vierfüßiges Regiment in Begleitung sämmtlicher respectablen Postkutschen ausgerückt war; aber ich sehnte mich fast zu Tode hierher zu kommen und bat und bettelte so lange, bis er brummend dies Prachtstück aus der Remise brachte, wo es seit vielen Jahren seine verlorene Jugend betrauert. Tantchen, liebes, gutes Tantchen – und Mäuse sind ganz gewiß nicht drin, sonst wäre ich doch lieber zu Fuße nebenher gelaufen.“

Und Tante Bärbchen lachte und umschlang das junge Mädchen. Bei dieser Gelegenheit sehen wir, daß ein Aermel ihres derben, carrirten Gingham-Hauskleides schlaff an der Seite niederhängt, der linke Arm fehlt; doch mit der Rechten, die zugleich einen triefenden Regenschirm hielt, drückte sie die zarte Gestalt innig an ihre Brust und es sah merkwürdig genug aus, als sich ihr großer, kräftig geformter Kopf mit den fast männlich kühnen Zügen über das sonnige, weiße Gesichtchen neigte, das unter Thränen lachend emporblickte.

„Na, nur schnell hinein in’s Haus!“ mahnte sie. „Da hat mein Schirm schöne Straßen über Dein Kleid laufen lassen! Muß es denn aber auch gerade Seide sein auf der Reise? Und noch dazu Seide über einen so fürchterlichen Luftballon gespannt!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_417.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)