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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

eine im byzantinischen Stil gebaute Kirche mit glänzender, metallener Kuppel. Es war die Kirche des heiligen Demeter; der blühende Garten war bis vor Kurzem ein wüster Kirchhof gewesen. Aber gerade der Kirche gegenüber war ein großer Platz mit Trümmerhaufen bedeckt. Ein Speculant hatte die Baracken gekauft, welche dort standen, um sie niederzureißen und Häuser dafür zu bauen. Das Geld war ihm ausgegangen, und jetzt konnte der wüste Platz vielleicht Jahr und Tag in demselben Zustande bleiben. Nun, das sind Contraste, denen man in den Städten des Orients überall begegnet! Durch eine Reihe von engen Durchgängen und schmutzigen Höfen zwischen den Häusergruppen, von deren Existenz ich gar keine Ahnung hatte, führte mich mein Begleiter plötzlich in die Hauptstraße von Bukarest, in die Straße Podu mogoschen. Die Trümmerhaufen, die Baracken, die wüsten Plätze waren auf einmal wie durch einen Zauberschlag verschwunden; beide Straßenfronten trugen ein ganz europäisches Kleid. Stattliche zwei- und dreistöckige Häuser mit glänzenden Magazinen und Läden im Erdgeschoß; deutsche, rumänische und französische Firmen und Schilder. Elegante Wagen, mit prächtigen Pferden bespannt, im Fond schöne Damen in modernster Pariser Toilette, rasseln neben zweispännigen offenen Fiakers vorüber, in denen Officiere in geschmackvollen, halb nach französischem, halb nach österreichischem Muster hergerichteten Uniformen sitzen; Alles fährt hier, es ist ein betäubendes Gerassel. Mit Mühe drängen wir uns auf den schmalen Trottoirs neben den sich in ihrer Schnelligkeit überstürzenden Wagen vorbei, um auf dem nächsten Halteplatz ebenfalls einen Fiaker zu finden.

Der Orient ist plötzlich vor dem Occident verschwunden, und tritt nur noch in einigen Zigeunern und Griechen in ihren Lumpen und in ihrer heimischen Tracht mit der weißen, faltigen Fustanella und der bunten, goldgestickten Jacke auf, die sich an uns vorüberdrängen. Der Generalinspector, der seit fünfundzwanzig Jahren in der Walachei ist und Land und Leute kennt, wie Wenige, ist unermüdlich im Erklären und in der Schilderung interessanter Einzelnheiten. Plötzlich erhebt sich auf weitem Platze ein in den edelsten Linien gebautes großes Haus.

„Das ist das Theater von Bukarest,“ sagte er, „an dem prächtigen Gebäude haben Sie einen Beweis, wie sich die Stadt seit zwanzig Jahren verändert hat. Als ich in das Land kam, stand dort eine elende Hütte. In der Hütte wohnte ein armer Walache, dessen einziges Eigenthum in einem Pferde bestand, mit dem er Fuhren für Lohn that. Sehen Sie dort hinter dem Opernhause die Bäume?“

„Gewiß; es sind die Baumgruppen des schönen Gartens Cismedjou. Aber weshalb machen Sie mich auf die Bäume aufmerksam?“

„Nun, vor zwanzig Jahren war dieser schöne Garten ein häßlicher Sumpf, und aus dem Röhricht des Sumpfes kamen in einer kalten Winternacht die Wölfe und fraßen dem armen Manne in der Hütte das Pferd im Stalle auf. Doch halt, da ist ein Fiaker! Fahren wir jetzt nach der Buskarie.“

Ein zweisitziger, offener Fiaker bog gerade um eine Straßenecke. Wir stiegen ein, und nach einer halben Stunde raschen Fahrens hielten wir am südlichsten Ende der Stadt vor einer Gruppe weißer, einstöckiger Gebäude, welche rings mit einer weißgetünchten Mauer umgeben waren. Vor dem hölzernen Eingangsthor standen zwei Schildwachen, das Gewehr im Arm. Hinter jener weißgetünchten Mauer befand sich das berüchtigte Gefängniß von Bukarest, die Buskarie. Buskarie heißt eigentlich eine Pulver- und Gewehrfabrik. Während der türkischen Herrschaft waren die Gebäude, aus denen heute das Strafgefängniß besteht, Caserne und Gewehrfabrik gewesen. Der Name aus der Türkenzeit war ihm bis heute geblieben.

Die Schildwachen machten Weitläufigkeiten, als wir ohne Weiteres durch das hölzerne Thor in das Gefängniß eintreten wollten, und verlangten dazu die Vorzeigung eines schriftlichen Befehls. Hätte ich eine Idee von solchem Ordnungssinn in einem walachischen Gefängniß gehabt, so würde ich mir vom Obersten Haralambie, einem der drei Statthalter, bei dem ich noch Tags vorher im ehemaligen Palaste Kusa’s einen Besuch gemacht hatte, einen derartigen Befehl haben geben lassen. Aber ich hatte nicht daran gedacht. Selbst der Name und die hohe Stellung meines Begleiters konnte die beiden bewaffneten Söhne Rumäniens nicht bewegen, einen Fehler gegen die militärische Disciplin zu begehen; endlich wurde der oberste Beamte des Gefängnisses berufen, der, als er den Namen des Generalinspectors hörte, zu unsern Gunsten vermittelte. Das hölzerne Thor öffnete sich und wir traten in den Gefängnißhof. Ich war einen Moment erstaunt über das Bild, welches sich vor mir aufrollte. Auf dem Wege nach der Buskarie hatte mir mein Begleiter von den grausamen Strafen erzählt, welche noch vor dreißig Jahren unter türkischer Souveränetät in der walachischen Strafrechtspflege zur Anwendung kamen. Er hatte mir die entsetzliche Hinrichtungsart des Pfählens und das Abhauen der Hände beschrieben. „Noch heute,“ sagte er, „können Sie in der Walachei Unglückliche sehen, denen damals die Hände als Strafe für Raub und Diebstahl abgeschnitten sind. Die Strafrechtspflege war eben orientalisch.“ Und seit jener Zeit sind erst einige Jahrzehnte verflossen, und heute kennt das rumänische Strafgesetzbuch die Todesstrafe bereits nicht mehr, und steht in der Milde seiner Principien und Strafen über vielen Strafgesetzbüchern des civilisirten Europa! So dachte ich auch hier finstere Kerker und häßliche Höhlen zu finden und sah einen von vierstöckigen, weißgetünchten Gebäuden umgebenen, mit Bäumen bepflanzten Hof, der sogar einen freundlichen Charakter hatte. Auf dem Hofe gingen einige zwanzig Gefangene mit einander plaudernd umher. „Können denn,“ fragte ich den uns begleitenden Gefängnißbeamten, „alle Gefangene in der Buskarie auf den Höfen derselben einher spazieren?“

„Den ganzen Tag bis Abends acht Uhr, mein Herr,“ erwiderte der Beamte.

„Auch Liebrecht, der Minister Kusa’s, hat diese Erlaubniß?“

„Gewiß, mein Herr, aber er hat sie noch nicht benutzt.“

Darauf verlangte ich den bis vor wenig Monaten noch allmächtigen Minister zu sehen. Der Beamte bedauerte, diesem Wunsche nicht nachkommen zu können. „Er bewohnt dort das zweifenstrige Zimmer neben der Thür,“ sagte er, mit der Hand auf das Mittelgebäude zeigend, „vielleicht tritt er an’s Fenster. Das Zimmer ist wohnlich eingerichtet.“

Die beiden Fenster waren mit Gardinen verhangen. Währenddem zeigte mir der Generalinspector unter den auf dem Hofe anwesenden Gefangenen einige ihm bekannte Personen, einige Diebe, Fälscher und einen wegen unsittlichen Lebenswandels verurtheilten Geistlichen. Niemand von ihnen trug Gefangenenkleider; Jeder war in seiner eigenen Kleidung.

„Und wer war eigentlich Liebrecht, was war er und wie war die Carriere dieses berüchtigten Günstlings Ihres ehemaligen Hospodaren?“ fragte ich meinen Begleiter.

Der Generalinspector erzählte mir nun, während wir auf dem Gefängnißhofe auf- und abgingen, von Cäsar Liebrecht. „Liebrecht,“ sagte er, „war kein Deutscher, wie sein Name vermuthen läßt, sondern Belgier von Geburt. Er kam als Kammerdiener in das Land und wurde, ich weiß nicht weshalb, von seinem Herrn aus dem Dienst gejagt. Dann trat er als Kellner in ein Kaffeehaus in Galacz. Dort lernte ihn Kusa kennen, als er in Galacz die Stelle eines Präfecten bekleidete. Wahrscheinlich leistete er ihm geheime Dienste, genug, Kusa stellte ihn in der Verwaltung an. Als Kusa Hospodar wurde, berief er ihn nach Bukarest, und nun machte der ehemalige Billardkellner in kurzer Zeit eine glänzende Carriere. Liebrecht wurde Generalpostmeister, Director des Telegraphenwesens, Major in der Armee. Nebenbei war er der allmächtige Günstling des Hospodaren, sein Vertrauter in jeder Beziehung. Wenn die Verderbniß, die Unterschlagung öffentlicher Gelder, Liederlichkeit und Vernachlässigung aller Interessen des Landes der Charakter dieser sechsjährigen Regierung war, so war Liebrecht das Prototyp dieser Periode. Die Damen, welche man Morgens in einer Audienz bei Kusa sah, während Liebrecht im Vorzimmer saß, damit sein Gebieter nicht gestört werde, konnte man häufig Abends vorher im Palaste Liebrecht’s sehen. Ich zeigte Ihnen gestern den Palast; er ist das prächtigste Haus in Bukarest. Ganz in der Nähe sahen Sie das Haus der Fürstin Marie Obrenovic; sie war zu gleicher Zeit die ‚Freundin‘ des Majors und des Hospodaren. Die in Liebrecht’s Palaste vorgefundenen Briefe lassen über diese Verhältnisse gar keinen Zweifel. Die Fürstin ist aus einer angesehenen moldauischen Familie, hat eine gute Erziehung genossen, ist eine Frau von Geist und Schönheit, von schlanker, hoher Gestalt und doch vollen Formen; sie hat prächtige Augen, schönes Haar, einen interessanten Kopf; trotz alledem ist sie ein ganz gewöhnliches Weib. Dasselbe Band vereinigte Kusa, seine Günstlinge und ihre Geliebten; es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_410.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)