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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

aber vergebens blickten die Bewohner unter den Siegern nach dem Einen aus, den sie mit Sehnsucht erwarteten. Die Jäger hatten am Bockenheimer Thore gekämpft, wie man später erfuhr. Bei dem Tumult, jetzt der Freude, war keine Nachforschung von Erfolg. Der Abend sank, da klopfte es unten stark an die verschlossene Hausthür. „Hermann!“ sagte Hartinger erschreckend; er war von der erlittenen Gefahr, der er nur durch ein Wunder entronnen war, noch sehr schwach.

Aber nicht Hermann stand vor der alten Amme, als diese die Hausthür öffnete, sondern der Schlossergesell Sperber. „Mutter Weidel, er liegt in einem Hause vorm Thor, schändlich in die Brust geschossen,“ sagte der Bursch. „Sie möchten doch zu ihm kommen.“ Die Alte stand wie erstarrt. „Ich bringe Sie hin,“ setzte Sperber hinzu.

Sie brachte erst die Nachricht herauf, ohne Schonung, wie sie gewohnt war. Der Vater wurde leichenblaß und sagte kein Wort, Frau Hartinger brach in laute Klagen aus, Dorothea fragte tief erschüttert nach der Gefahr der Wunde und ob ärztliche Hülfe zur Hand sei. O, daß sie die alte Frau, der nun noch ein Diener mitgegeben wurde, nicht begleiten durfte!

„Wenn er stirbt, er weiß Alles, ich hab’s ihm geschrieben,“ sagte die Amme zu ihrem Herrn. „Wiederkommen thue ich heut nicht, aber der Mappes soll Bescheid bringen, wie’s steht.“

„Was soll Hermann wissen?“ fragte Frau Hartinger, als die Alte sich entfernt hatte.

„Laßt mich, Kinder,“ bat der Vater schwach, indem er die Augen mit der Hand bedeckte. „Heute geht es Schlag auf Schlag!“ Darin hatte er Recht. Erst der Ueberfall Stamm’s, der, von Custine als Berichterstatter hierher geschickt, sich auf eigene Hand an Hartinger rächen wollte; einer Untersuchung bedurfte das französische Verfahren gegen die Feinde der Republik nicht; wenn Hartinger von Custine’s Adjutant angeklagt wurde, war er schuldig und verloren. Dann der Sturm, das Bombardement und nun …

Frau Hartinger gab ihm wohl Zeit, sich zu fassen, als sie aber allein mit ihm war, mußte er beichten. Er war der Alte nicht mehr, seine ganze Energie gebrochen, sonst würde er ihre dringenden Fragen zurückgewiesen haben. Jetzt war es ihm aber wohl selbst eine Erleichterung, und so gestand er ihr, daß Hermann – sein Sohn sei … vor seiner Verheirathung noch … die schöne Tochter der Amme, welche Goethe zum Theater gebracht … und die nachher vor Gram gestorben war …

Die gekränkte Frau brach in heftiges Weinen aus, ihre bisherige Vorliebe für Hermann schien sich in Abneigung zu verwandeln, aber bald siegte ihr gutes Herz und sie weinte nun auch über ihn, am meisten jedoch über sich selbst. Gegen Dorothea unverbrüchlich zu schweigen, wie der gedemüthigte Mann sie bat, versprach sie willig: warum sollte das Kind erfahren, was sie betrüben mußte? Starb Hermann, so war Alles vorbei, genas er, so verstand er nun seine Neigung zu Dorothea in der rechten Weise.

Als es am andern Morgen kaum hell geworden war, mußte der Diener, welcher am Abend einen sehr unbestimmten Bescheid gebracht, wieder hinaus gehen. Diesmal klang sein Bericht tröstlicher; die Kugel war aus der Wunde entfernt, der Doctor gab die beste Hoffnung. So fand sich denn, nachdem die nächsten Tage in der Stadt einigermaßen die Ruhe wieder hergestellt hatten, auch im Hartinger’schen Hause die Ruhe wieder, denn der letzte, ganz entschiedene Ausspruch des Hausarztes, der zu dem Verwundeten geschickt worden war, stellte dessen, baldige gefahrlose Herschaffung zu besserer Pflege und seiner Zeit seine völlige Genesung außer allem Zweifel.

In Frankfurt gerieth jetzt die Bevölkerung in Harnisch über einen Artikel der Mainzer National-Zeitung, betitelt: „Die Frankfurter Adventsfeier. Ein Seitenstück zur Bartholomäusnacht und der sicilianischen Vesper“. Danach hatten die Frankfurter den 2. December, den ersten Adventssonntag, im Einverständniß mit dem Könige von Preußen und Landgrafen von Hessen, zum Mordtage bestimmt und waren heimtückisch über die Franzosen, welche eine sechsfache Uebermacht der Hessen nicht zu besiegen vermocht, hergefallen, um sie meuchlings zu morden. Der Schluß lautete: „Frankfurter! Diesen Advent werdet ihr, trotz eurer feilen Zeitungen, nicht aus den Jahrbüchern eurer Geschichte auslöschen. Buben auf der Straße werden euch anspeien, der Name Frankfurt wird der Welt ein Abscheu sein, derjenige Franzose ist verachtungswerth, der euch ansehen kann, ohne euch zu würgen. Euch und euren Namen zu vertilgen, sei der Schwur, den jeder freie Mann auf dem Altare des Vaterlandes ablegen wird; ich thue ihn freiwillig und ich werde ihn halten. Daniel Stamm, Adjutant des Generals. Donnerstag, den 6. December 1792, im ersten Jahre der deutschen Freiheit.“

Bravo! Der Zorn der verleumdeten Frankfurter verwandelte sich bald in Gelächter. Deutschland verzichtete auf jene Freiheit und der Krieg nahm seinen Fortgang, der anfangs glorreich war, dann aber, nachdem Preußen für sich Frieden geschlossen hatte, zu einem übeln Ausgang führte. Das linke Rheinufer war verloren, Frankfurt aber blieb deutsch und konnte mit Befriedigung auf seinen Advent des Jahres 1792 zurücksehen.

Ortenburg genas langsam. Als für ihn keine Gefahr mehr war, hatte der Vater eine für Beide tief ergreifende Unterredung mit ihm, worauf er sich lange in sein Zimmer verschloß. Ihr Verhältniß blieb der Welt verborgen; die Amme nahm das Geheimniß bald mit sich in das Grab und Dorothea erfuhr nie etwas davon. Sie bemerkte allmählich, daß Hermann anders gegen sie war, herzlich noch immer, aber doch anders und – ein Stein fiel ihr vom Herzen. Ihr Freund blieb er ja immer. Als er genesen war, ging er zu seinem Corps zurück, kämpfte in Flandern bis zum Basler Frieden, dann unter österreichischen, später britischen Fahnen, immer gegen denselben Feind Deutschlands, dessen Sturz er endlich erlebte. Einen eigenen Heerd sich zu gründen, war ihm nicht beschieden. Dorothea aber heirathete einen braven Mann, wenn auch nicht, wie ihre Eltern gewünscht, aus einem der ersten Geschlechter Frankfurts, doch aus gutem, solidem Hause, so daß der Eidam die Firma einst fortführen konnte. Ob der ehrliche Sperber, der nach dem „Frankfurter Advent“ wieder auf die Wanderschaft gegangen, irgendwo Bürger und Meister geworden ist, wissen wir nicht. Daniel Stamm blieb Frankfurt die geschworene Rache schuldig, auch dem den französischen Ideen abtrünnig gewordenen Hartinger, nicht weil er „ein deutsches Herz“ besaß, sondern weil ihm Macht und Gelegenheit fehlten.

Wir wünschen das aufrichtig allen Feinden deutscher Nation!




Der deutsche Liederfürst.


Wer zählt wohl die Namen der vielen Einheimischen und Fremden, welche seit Beethoven’s und Schubert’s Tod nach dem in der Nähe von Wien gelegenen Währinger Ortsfriedhof gewallt sind, um sich die zwei edelsten Besitzthümer dieses Gottesackers, die Gräber der beiden großen Tondichter, zu besehen und vor denselben in stiller Andacht zu verweilen! Träumerisch durchwandelt man die langgestreckten Gräbergassen; nur selten zieht ein Grabdenkmal, eine Inschrift, ein sorgsam gepflegtes Blumenbeet oder eine Trauerweide den Blick auf sich, nur flüchtig bemerkt man die nahegelegenen Ausläufer des Wiener Waldes, der in den stillen Friedhof hereinsieht, denn immer wieder fliegt der Sinn nach den beiden Gräbern zurück, deren Gedenksteine – nur durch die Ruhestätten der O’Donnell’s und Schlechta-Hardtmuth’s von einander getrennt – sich an die Langmauer des Kirchhofes anlehnen.

Die denkbar stolzeste Grabschrift trägt der Leichenstein Beethoven’s. Sie ist in großen goldenen Buchstaben an den Grabstein geheftet und lautet einfach: Beethoven. Man liest den Namen, der ja Alles besagt. Auf dem Grabmonumente Schubert’s finden sich die Worte Franz Grillparzer’s eingemeißelt: „Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen“, ein Ausspruch, den der Schubertenthusiast Robert Schumann, als er im Jahre 1838 die beiden Gräber besuchte, dahin zurechtlegte: „Nachzugrübeln, was er noch hätte leisten können, führt zu nichts, wir wollen nur des reichen Besitzes gedenken.“

Und in der That, wenn man die musikalischen Schätze jeder Art überschaut, wie diese – abgesehen von Schubert’s unerreichtem Lied – erst in neuerer und neuester Zeit aus tiefster Verborgenheit in Staunen erregender Fülle an das Tageslicht gefördert wurden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_388.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)