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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich bin nämlich auf dem Wege, ihn und meine Verwandtschaft zu besuchen, was ich alle Jahr ein oder zwei Mal thue.“

„Jener Bauernhof war also Ihr Erbe? frug ich.

„Das gerade nicht. Wie Sie vielleicht schon wissen, sind die Bauergüter hier zu Lande nicht freies Eigenthum, sondern sie gehören eigentlich der Landesherrschaft, daher vererben sie sich nicht ohne Weiteres, sondern der Bauer kann den Hof einem seiner Kinder oder Verwandten überlassen, oder auch an einen Fremden verkaufen, wozu jedoch stets das Amt seine Genehmigung geben muß. Keins der Kinder hat ein gesetzliches Erbrecht, der Vater kann unter ihnen frei wählen, wer das Gut nach seinem Tode oder schon bei Lebzeiten erhalten soll, und die Geschwister in beliebiger Weise abfinden. Mein Vater hatte mich zu seinem Nachfolger erwählt, obgleich ich der jüngere Sohn bin, und dazu auch vom Amte bereits den Consens ausgewirkt. Mit dieser Bestimmung war jedoch weder ich, noch mein älterer Bruder zufrieden; dieser nicht, weil er den Hof selber haben wollte, und ich nicht, weil ich von Kindesbeinen keine Lust verspürte, ein Bauer zu werden und auf einem Hofe zu verschimmeln. Unser alter Schulmeister hatte mich die Geige spielen gelehrt und mir später seine eigene, dieses alte, prächtige Instrument, verkauft. Das spielte ich nun, so oft es im Dorf oder in der Umgegend eine Lustbarkeit gab oder ich sonst eine Stunde Zeit fand, häufig auch, wenn ich pflügen oder dreschen sollte, worüber mein Vater nicht wenig aufgebracht war und mich fast täglich ausschalt. Dennoch ließ er von seinem Plan nicht ab, sondern fuhr mit mir, als ich vierundzwanzig Jahre alt geworden, zu Amt, wo er mir den Hof verschreiben ließ, freiete mir auch ein Mädchen, das eine hübsche Aussteuer hatte und mich gern nehmen wollte. Da faßte ich meinen Entschluß und entlief wenige Wochen vor der Hochzeit mit einer Musikbande, die in unser Dorf gekommen. Ich nahm nur meine Sonntagskleider und ein paar Thaler aus meiner Sparcasse mit und schrieb dem Vater, er möge den Hof nur meinem Bruder übergeben. Das that er denn auch und ist bald darauf gestorben. Mein Bruder heirathete meine Braut und sitzt jetzt mit einem Nest voll Kindern auf dem Hofe. Ich aber bin seitdem in der Welt herumgezogen, bald mit einer Gesellschaft, bald auf eigene Hand, bis ich 1849 unter die Schleswig-Holsteinischen Freiwilligen trat und dort für eine leider verlorene Sache focht. Im Lazareth wurde mir das Bein abgenommen, dann habe ich wieder das alte, lustige Wanderleben angetreten und gedenke es bis zu meinem seligen Tode fortzusetzen. Das ist die ganze Geschichte!“

„Hat Ihnen Ihr Vater denn gar nichts hinterlassen?“

„Doch! Mein Bruder soll mir einhundert Thaler, ein Pferd, zwei Kühe, ein paar Schweine und etliche Schafe herausgeben, sobald ich mein Vagabundiren aufstecke, in meine Heimath zurückkehre und dort heirathe. Weil das aber – so Gott will! – nie und nimmer geschehen wird, werde ich auch nie einen Pfifferling erhalten, und mein Bruder lacht sich in’s Fäustchen. Um aber von meinem Vatertheil doch etwas zu haben, besuche ich ihn dann und wann und lasse mich von ihm ein paar Tage füttern. Doch nun sagen Sie mir, wohin geht denn Ihre Reise und was haben Sie für ein Geschäft?“

Ich gab ihm die nöthige Auskunft.

„Ah,“ rief er, „Sie wollen unsere Bauern und ihr Heimwesen kennen lernen! Da sind Sie just auf dem richtigen Fleck. Hier im Amte Steinhorst finden Sie noch Alles, wie es vor hundert, ja zweihundert Jahren war. Sehen Sie nur um sich! Die großen, langen, niedrigen, zerstreut liegenden Bauernhäuser mit den hölzernen Pferdeköpfen am Giebel, wo Menschen und Vieh einträchtig beisammen wohnen. Nur hin und wieder ein neumodischer Hof mit besonderen Ställen und Scheunen. Der gehört dann einem Fremden, der sich hier angekauft, oder einem Neuerer, der sein Geld verplempert oder mit Schulden gebaut hat. Die alten wohlhabenden Bauern sitzen auf ihren Geldkasten und rücken und rühren nicht, bis ihnen das Dach über den Kopf zu fallen droht, und dann ziehen sie einen neuen Ständer, eine neue Wand von Fachwerk ein. Ihre Kleider werden im Hause gesponnen, gewebt und genäht; nur an Festtagen tragen sie lange Röcke von blauem Tuch; mit gelben Messing-, zuweilen auch mit Silberknöpfen, die Hosen in den langen Stiefelschäften und auf den langen, grauen Haaren, die hinten durch einen Kamm zusammengehalten werden, einen verbogenen und verbolzten schwarzen Filzhut, mit dem schon der Großvater zur Einsegnung gegangen. Nur das jüngere Weibervolk hat auch hier die alte kleidsame Tracht abgeworfen und sich dafür mit Tonnenreifen, Federhüten und allerhand bunten Lappen behangen. Wie wär’s,“ fuhr er fort, „wenn Sie, da es Ihnen hier doch an Bekanntschaft fehlt, mit mir zu meinem Bruder kämen, wo Sie sich Alles selber ansehen können? Wir haben noch eine halbe Meile und langen vielleicht gerade zu Mittag dort an.“

„Das wäre uns ganz erwünscht, aber ungebetene Gäste würden Ihrem Bruder schwerlich willkommen sein,“ gab mein Gefährte zur Antwort.

„Ja, er ist ein zäher, filziger Bauer wie die anderen, aber soviel Gastfreundschaft finden Sie noch in jedem Lauenburgischen Hause, sonst würde es in der ganzen Umgegend das Ansehen verlieren.“

„Unter solchen Umständen nehmen wir Ihren Vorschlag gern an,“ sagte ich.

Gegen elf Uhr erreichten wir ein langes Dorf, das etwa aus zwanzig Bauerhöfen und ebenso vielen Kathen bestehen mochte, die sich nur wenig von einander unterschieden. Fast in der Mitte der Gasse lag ein unförmliches, wie die übrigen mit Stroh gedecktes Gebäude, auf welches unser Führer zuschritt. Den Eingang bildete ein großes, scheunenartiges, bis an die Dachsparren reichendes Thor, dessen beide Flügel ganz geöffnet und an der äußeren Mauer eingehakt waren. Im ersten Augenblick glaubten wir in eine endlose, halbdunkle Höhle zu blicken, bis wir im Hintergrunde ein großes, qualmiges Heerdfeuer entdeckten, dessen Rauch an der Decke und den Wänden hinauszog und im Kampfe mit den auflodernden Flammen und dem hereingaukelnden Sonnenlichte jenes magische Halbdunkel erzeugte. Dieser lange, breite Raum war mit Lehmestrich gepflastert und ließ in der Höhe das Strohdach erblicken. Im Vordergrunde stand ein halberwachsener Bursche und hieb auf einem Eichenklotze ein Strauchwerk klein, das wahrscheinlich den Knicks entnommen war, die in jedem Herbst abgeästelt werden. Er bemerkte uns nicht und außer ihm war kein menschliches Wesen zu sehen. Nur einige Hühner, Gänse, Enten und Ferkel pickten, schnatterten und grunzten umher, während links ein paar Pferdeköpfe und rechts mehrere Kühe neugierig die Fremdlinge anschauten. Auf dieser Tenne oder Diele concentrirt sich das Leben des Hofes; von hier aus geht es in das Wohnzimmer des Bauern, in die Kammern des Gesindes und in die Räume, die zum Aufbewahren der Küchengeräthe dienen. Hier ist in der Decke eine große Oeffnung angebracht, durch welche die in die Tenne einfahrenden mächtigen Erntewagen ihren Segen auf den Bodenraum entleeren; hier steht auf Gerüsten das in Säcke gefüllte Getreide, hier hängen im Rauche Mengen von Speckseiten, Schinken und Würsten.

„Nun werde ich mich anmelden, wie ich’s gewöhnlich thue,“ sagte der Stelzfuß leise zu uns. „Treten Sie nur ein wenig bei Seite.“

Dann öffnete er seinen Kasten, nahm die Geige heraus, trat auf die Schwelle des Thorwegs und begann einen munteren Tanz aufzustreichen.

Flugs ließ der Junge sein Beil sinken und glotzte den Musikanten überrascht an, bald aber sah sich dieser von einem Dutzend flachshaariger Buben und Mädchen umschwärmt, die aus den anstoßenden Thüren hervorquollen, Eins immer um einen halben Kopf höher als das Andere, und nun lärmend und in die Hände klatschend auf der Tenne hin- und hersprangen. Dann kamen auch einige erwachsene Männer und Frauenzimmer und endlich trippelte ein kleines, greises Mütterchen heran, indeß der Stelzfuß schneller und lustiger fortgeigte.

„Ohm Hinrich ist da! Ohm Hinrich ist da!“ jubelten die Kinder.

„Guten Tag, Bruder Hinrich! Willkommen, Schwager Hinrich!“ grüßten lachend die jungen Leute.

„Mein Sohn Hinrich, bist Du endlich wieder da?!“ sagte das Mütterchen und faßte die Hand des Spielmanns, so daß er im Geigen aufhören mußte.

„Ja, Großmutter,“ antwortete er, „ich bin wieder hier und denke diesmal ganzer acht Tage bei Euch zu bleiben.“

„Ach, mein Sohn,“ klagte die Alte, „warum willst Du nicht acht Wochen, acht Monate, nein, für immer bei uns bleiben?!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_350.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)