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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

das Auge von Europa auf sich lenken müssen? Hätten sie so geheim, so aller Welt unbekannt bleiben können; wie sie es in der That jetzt noch sind? Und wie wäre eine Secte, und hätte sie über hunderttausend und sämmtlich sehr reiche Mitglieder gezählt, – im Stande gewesen, dreißig Jahre lang die vielen Millionen aufzubringen, und zwar nur zu dem Zweck, damit dieselben in fremdem Lande hinter Schloß und Riegel vergeudet würden? Und gewesene Juden sollen das gethan haben für ein „heiliges Haupt“, das nicht das Geringste für die Ausbreitung der Secte that, das keinen einzigen Priester des neuen Glaubens bei sich hatte, ja, das sammt all’ den Seinen, von den Pflegekindern bis zum letzten Leibgardisten, offen dem katholischen Cultus huldigte und für ihn die großartigsten Opfer brachte?

Mit welch’ namenloser Verschwendung das Schloß des Herrn von Franck in Offenbach ausgestattet war, kann man schon daraus ermessen, daß man im Treppenhaus die Stufen mit dem feinsten und kostbarsten isabellfarbigen Tuch belegt sah, das zu beiden Seiten mit vierfingerbreiten echten Goldborden besetzt war. Der Glanz, den das Haus durch den Wohlthätigkeitsprunk um sich verbreitete, mochte zu seiner Sicherheit beitragen, übertrieben war er für jedes Einnahmeverhältniß. Wie paßt dies zu einem Sectenhaupte, das von den Gaben dieser Secte abhängig war? Zur nächsten Umgebung des Fräuleins Eva gehörte eine „russische Fürstin Lubomirska“. Diese kam noch zu Oberrad ins Kindbett; nach neun Tagen durften die Frauen von Oberrad sie und das Kind sehen, und jeder gab sie aus einer neben ihr stehenden Schatulle voll Gold ein reiches Geschenk. Konnte auch diese Ausgabe im Interesse einer Secte geschehen?

Der alte Herr starb am 10. December 1791 eines raschen Todes. Herr Schenck-Rinck sah damals selbst, daß der auf dem Paradebett stehende Sarg mit rothem Sammt ausgeschlagen und mit goldenen Sternen und einer Krone verziert war. Die Kosten der Bestattung sind auf zehntausend Gulden geschätzt worden. Auch bei dieser Gelegenheit hörte man von einigen Personen, welche Peter den Dritten gesehen hatten, die Meinung äußern, daß nach Alter, Angesicht und Gestalt der „Polakenfürst“ kein Anderer gewesen sein könne, als jener so plötzlich verschwundene Russenkaiser. Nicht weniger auffällig ist der genau ermittelte Umstand, daß die auswärtigen Geldsendungen an die Familie von Franck nicht mit dem Tode des alten Herrn, sondern erst mit dem Tode der Kaiserin Katharina (sie starb am 17. November 1796) aufhörten. Bis dahin war die Hofhaltung, an deren Spitze nun Fräulein Eva stand, in der bisherigen Weise forterhalten worden, nur daß die Familie das Schloß verlassen und ein Haus bezogen hatte, das schon früher von ihr angekauft und mit derselben verschwenderischen Pracht, wie das alte, ausgestattet worden war.

Auch als von dem genannten Zeitpunkt an die geheime Einnahmequelle versiechte, ward keine Einschränkung in dem fürstlichen Leben bemerkbar; nur verließ nach und nach ein großer Theil des Gefolges Offenbach, so daß nur noch etwa Vierhundert zurückblieben. Aber trotz kostspieliger Wechselgeschäfte und Verpfändung von Pretiosen, Silbergeschirr und sonstigen Kostbarkeiten wuchs die Schuldenmasse der Familie bis 1799 zu einer Million Gulden an, und endlich drohten die Hauptcreditoren mit gerichtlichem Einschreiten. Da wurden am 17. Januar 1800 die Bewohner von Offenbach, Frankfurt, Mainz und anderen Städten durch eine an vielen Straßenecken angeschlagene und in viele Familien vertheilte Proclamation überrascht, die in jeder Beziehung ein denkwürdiges Actenstück ist, das wir deshalb hier vollständig mittheilen:

„Auf die so lange mit Sehnsucht erwartete Befriedigung unserer Gläubiger ist uns die Allerhöchste günstigste Antwort von Seiner Russischen Kaiserlichen Majestät, Selbstherrscher aller Reußen, erfolgt; auf Allerhöchst Deren Einladung wird sich unser geliebter Bruder den 1. Julius nach St. Petersburg begeben und nach sechsmonatlichem Aufenthalt zurückkehren und unter militärischer Bedeckung einen solchen gehörigen Geldtransport mitbringen, welcher alle unsere Gläubiger sowohl hier in Offenbach als in Frankfurt und aller Orten, wo nur unsere Schulden vorhanden, befriedigen wird. Sofort werden alle unsere hiesigen als auch auswärtigen Gläubiger um Geduld gebeten, ausgenommen unsere Bäcker, Metzger und anderen brauchbaren Leute, welche nach und nach abbezahlt werden. Nach geschehener Zurückkunft werden unsere Creditores durch öffentliche Blätter und unter dem Schall der Trompeten eingeladen, ihre Zahlungen sammt kommenden Interessen, welche pünktlich bis auf den letzten Heller ausbezahlt werden, zu empfangen; diejenigen aber, welche ohne zu können unsern Namen einigen Schandfleck angethan, werden nach geschehener Auszahlung ihre gebührende Strafe öffentlich dafür erhalten.

So geschehen
Offenbach, den 17. Januar 1800.
(L. S.)

Eva von Franck.
Roch von Franck.
Joseph von Franck.“

Das landesherrliche Recht öffentlicher Proclamationen und Strafandrohungen, das sich die Familie mit diesem Actenstück herausnahm, und die Duldung desselben durch den regierenden Fürsten bestärkten die Bewohner der genannten Städte erst recht in der Annahme, daß man es mit nahen Verwandten des russischen Kaiserhauses zu thun habe.

Eine Reise des Fräuleins Eva nach Venedig sowie die so pomphaft angekündigte Geldfahrt Roch’s nach Petersburg verschlangen große Summen, blieben aber ohne den verheißenen Erfolg. Es trat nun wirklicher Mangel in der Hofhaltung ein; das noch zurückgebliebene Gefolge fing an, mit seiner Hände Arbeit, die Frauen durch Stickereien, die Männer durch Handel in Manufactur- und Goldwaaren, sich zu ernähren. Da starb plötzlich, ohne vorheriges Krankheitszeichen, der liebenswürdige Joseph von Franck und wurde mit großem Pomp auf dem Offenbacher Friedhof bestattet. Räthselhaft blieb freilich Allen das gar zu rasch abgespielte Ereigniß.

Neue Hoffnungen für die Geschwister von Franck wie für die Gläubiger brachte das Jahr 1815. Die drei verbündeten Monarchen hielten ihren Einzug in Frankfurt. Viele russische Große vom kaiserlichen Gefolge statteten dem Fräulein Eva ihre Besuche in Offenbach ab und sie selbst hatte eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Alexander in Homburg vor der Höhe. Erfüllten sich auch nicht die Erwartungen der Gläubiger, so konnte doch von da an das Schuldenmachen aufhören; jeder Bedarf wurde sofort berichtigt, und schon dies erforderte nicht unbedeutende Mittel. Roch von Franck, der auch während der Anwesenheit des Kaisers in russischer Stabs-Officiersuniform in Frankfurt erschienen war und mit der kaiserlichen Umgebung in nahem Verkehr gestanden hatte, trat jetzt in activen Dienst der russischen Armee und war für Offenbach spurlos verschwunden.

Wie schon bemerkt, waren Großeltern und Eltern und mehrere nahe Verwandte der Familie des Herrn Schenck-Rinck an der Schuldenmasse Derer von Franck mit bedeutenden Summen betheiligt. Um eine gütliche Mahnung zu versuchen, begab sich, kurz nach dem Verschwinden Roch’s von Franck, die Mutter des Herrn Schenck-Rinck, ihn selbst mit sich führend, zu dem Fräulein Eva nach Offenbach. Herr Schenck-Rinck schreibt über diesen Besuch: „War schon die hier herrschende Pracht vollkommen geeignet, die kindliche Phantasie in die Märchenwelt zu führen, so verwischte sich mir nie der Eindruck, als sich die Portièren theilten und das Fräulein in noch immer wunderbarer Schönheit mit ihren glänzenden Augensternen, deren Feuer die Brillanten ihres Schmucks überstrahlte, auf meine Mutter mit herzlicher Begrüßung zutrat. Ich war damals ein Knabe von acht Jahren und blieb stumm und staunend im Anschauen der majestätischen Schönheit stehen; ja, ich gestehe offen, daß der Eindruck sich so tief dem kindlichen Gemüthe einprägte, daß ich noch jetzt, nach mehr als fünfzig Jahren, mich der feenhaften Erscheinung noch immer lebhaft erinnere. Das Fräulein konnte leicht den Zweck des Besuchs ahnen, und sie kam meiner Mutter mit Aufzählen von Aussichten und Hoffnungen zuvor; so groß war die Allmacht ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit, daß sie jeden Vorsatz einer ernsten Anforderung oder Drohung noch auf der Zunge entwaffnete.“

Das Jahr 1816 – das Hungerjahr – verlief ohne besonderes Ereigniß für Offenbach und seine geheimnißvollen Gäste; desto verhängnißvoller wurde das folgende Jahr. Eine Familie W. in Mainz, deren ganzes sehr bedeutendes Vermögen in den Säckel der von Franck’schen Hofhaltung geflossen und deren einst so geachtete Existenz dadurch vollständig gestört war, wandte sich endlich an den damaligen Gouverneur von Mainz, Erzherzog Carl, um Einschreiten. Sofort wurde über das Fräulein, die Kämmerlinge und die gesammte Dienerschaft Hausarrest verfügt; das geschah an einem Sonnabend, und am Montage wollte der Erzherzog selbst an Ort und Stelle die Erklärungen des Fräuleins

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