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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich war nicht umsonst zwei Jahre auf der medicinischen Hochschule gewesen und Chirurgie hatte ich vornehmlich gerne getrieben. Ich kniete bei ihm nieder, bemüht ihm zu helfen. Er war schwer, sehr schwer verwundet. Ich fragte nach Bandagen. Sie zerriß ihre Kleider, und gab mir, was ich brauchte. Vor allen Dingen suchte ich den starken Blutverlust zu stillen; nachdem mir dies bis zu einem gewissen Grade gelungen war, ging ich in das Zelt, um irgend eine stärkende Flüssigkeit zu holen. Ich fand etwas Wein und eilte, ihm denselben einzuflößen. Kaum war dies geschehen, so öffnete er die Augen und flüsterte mit leiser, liebevoller Stimme: „Grace, meine liebe, liebe Grace!“

Um in keiner Weise zu stören, zog ich mich etwas zurück; doch blieb ich so nahe, daß, sobald man meiner bedurfte, ich schnell zur Hand sein konnte. Als ich aber nach den Kämpfenden zurückblickte, gewahrte ich zu meinem größten Schmerze, daß die Rebellen die Unsrigen hart bedrängten. Der Fall des Führers hatte eine augenblickliche Verwirrung in unseren Reihen hervorgerufen, die von den Feinden sogleich benutzt wurde. Mit verdoppelter Kraft, bald das Schwert, bald den Carabiner gebrauchend, stürzten die südlichen Reiter auf die Kämpfer des Nordens. Es war ein wüthendes Handgemenge. Endlich aber schienen die Reihen der Unsrigen zu wanken; immer mehr und mehr wurden sie auf einen dichten, dunklen Haufen zusammengedrängt, aus dem nur die blinkenden Spitzen der Bajonnete hervorragten, und immer näher und näher wälzte sich diese wilde, wirre Masse dem Platze zu, wo wir uns befanden. Bei diesem Anblicke durchzuckte wilder Schmerz mir Sinn und Herz. Schon glaubte ich unseren Obersten verstümmelt und bluttriefend unter den stampfenden Hufen der feindlichen Rosse zu sehen und Grace, ihres heldenmüthigen Beschützers beraubt, in tiefer Trauer, doch darum nicht minder schön, der rohen Gewalt entmenschter Guerrillas preisgegeben. Ich eilte ihr sogleich zur Seite, fest entschlossen mit meinem Leben auch das ihrige zu schützen.

Auch dem Obersten war die unselige Wendung des Kampfes nicht entgangen. So schwach er auch war, hatte er sich doch, von seiner Frau unterstützt, etwas in die Höhe gerichtet und sorgenvollen Blickes die Kämpfenden beobachtet. Angriff auf Angriff, wild und ungestüm, drängte die Unsrigen immer weiter zurück. Vergebens hörte ich Carter’s rauhe Stimme die Seinigen anfeuern, vergebens commandirte Cosmar seine deutschen Landsleute zu einem verzweifelten Bajonnetangriffe, vergebens stürzte sich Charlie Marsh, seinen Leuten weit voran, mit hochgeschwungenem Degen in das dichteste Gedränge, unsere Soldaten konnten dem rasenden Andringen des Feindes, der mit wahrhaft dämonischem Geschrei seine Angriffe von allen Seiten wiederholte, nicht mehr widerstehen, sie wichen Schritt für Schritt zurück.

„Grace, Grace! Das ertrage ich nicht; ich muß sie wieder sammeln! Laß mich hin zu ihnen!“ so rief Oberst Fanning, und suchte sich den ihn umschlingenden Armen seiner Frau zu entreißen. Ich eilte, ihr ihn festhalten zu helfen, und flüsterte ihr zu, daß es sicherer Tod für ihn sei, wenn er wieder in den Kampf zurückkehre. Doch der Oberst hatte meine Worte gehört und rief mit harter, fast grausamer Stimme; „Weichen, geschlagen werden ist schlimmer, als der Tod! Kann ich nicht siegen, so will ich lieber sterben, besser ist’s, ihr tödtet mich sogleich!“

Da, schnell wie der Gedanke, verließ uns Grace, und ich hielt den sterbenden Helden allein in meinen Armen. Des Gatten Schwert in der Hand eilte die junge Frau mit Blitzesschnelle den Streitenden zu. Die blanke Klinge mit dem nackten, schlanken Arme schwingend, die leichten Nachtkleider wie weiße Schwingen durch die Luft fliegend, so traf sie auf dem Kampfplatze ein, und, wie der Engel des Todes, rief sie den von Erstaunen und Schrecken erfüllten Männern die drohenden Worte zu: „Der erste Mann, der zurückweicht, ist des Todes! Schande und Schmach über euch, so ihr euren Führer ungerächt und nicht als Sieger sterben lasset!“ Und wiederum schwang sie hoch das blitzende Schwert, und mit wunderbar seltsamen Worten – sie sind aber meinem Gedächtniß entschwunden – feuerte sie von Neuem den gesunkenen Muth unserer Leute an; mit dem Ausrufe: „Sieg oder Tod!“ stürzten sich dieselben dem Feinde entgegen, und wilder, denn je vorher, wüthete der Kampf mit Schwert und Dolch, Kugel und Kolbe.

Dann aber, nach Verlauf weniger Minuten, kehrte Grace matt und schwach zu uns zurück: Der Oberst streckte ihr – mit einem eigenthümlichen, fast überirdischen Leuchten seiner Augen – seine Rechte entgegen und sagte mit der tiefsten Rührung: „Grace, mein Weib! Mein theures, liebes Weib!“

Unaussprechliche Liebe, tiefe Seelenerkenntniß lag auf Beider Antlitz ausgesprochen, bis die Züge des Obersten einen immer starreren, marmorkalten Ausdruck annahmen.

Grace’s Erscheinung auf dem Kampfplatze hatte das Gleichgewicht des Kampfes wieder hergestellt. Gar mancher Sattel wurde wieder leer und Rosse und Reiter stürzten haufenweise blutend zur Erde. Allein die Uebermacht des Feindes war doch zu stark; zehnmal zurückgeworfen, kehrte er zehnmal und doppelt so stark, als früher, zurück. Gab es gar keine Hoffnung mehr für uns? Sollten und mußten wir unterliegen? War alle Tapferkeit und aller Heldenmuth umsonst gewesen? Grace saß still und schweigend an der Seite ihres Mannes, den starren Blick fest zum Himmel emporgerichtet. Verzweiflung in der Brust stürzte auch ich mich wieder in den Kampf. Die Hoffnung auf Sieg war fast ganz verschwunden; schon hörte man hier und da in unseren Reihen das verhängnißvolle Wort: “Retreat!“ (zum Rückzug). “Just once more!“ (nur noch ein Mal drauf) rief Charlie Marsh, und fiel dicht neben mir schwer verwundet zur Erde.

Da horch! Durch das Kampfgetöse hindurch schallt von Osten her und immer näher und näher kommend ein neues, aufmunterndes Kriegsgeschrei. Den gelben Sandweg daher stürmt wie die Windsbraut ein Cavallerietrupp heran, hinter ihm rasseln in fliegender Eile über den Waldabhang dahindonnernd die Kanonen reitender Artillerie, und hoch in der Luft flattert, sausend bei der schnellen Bewegung der schaumbedeckten Rosse, das Banner der Freiheit. „Hülfe ist nahe, wir sind gerettet!“ so schallt es durch unsere gelichteten Reihen, und ein wilder, mächtiger Jubelruf begrüßt die heraneilenden Helfer und Freunde.

Der Feind stutzt, eine rasche Berathung folgt, und kaum fallen ein- oder zweimal prasselnd die Kartätschen, Roß und Mann zerreißend, in seine dichten Reihen, so lösen sich dieselben, und selbst der wuthschnaubende Forrest vermag sie nicht wieder zu ordnen. Der Sieg, den er fest in der Hand zu halten glaubte, ist ihm entrissen und er sieht sich in der bald allgemeinen Flucht der Seinen mit fortgezogen.

Eine kurze, aber nachdrückliche Verfolgung endete den Kampf. Der Sieg war unser. Rasche Fragen und Antworten sagten uns, daß unsere Freunde, die nicht weit von uns ihr Nachtlager aufgeschlagen, den Schlachtenlärm bei der Stille der Nacht gehört hatten und uns zur Hülfe geeilt waren. Das Uebrige sahen wir vor uns.

Dann rief man den Arzt zu Oberst Fanning. Der Mann mit der grünen Schärpe hatte in seinem harten Berufe sein Gefühl nicht verloren. Thränen erfüllten seine Augen, als er sich von seinen vergeblichen Bemühungen erhob und leise sagte: „Ich kann hier nichts mehr thun, meine Hülfe ist anderswo vonnöthen.“

Unser Freund und Führer war todt!

Wir hüllten seinen entseelten Körper in weiche Decken und legten ihn sanft am Fuße einer Eiche nieder. Grace saß neben ihm, still und ohne Thränen, aber blaß wie die Hand, die auf dem Herzen des todten Helden ruhte. „Robert, sende sie weg,“ sagte sie zu mir, als mitfühlende Fremde näher treten wollten, und wir waren allein mit dem todten Gatten und Freunde. Nach einer kleinen Weile redete ich sie an und versuchte sie zu trösten, so gut ich es vermochte.

„Ja, Robert,“ antwortete sie mir, „ich habe ihn dem Vaterlande zum Opfer gebracht. Der Himmel mag mich trösten und – die Zeit, Menschenworte vermögen es nicht. Sprich jetzt nicht mehr zu mir und laß Niemanden zu uns kommen.“

Endlich kamen die Thränen und sie weinte still und bitterlich unter dem Sternenbanner und an der Seite des Todten. Ich hörte das dumpfe Geräusch vieler Stimmen, und dann und wann einen lauten Schmerzensschrei; ich wußte, man suchte die Leiden der Verwundeten zu lindern. Ich richtete meinen Blick wieder auf Grace. Ihr volles Haar fiel aufgelöst zur Erde nieder, sie neigte ihr Haupt über das kalte Antlitz des todten Helden und der Mond goß sein bleiches Licht über Beide aus. Ich wagte nicht mehr mit ihr zu reden und sie in ihrem gerechten Schmerze zu stören. – – –

Seit jener schrecklichen Nacht sind Jahre vergangen. Grace ist noch Wittwe und denkt oft und mit stolzem Schmerze an den im heldenmüthigen Kampfe für’s Vaterland gefallenen Gatten.



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