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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

wirklich vom Herzen. Ob sie so ganz von Allen verlassen werden solle, die sie liebe? Ob sie so verworfen, so unerträglich sei, daß der Tod auf dem Blachfelde dem Leben mit ihr vorgezogen zu werden verdiene? Und er werde sterben oder schwere Wunden davon tragen und auf dem einsamen Schlachtplatz verzweifelnd mit wilden Schmerzen ringen! Sie schmiegte sich schluchzend an seine Brust, und unser weichherziger Fritz vermochte nicht sie in solcher Betrübniß zu sehen, sondern versprach ihr zu bleiben. Sie freute sich darüber wie ein Kind.

Aber Versprechen und Halten ist zweierlei, und das wußte sie sehr wohl. Als sie daher bemerkte, daß Herr Friedrich zuweilen Geschäfte hatte, von denen sie nichts wußte, argwöhnte sie vollkommen richtig, daß er im Stillen seinen Plan noch verfolge und hinter ihrem Rücken auf heimliche Entweichung sinne. Erfinderisch traf sie daher ihre Vorkehrungen, ohne ihm selbst entgegenzutreten; sie ließ gegen den Director Winke fallen, daß das wichtige Mitglied zu entrinnen suche, und schnell war Turn strenger beobachtet und enger umringt, als der unglückliche Lampe im geschlossenen Treiben der Jagd.

Der arme Gefangene ergab sich in ein Schicksal, dem zu entrinnen er einer Energie bedurft hätte, die ihm nicht gegeben war; aber er wurde ganz melancholisch und seine Liebe stärkte es nicht, daß ihm die Geliebte die Freiheit des Handelns verwehrte und mannhafte Thätigkeit unmöglich machte. Er „arbeitete“ – so nennt der Athlet seine Beschäftigung – in Sprüngen und Kraftstückchen fort, etwa wie der Bär an seiner Kette, mit innerlichem Ingrimm, aber mit staunenerregender Verachtung aller Gefahr, und war weit berühmt als der beste Akrobat und Springer. Ein Ruhm, der ihn nicht wenig ärgerte.

Das ging eine Zeit lang weiter; unser Leichtfuß wurde träger und stiller; die Primadonna hatte noch immer ein aufmerksames Auge auf sein Gelüste, war aber auch aufmerksam auf seine Wünsche und that das Ihrige, um nicht andere Begehren aufkommen zu lassen.

Damals traf ich ihn selbst und aus seinem eigenen Munde erfuhr ich Alles, was ich hier erzähle. Man hatte mir gesagt, ich müsse den Circus besuchen, der vor einem Thore der Stadt erbaut worden war; es würden staunenswerthe Dinge producirt, auch seien die Mitglieder, Männer und Frauen, zum Theil von auffallender Schönheit. Ich bin sonst kein Freund solcher Vergeudung der Kräfte, trotzdem kann ich jedoch nicht leugnen, daß ich Vorstellungen dieser Art, wenn sie sicher und elegant und von schönen Menschen ausgeführt werden, gern sehe, und man sprach hier so viel davon, daß ich neugierig wurde und mich von einigen Bekannten ohne großes Widerstreben dahin führen ließ. Der eine von ihnen war voll Entzücken über Fräulein Julie und hatte ihrethalben den Circus alltäglich besucht, aber – und das regte mein Interesse an – trotz seiner bekannten Virtuosität in Besiegung des schönen Geschlechts nur jene Freundlichkeiten errungen, die der stereotype Ausdruck einer Tänzerin sind.

Ich fand den Circus allerdings ungewöhnlich elegant, die Costüme wenigstens für die Abendbeleuchtung anscheinend kostbar, das Personal zahlreich und die Productionen stets präcis und graciös ausgeführt. Fräulein Julie war unter den Ersten, die auftraten; ich mußte ihre Schönheit und Anmuth anerkennen, es schien mir sogar ein Ausdruck des Geistigen darin zu liegen. Etwas später kam der Athlet an die Reihe. Es war eine prächtige Figur mit gewaltigen Muskeln und wunderbarer Leichtigkeit der Bewegung. Trotz des obligaten Lächelns, das er als einen Theil seiner Production zu betrachten schien, zeigte er ein eigenthümlich unwirsches, barsches Wesen; die Diener der Truppe gehorchten furchtsam auf seinen Wink, der Director durfte sich nicht in seine Nähe wagen; den Beifall des Publicums, der oft donnernd losbrach, erwiderte er kaum durch ein nachlässiges Nicken. Ich hatte ihn nicht gleich erkannt. Die eigenthümliche Tracht, die Schminke, der harte Ausdruck des Gesichts, das ich früher nicht anders als lachend sah, die seitdem ungemein entwickelte Muskulatur mußten mich daran hindern; aber der allgemeine Eindruck war doch der von etwas Bekanntem, so daß ich hin und her sann, wo ich vielleicht dem Manne begegnet sei. Ich kam darüber erst in’s Klare, als er einmal unmittelbar in meiner Nähe vorbeischlenderte, seine Augen den meinigen begegneten und seine Miene verrieth, daß auch er einen Bekannten gesehen hatte; doch ging er, ohne mich weiter zu beachten, vorbei. Man kann sich denken, daß die Sache nun ein ganz anderes Interesse für mich bekam; ich saß jetzt in der äußersten Spannung. Bald gewahrte ich, wie es zwischen unserem Freunde und der Tänzerin stand. Sie blieb bei allen seinen gefährlichen Productionen zugegen, begleitete ihn beständig mit ihren Blicken und verrieth ebensoviel Angst wie Stolz. Als er einmal in bedeutender Höhe einen enormen Sprung ausgeführt hatte, bei dem sein Fuß kaum mit der äußersten Spitze das entgegenstehende Podest berührte, und sich anschickte, diesen Sprung zu wiederholen, legte sie ihm auf eine Art, die das Publicum kaum wahrnehmen konnte, mit einem demüthig bittenden Blicke ihre Hand auf die Schulter und er unterließ das Wagniß. Ueberhaupt zeigte er sich gegen sie zwar keineswegs galant beflissen, wohl aber nachgiebig und gefügig, als würde er von ihrer sanften Demuth beherrscht. Ich konnte kaum den Schluß der Vorstellung erwarten, ich mußte Turn sprechen. Er war sofort abgetreten und verschwunden; ich erkundigte mich nach seiner Wohnung, es wurde mir ein kleiner Gasthof in der Vorstadt bezeichnet. Dort wies man mich nach einer Stube im obersten Stock. Ich klopfte an die Thür, es hörte Niemand, wahrscheinlich, weil es eben sehr geräuschvoll in dem leicht gebauten Hause zuging. Ich erlaubte mir, die Thür zu öffnen, – welcher Anblick!

Es war ein mäßig großes Zimmer, durch ein Talglicht matt erleuchtet, ordentlicher gehalten, als sonst die Wohnungen solcher Künstler aussehen; ein runder Tisch in der Mitte war mit kalten Speisen und einer Flasche Wein besetzt, die Speisen standen unberührt, ein Glas halb geleert. Vor diesem Tische saß in seiner Tricotkleidung mit einem Rocke darüber der arme Turn, beide Arme darauf gestemmt und mit der Stirn auf den Armen. Neben ihm stand Fräulein Julie, ihre Hand auf seiner Schulter, halb über ihn gebeugt, eine Thräne im Auge.

Ich fuhr zurück, aber das Mädchen hatte mich bemerkt, trat heraus und frug nach meinem Begehren. Zeh antwortete, daß ich den Herrn Friedrich sprechen wolle. Turn rief aus dem Zimmer: „Er soll gehen.“ Ich aber sagte zur Tänzerin: „Ich lasse mich nicht so abweisen; wolle er’s durchaus, so müsse er an mir seine Kraft erproben.“ Turn rief wieder: „Laß ihn herein!“ Mit verwunderter Miene öffnete sie die Thür. Turn war aufgestanden und reichte mir die Hand, aber kaum bot ich ihm die meine, so schlang er seinen Arm um meinen Hals und weinte bitterlich. Es war, wie ich nachher erfuhr, das erste Mal, daß er in seiner neuen Laufbahn mit einem Freunde aus alter Zeit zusammentraf. Im Gesicht der Tänzerin spiegelte sich theils Verwunderung, theils Bangigkeit; ich erwartete, ihr vorgestellt zu werden, statt dessen erfolgte ein kurzes „Laß uns allein.“ Es rührte mich, wie das Mädchen ihm, ehe es ging, demüthig bittend und zärtlich den Mund bot und frug, ob es zu Bett gehen dürfe; es lag darin ein Ausdruck tiefer, überwältigender Liebe, und tragisch däuchte mir die kalte Gelassenheit der Erwiderung.

Sie entfernte sich mit einer Verbeugung in das Nebenzimmer. Turn stand eine Zeit lang schweigend vor mir, dann sagte er, als antwortete er mir auf eine Frage: „Ja, das ist aus mir geworden, ein Athlet, ein Akrobat, ein Mensch, der unnütz auf der Welt herumläuft!“

Ich suchte ihn zu beschwichtigen und erfuhr nach und nach, was ich erzählt habe; die Mittheilung erleichterte sein Herz. Sein Verhältniß zu Julien schien ihn sehr zu beschäftigen; er befand sich in dieser Beziehung offenbar im Zwiespalt mit sich selber. Ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit bezauberten ihn noch immer, er schilderte mir mit glühenden Farben ihr erstes Bekanntwerden und sein erstes Glück. Auf meine Frage, ob sie ihm treu sei, antwortete er ohne Besinnen: „Wie Gold; ohne Zweifel, sie denkt an keinen Andern.“ Doch nach einigen Augenblicken setzte er hinzu: „Aber – sie ist eine Tänzerin der Schaubühne und ich bin um ihretwillen ein Athlet.“ Und dabei brach er in ein verzweifeltes Lachen aus. Es wurde mir klar, daß Beide, wenn sie in andern Verhältnissen gelebt hätten, das glücklichste Paar gewesen wären, daß Beide auf einander einen günstigen Einfluß übten, daß aber die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt, von einer Welt höherer Bildung, und die Beschränkung auf den Umgang untereinander bei Freund Turn Ueberdruß und der Widerwille gegen den Beruf Widerwillen gegen die Genossin des Berufs hervorrief. Als ich sagte, er solle sich losmachen wie ein Mann, erwiderte er: „Und was beginnen? Aber es wäre ihr Tod!“ Die Aufforderung, mich zu besuchen, lehnte er düster ab; er gehöre

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