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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

männlichen Schönheit ihr Auge zuzuwenden; sie plauderte gern mit ihm, sie hing sich gern an seinen Arm, sie war liebenswürdig, selbst zärtlich gegen ihn, sie nahm seine Geschenke, Kostbarkeiten hätten sie verletzt – man merkt die Absicht und wird verstimmt – aber seine Kleinigkeiten schienen ihr wahre Beweise von Anhänglichkeit. Allein ihr Stolz oder vielmehr die Verschlossenheit ihres Herzens war doch noch groß genug, um ihm keine Vertraulichkeit zu gestatten. Kein Wunder, daß die Leidenschaft unseres Turn von Tag zu Tag zunahm und in’s Unbändige wuchs. Nicht blos die Schöne fesselte ihn, auch das freie Treiben der Truppe übte einige Anziehungskraft; Woche um Woche verlängerte er seinen Aufenthalt in L., endlich mußte er doch nach Jena zurück. Sein Erbe war aber bis auf ein Kleines verzehrt; wie sich herausstellte, konnte er die Studien nicht mehr fortsetzen. Das consilium abeundi hatte er bereits unterschreiben müssen, weil er die Collegien fast immer schwänzte, jetzt gab seine lange Abwesenheit wieder Veranlassung zu gerichtlichen Erörterungen, die Relegation drohte. Was beginnen? Es fuhr ein Gedanke durch seine Seele, er haftete darin, sein Leichtsinn kannte keine Bedenken, ein wichtiger Entschluß galt ihm nicht mehr als ein Abenteuer. Eines schönen Tags schrieb er an den Director der Truppe, ob er ihn für fähig halte, bei derselben mitzuwirken, und ihn als Mitglied annehmen wolle. Dem Director kam das Erbieten sehr gelegen: ein so schöner, gewandter und starker Mann konnte nur nützen und neue Anziehung üben, offenbar brauchte ihm, der eine Zukunft suchte, nur nothdürftig gezahlt zu werden. Unter allerlei Cautelen – damit er den Schein wahre, als thäte er’s aus bloßer Barmherzigkeit – erklärte sich der Director geneigt, den schönen Fritz bei der Gesellschaft anzunehmen. Sobald dieser die Nachricht erhielt, ging er von der Universität ab und vermied damit die Relegation.

Fräulein Julie sah in dem auffälligen Schritt einen neuen und starken Beweis von Liebe und empfing ihren Verehrer mit weniger Zurückhaltung als früher. Er wurde um so eifriger, er wich nicht von ihrer Seite. In der Arena war er ihr Beistand, außerhalb ihr Begleiter. Und wenn er mit dem schönen Mädchen in den Anlagen um die Stadt hinritt und die Spaziergänger das seltene Paar mit Bewunderung betrachteten, wenn er dann auf dem Felde vor der Stadt mit ihr davonjagte, über Gräben setzte, sie ihm entfloh und er sie einholte, wenn er zuletzt die von der Frische der Luft blühende und vom lebhaften Ritte glühende Gestalt vom Pferde heben durfte, dann hielt er sein Loos für beneidenswerth. Immer lebhafter drang er in sie und immer inniger schloß sie sich ihm an; das Bedürfniß der Liebe wachte wieder in ihr auf. Aber Dame Julie war doch theils in Folge der Erfahrung, die sie gemacht hatte, theils weil sie, dadurch gewitzigt, den leichten Sinn ihres Freundes beobachtet und erkannt hatte, in hohem Grade mißtrauisch und zeigte sich bedenklich. Einer zweiten Täuschung wollte sie sich nicht aussetzen. Von Heirath konnte nicht wohl die Rede sein, denn die zahlreichen Erfordernisse, die das Gesetz vorschreibt, um zu verhindern, daß – die Liebe sich auf ewig binde, die Heimath-, Impf- und sonstigen Scheine waren kaum herbei zu schaffen, die Unzuverlässigkeit der Liebesschwüre hatte die Tänzerin erprobt. Womit konnte sie den neuen Geliebten fesseln? Endlich faßte sie sich ein Herz, erzählte ihm, was ihr widerfahren war, und erklärte ihm auf’s Bestimmteste, sie verlange Treue für immer, Turn solle sich wohl bedenken, ob er ihr diese versprechen könne, sollte er später doch untreu werden, so würde sie ihn zu finden und Rache zu nehmen wissen. Unser Turn, durch die Erzählung nicht abgekühlt, im Gegentheil von der Gluth des Mädchens neu entflammt, dachte nicht an Untreue, und hätte er schon daran gedacht, so wäre ihm die Drohung nicht im Mindesten fürchterlich gewesen. Er verschloß ihr lachend den Mund mit Küssen und gelobte Treue auf ewig.

Von nun an war sie völlig die Seine, liebenswürdig, freundlich, aufopfernd ohne Rückhalt. In dem Beruf, den er gewählt hatte, fand er sich vermöge seines leichten Naturells bald zurecht, nachdem er sich anfangs in den Tricots und seidenen, goldenen und silberen Flittern sehr sonderbar vorgekommen; sein Glück mit der schönen Julie beherrschte und befriedigte ihn vollständig. Sie lebten so in Eintracht und Freude gegen ein Jahr. Dann aber wurde es allmählich anders.

In Freund Turn schlummerte trotz seines Leichtsinns ein tieferes Bedürfen; er war „verbummelt“, aber von besserem Stoffe, als daß er hätte in wüster Leerheit untergehen sollen. Seine neue Beschäftigung konnte er anfangs, so lange sie ihm neu war, unterhaltend finden, sein Leben in dem wunderlichen Komödiantentreiben wie eine Caprice des Schicksals, ja wie einen genialen Streich betrachten. Das mußte sich ändern, sobald er den Zwang dieses Lebens merkte. Sein Geschäft bestand im Ringkampf, zu dem er öffentliche Aufforderungen ergehen ließ, in verschiedenen Sprüngen, in Schwingübungen auf einem schlaffen Seil, endlich im Schulreiten; er hieß ‚Herr Friedrich‘, an Beifall fehlte es ihm nicht. Aber immer nur mit dem Körper arbeiten, nur in weibischem Flitter Manneskraft zeigen, nur zur Unterhaltung der Menschen dienen, die Kraft ohne höheren Zweck eitel zur Schau stellen, ohne einen solchen Zweck alltäglich das Leben auf’s Spiel setzen, den Ernst des Lebens in spielender Gaukelei finden, in alledem seinen Beruf erkennen, das ist demüthigend und entmuthigend. Der Beruf des Schauspielers ist ein ganz anderer, als der des Gauklers; jener stellt immer, wenn er auch zuweilen in schlechten Stücken spielt, geistige Ideen mit dem Organ der geistigen Vermittelung, der Sprache, dar und lebt für das Ideale; bei diesem erstirbt der Sinn für das Ideale und verwandelt sich in das Zerrbild der Waghalsigkeit. Dazu die Mitglieder der Bande, die Turn’s nächsten, fast seinen einzigen Umgang bildeten – denn er wagte sich nicht unter andere Menschen – zum Theil war’s verlaufenes Gesindel, bankerott wie er, zum andern Theil wenigstens ein Völkchen, welches das Leben nur von der leichtesten Seite nahm, im eitlen Glanze der Lampen des Circus und im Beifall des Publicums sein Ziel erblickte, ohne tiefere Bildung, Einer neidisch auf den Anderen, eines inneren Einklangs und gemüthlichen Zusammenlebens weder bedürfend noch fähig. Originelle und witzige Burschen gab es darunter, aber von jener leicht verständlichen Originalität und jenem leicht erschöpflichen Witz, die nach kurzer Bekanntschaft ihren Reiz verlieren. Unsern Turn, trotzdem er gerade nicht der Ordentlichste war, stieß bald schon der Mangel an Ordnung, der kaum versteckte Schmutz bei äußerer Eleganz, die wüste Wirthschaft, nach und nach der Mangel an Bildung zurück. Jemehr er sich aber von der übrigen Gesellschaft fern hielt, um so weniger zeigte sich diese ihm gewogen. Eine Zeit lang entschädigte ihn die Neigung der Primadonna, aber allmählich empfand er dasselbe wie sein ‚Vorgänger im Reich‘. Sie besaß Gefühl, sogar tiefes Gefühl, allein sie war im höchsten Grade unwissend, ohne ideale Interessen, im Treiben der Schaubühne aufgewachsen. Auch ihr fehlte der Sinn für Ordnung; der ideale Schimmer ihrer Schönheit schwand mehr und mehr mit dem Reize der Sinnlichkeit; die Berührung in geistigen Interessen mangelte. Er hätte sie vielleicht heranbilden können, aber dazu mangelte ihr zu sehr die Grundlage, ihm die geduldige Ausdauer und Beiden, wegen der bei ihrer Beschäftigung unerläßlichen ermüdenden körperlichen Uebungen, die Zeit und Spannkraft. Sie bemerkte sein Erkalten und verdoppelte ihre Zärtlichkeit; er wurde derselben umsomehr überdrüssig. Sie suchte seine Eifersucht zu reizen, indem sie sich scheinbar Anderen näherte, und mußte sehen, daß er gleichgültig dabei blieb.

Damals begann der Krieg mit Dänemark. Turn erfaßte die Gelegenheit; da war für seine Kraft ein würdiger Gebrauch gefunden, für seinen kühnen Muth ein weiter Schauplatz, da konnte er aus dem Zwang eines eiteln Lebens sich in einen Kampf für große Interessen stürzen und Theil nehmen an den Geschicken der Nation, vor welcher er jetzt gaukelte. Er theilte seiner Schönen den Plan mit – denn er setzte bei ihr eine ähnliche Abkühlung voraus, wie bei ihm selbst eingetreten war – und sprach vorsorglich blos von einer zeitweiligen Entfernung. Allein er traf einen unerwartet heftigen Widerstand. Fräulein Julie zürnte, daß er sie verlassen, daß auch er ihr untreu werden und feierliche Versprechungen brechen wolle, sie habe freilich seine Gleichgültigkeit schon lange beobachtet, aber sie lasse nicht von ihm. Sie drohte ihm in verschiedenen und sich seltsam widersprechenden Tonarten: sie werde sein Unterkommen im Heere verhindern, sie werde ihn seinen Cameraden als einen bankerotten Menschen, als einen Luftspringer und Athleten von der breternen Schaubühne schildern, sie werde ihm nachfolgen und nicht von ihm weichen, und sollten sie miteinander verhungern. Von solchen Drohungen ging sie zu der wirksameren Vertheidigungsmethode über, für welche das schöne Geschlecht von der gütigen Natur mit verschwenderischer Hand ausgestattet worden ist, zu Thränen, und diese kamen ihr

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