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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Gedachtes Wesen heißt Molli und ist unter diesem Namen so bekannt geworden, daß eine Verwechselung zwischen ihm und einer etwa gleichnamigen Jungfrau undenkbar ist, selbst in dem Falle undenkbar, daß das bezügliche Mädchen die Liebreize aller Töchter Eva’s in sich vereinigen sollte. Wenn von Molli gesprochen wird, meint man nur die Eine – es giebt derzeit in Hamburg keine zweite. Und was das Wunderbarste: diese Einzige erregt nicht einmal bei ihren Namensschwestern Mißgunst, oder gar Eifersucht, sondern hat sich auch im Kreise der Frauen viele und sehr warme Freundinnen erworben. Molli wird geliebt und verhätschelt.

Dies Alles wird erklärlich werden, wenn ich sage, daß Molli der Thierordnung „Mensch“ nicht angehört, sondern nur die nächstverwandte Familie der zweiten Ordnung und in dieser die edelste, verdientermaßen mit dem Namen „Pseudanthropos“ belehnte, Sippe vertritt; daß sie, um allgemein verständlich zu reden, ein weiblicher Schimpanse ist.

Molli verdient die Gunst, welche sie sich erworben. Sie war nie schön, aber stets anziehend, weil sie stets zu unterhalten, ja, die Aufmerksamkeit ausschließlich auf sich zu lenken verstand. Die Halbmenschlichkeit dieses Affen wurde und wird von Jedermann anerkannt, von dem Einen mit der regsten Theilnahme, von dem Anderen mit einem gewissen Entsetzen. Hunden, Katzen, Ratten, Mäusen, Rindern und anderen Säugethieren gegenüber wird es leicht, zu vergessen, daß der Mensch der ersten Ordnung des Thierreichs angehört, Angesichts des Schimpanse ist Solches unmöglich. Die Verwandtschaft des wahren und des „Schein-Menschen“ läßt sich nicht ableugnen: daher die Theilnahme, daher das Entsetzen.

Der Naturforscher, welcher für seine Menschenwürde keine Sorge hegt, freut sich, wenn er den lebenden Schimpanse vor sich sieht, Gelegenheit zum Vergleichen zu erhalten; der im Ebenbildlichkeitsglauben Befangene fühlt sich unbehaglich, wenn ihm ein Geschöpf vorgestellt wird, welches ihn, er mag wollen oder nicht, überzeugt, daß es innerhalb der ersten Classe des Thierreichs Wesen giebt, die sich wenig mehr von den tiefstehendsten Negern unterscheiden, als diese sich von dem Kaukasier; vorausgesetzt natürlich, daß er weiß, wie groß die Unterschiede sind zwischen den genannten Menschenarten, da ja gewöhnlich der edelste Vertreter der Menschenfamilie allein in Betracht gezogen, der Dinka-Neger oder Papua aber gänzlich unberücksichtigt zu bleiben pflegt, wenn man von der Ebenbildlichkeit und bezüglich von den Unterschieden zwischen „Mensch und Thier“ redet. Solch’ ein lebender Schimpanse ist ein gefährliches Geschöpf für Jeden, welcher sein Menschenbewußtsein auf die Annahme der Ebenbildlichkeit gründet. Sein Glaube kann sehr erschüttert werden. Man vergegenwärtige sich nur einen jener Menschen, wie sie Hügel uns geschildert; man erwäge nur einmal, daß viele Negerstämme nicht einmal die als alleiniges Erbtheil des Menschen angesehene Sprache in dem gewöhnlich gültigen Sinne besitzen, daß die wenigsten aller Neger jemals ordentlich sprechen lernen, sondern Laute hervorstoßen, welche an die sogenannten thierischen sehr lebhaft erinnern – und denke sich dann noch ein einziges Mittelglied zwischen solchem Neger und dem Schimpanse, einen an Kopf, Hand und Fuß nur ein klein wenig veredelten „Scheinmenschen“, und der „Mensch“ selbst ist von ihm höchstens durch die Grenzen der Familie, nicht aber der Ordnung zu trennen!

Es würde die Grenzen des mir zugemessenen Raums weit übersteigen, wollte ich versuchen, von Molli und ihrem Leben eine umfassende Schilderung zu entwerfen. Unser Schimpanse hat in den drei Jahren seines Aufenthaltes in unserem Thiergarten so Vielerlei gethan und zu beobachten gegeben, daß man mit der Aufzeichnung seiner Thaten ein kleines Buch füllen könnte. Seine Handlungen waren nicht immer anerkennenswerthe; denn er ließ sich oft genug auch Dinge zu Schulden kommen, welche nicht besprochen werden können. Er besaß mit andern Worten gesagt, ganz abscheuliche Unarten, aber menschlicher, als alle übrigen Affen, welche wir beherbergen und pflegen, benahm er sich stets. Er hat Niemand in Zweifel gelassen, daß die Wirkungen der „organisirenden Kraft“ bei ihm bis zum Täuschen menschlicher Geistesthätigkeit ähneln.

Unser Schimpanse ist ein Geschenk zweier Hamburger Kaufleute, der Herren Wörmann und Gödelt, welche Factoreien in Westafrika besitzen. Hier hatte er bereits geraume Zeit in menschlicher Gesellschaft gelebt, war also schon einigermaßen gebildet, als er hier ankam. Die Seereise schien ihn sehr angegriffen zu haben; vielleicht brachte er den Keim einer Krankheit auch schon von Afrika mit herüber: kurz, er war recht leidend, als er hier eintraf, und seine Geistesfähigkeit deshalb sehr beeinträchtigt. Demungeachtet bewies er mir von dem ersten Tage seines Hierseins an, daß die Erzählungen Brosse’s, Buffon’s, Sayer’s, Grandpret’s, Traill’s und Anderer, welche über gefangene Schimpanses berichtet haben, keine Erfindungen oder Uebertreibungen, sondern die lautere Wahrheit sind. Im Verlaufe der Zeit hatte ich Gelegenheit, an unserem Gefangenen noch weit mehr zu sehen, als Jene beobachten konnten.

Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hochstehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urtheilslosen Nachahmungsgabe stellen, wie man es hin und wieder wohl gethan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach, es geschieht aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen Etwas nachthut – mit Verständniß und Urtheil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig, d. h. gebrauchsfähig, wie die Menschenhand, er würde noch ganz Anderes nachahmen, noch ganz Anderes lernen. Er thut eben, soviel er zu thun vermag, führt Das aus, was er ausführen kann; was er aber auch thut, geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Ueberlegung. Er versteht, was gesprochen wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß – nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung, er ist sich seiner Stellung bewußt. Im Umgange mit Menschen ordnet er sich der höheren Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Thieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch: er hält sich für besser, für höherstehend, als andere Thiere, namentlich als andere Affen. Er unterscheidet zwischen erwachsenen Menschen und Kindern: erstere achtet er, letztere beachtet er wenig. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, und nicht blos mit Thieren, sondern auch mit Menschen. Er zeigt Theilnahme für Gegenstände, welche mit keinem seiner natürlichen Bedürfnisse Zusammenhang haben, für Thiere, welche ihn so zu sagen nichts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen, noch in irgend ein anderes Verhältniß treten kann. Er ist nicht blos neugierig, sondern förmlich wißbegierig: ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit fesselte, gewinnt an Werth für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht, Schlüsse zu ziehen, von dem Einen auf etwas Anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, aber nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein. Er hat Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist unpassende von sich. Seine Gefühle drückt er aus wie ein Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens; trübe Stimmung dagegen bekundet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch: man kann in seinem Gesichte lesen. Einmal habe ich ihn in Verzweiflung gesehen, weil ich seinen heißesten Wunsch, eine zu unternehmende Lustwandlung im Garten, nicht erfüllen konnte. Da warf er sich auf die Erde, legte sich auf den Rücken, kreischte, verzerrte sein Gesicht und raufte sich sein Haar. Ich erinnere mich einer an der Treue ihres Geliebten zweifelnden Spanierin, welche sich, nachdem sie Phosphor verschluckt, um sich zu vergiften, ganz genau ebenso gebehrdete!

Andere Affen und Hunde bekunden ähnliche Geistesfähigkeit, beim Schimpanse aber erscheint jede Aeußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist, als die Verstandesäußerung jener Thiere.

Um wenigstens Einiges von dem Gebahren unseres Schimpanse mitzutheilen, will ich einen seiner Spaziergänge im Garten zu schildern versuchen.

Molli sitzt ruhig in ihrem Käfig, betrachtet sich klugen Auges die sie anstarrenden Beschauer oder unterhält sich mit ihren Bekannten und Bekanntinnen, als der Betreffende (meinetwegen ich selbst) eintritt, in der Absicht, sie zur Lustwandlung – denn das ist ihr jeder Spaziergang im Freien – abzuholen.

„Molli, wollen wir spazieren gehen?“

„Oh!“ antwortet sie freudig bejahend.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_231.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)