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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Frau Ferber heftete einen erstaunten Blick auf ihre Tochter, in deren Zügen sich plötzlich alle Spuren einer tiefen Gemüthsbewegung zeigten. Der Oberförster dagegen klemmte seine Pfeife zwischen den Zähnen fest und klatschte in seine gewaltigen Hände.

„Else, Goldkind!“ rief er endlich. „Na, gieb Deine Hand her, bist ein wackerer Kämpe durch und durch! … Ja, auch ich sage, Gott behüte mich, daß ich die Zahl derer vermehre, die um ihres persönlichen Vortheils willen ihren ehrlichen Namen aufgeben… Gelt’, Adolph, wir machen das Kirchenbuch in der kleinen schlesischen Dorfkirche, wo wir getauft worden sind, nicht zu Schanden, wir schreiben unseren Namen fort und fort, wie er dort eingetragen ist?“

„Und wie er ein halbes Jahrhundert hindurch in Freud’ und Leid uns treulich begleitet hat,“ bekräftigte Ferber mit seinem ruhigen Lächeln. „Das Document werde ich für diesen hier,“ er legte seine Hand auf den Lockenkopf des kleinen Ernst, „unseren Stammhalter, aufheben, bis er selbst ein eigenes, reifes Urtheil hat. Ich kann und darf jetzt nicht für ihn entscheiden; aber ich werde ihn dahin zu lenken wissen, daß er es dereinst vorzieht, seinen Weg durch eigene Kraft zu gehen und nicht, träge auf dem Lotterbett alter Traditionen und Ungerechtigkeiten liegend, Vorrechte genießt, die allein nur das edle Streben krönen sollten … Die Gnadewitze haben auf ihrer langen Laufbahn der Welt nichts gegeben, dafür aber um so mehr genommen; sie mögen modern in ihrer Gruft, und ihr unverdient berühmter Name mit ihnen!“

„Sela!“ rief der Oberförster und klopfte seine Pfeife aus. Er stand auf. „Jetzt wollen wir gehen,“ sagte er zu seinem Bruder, „und Rücksprache mit dem Lindhofer Pfarrer nehmen. Der Platz unter den schönen Linden auf unserem Dorfkirchhof gefällt mir tausendmal besser, als die drei düstern Wände da droben, zwischen denen unsere Stammmutter lange Jahre hat ruhen müssen. Und damit die ‚schwere, kalte Erde‘ ihren Sarg nicht berühre, wollen wir das Grab ausmauern und mit einem Stein verschließen lassen.“

Er entfernte sich, von Ferber und Reinhard begleitet, und während die Mutter und Miß Mertens den Juwelenkasten in Sicherheit brachten, stieg Elisabeth die Leiter am Erker in die Höhe, schob die Breter hinweg und schlüpfte hinab in das verborgene Gemach. Ein feiner Strahl der Abendsonne fiel schräg durch einen rubinrothen Glasstreifen des Fensters und warf auf den Namen „Lila“ einen blutigen Schein. Lange stand das junge Mädchen mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen neben dem einsamen Todtenschrein, in welchem jenes heiße Herz schlief seit dem Augenblick, da sein Jammer ein Ende hatte und in Grabesstille verhallte. Jahrhunderte waren vorübergeflogen; sie hatten all den hinreißenden Zauber jenes kurzen Daseins, die stürmischen Gefühle, durch die es seinen Untergang fand, hinweggespült, als sei all’ das nie gewesen, und doch wähnte das junge Herz, das bang und unruhig inmitten der stillen Todtenkammer klopfte, sein inneres Stürmen könne nie, niemals verhallen.


14.

Das Ereigniß auf Gnadeck war schon im Lindhofer Schlosse ruchbar geworden, noch bevor Reinhard dasselbe betrat. Die Maurer hatten auf ihrem Nachhauseweg durch den Park einem Bedienten die wunderbare Geschichte erzählt, worauf diese, von Mund zu Mund laufend, mit Blitzesschnelle zu den Damen des Hauses gedrungen war und dort beinahe die Wirkung einer hereinfallenden Bombe gehabt hatte.

Es war ein Lieblingsthema der Frau Baronin, die Lehre vom blauen Blut in ihrer Untrüglichkeit zu beweisen. Sie behauptete, mittels einer sehr feinen, empfindlichen Organisation das Vorhandensein dieses bevorzugten Lebensstromes zu erkennen, herauszufühlen an Personen, deren Namen sie noch nicht einmal wußte. Es war somit ganz natürlich; daß sie auch jedes versprengte edle Tröpflein in plebejischen Adern scharfsichtig erkannte. Aus dem Grunde gab sie auch stets bereitwillig zu, daß die „kleine Ferber“ etwas Distinguirtes in ihrer Erscheinung habe, als das unleugbare Erbtheil ihrer adelig geborenen Mutter… Dem Oberförster gegenüber hatte sich jedoch jene untrügliche innere Stimme immer so mäuschenstill verhalten, daß es ihr nicht im Traume eingefallen wäre, ihm für seinen Gruß anders zu danken, als mit einem Kopfnicken nach der Schablone für Niedrigstehende. Ja, im edlen Zorn darüber, daß dieser ungeschliffene Mensch und Gottesverächter seiner Nichte Bertha die ferneren Schloß- und Bibelstundenbesuche verboten hatte, war sie zum Oefteren so weit gegangen, zu behaupten, man sähe ihm seine gemeine Abkunft auf hundert Schritt Distance an… Und nun sollte gerade er ihren hundertmal erprobten Spürblick für aristokratisches Blut zu Schanden machen! Er war der Abkömmling eines berühmten Geschlechts, war der Träger eines Namens, den der Nimbus feudalen Glanzes bis in die fernste Zeit zurück umschwebte!

Freilich lag eine große Beruhigung für sie in dem Gedanken, daß das edle Blut durch bürgerliche Heirathen während zweier Jahrhunderte unkenntlich geworden sei. Sie sprach dies in sehr lebhafter Weise gegen Fräulein von Walde aus, die, still auf ihrem Ruhebett liegend, mit einem feinen, spöttischen Lächeln die Aufregung der Baronin beobachtete. War es nun das persönliche Interesse für die Familie Ferber, oder ein vorurtheilsfreier Standpunkt der jungen Dame, von welchem aus sie ihrer Cousine die kleine Lehre gönnte, genug, sie richtete sich auf und sagte lebhaft, nicht ohne eine leichte Beimischung von Schärfe: „Verzeihe, aber das ist ein kleiner Irrthum, Amalie … Ich weiß ganz genau, daß die Frau des Forstschreibers nicht die einzige Adelige ist, die in die Familie Ferber geheirathet hat. Sie sind ein schönes, geistig hervorragendes Geschlecht immer gewesen, dessen persönliche Vorzüge mehrere Mal den Sieg über Geburtsvorurtheile davongetragen haben … Es dürfte leicht sein, daß sich nicht mehr bürgerliche Heirathen in jener Familie aufzählen lassen, als deren auf den Stammbaum des guten Lessen fallen, und Du wirst doch sicher nicht aufstellen wollen, daß kein reines Blut in Bella’s Adern fließe?“

Ein leichtes Roth flackerte über die fahlen Wangen der Baronin und der Blick war nichts weniger als liebevoll und sanftmüthig, der unter den halbgesenkten, weißbewimperten Augenlidern hervor nach dem jungen Mädchen zuckte. Aber es erschien fast ebenso schnell ein versöhnliches Lächeln um ihren Mund. Sie fühlte zu ihrem Entsetzen seit gestern öfter den Boden unter ihren Füßen wanken. Es war deshalb eine erschreckende Wahrnehmung für sie, plötzlich da auf Widerspruch zu stoßen, wo sie seit einem Jahr blinde Unterwerfung und völlige Hingebung zu sehen gewöhnt war.

Sie hatte übrigens ganz Recht, wenn sie den Grund der Veränderung in Helenens Benehmen nicht eigentlich in dem „unseligen“ Einfluß von deren Bruder suchte, sondern die Schuld bei Weitem mehr ihrem Sohn zumaß, der in den letzten Tagen eine so eigenthümliche Haltung angenommen hatte. Helene war zwar im Grunde eine durchaus edle Natur, befähigt, sich für Großes und Edles zu begeistern und, vom besten Willen beseelt, das Gute zu thun, aber sie war von Kindheit auf daran gewöhnt, sich als den Mittelpunkt allseitiger zärtlicher Fürsorge und Rücksicht zu betrachten. Sie hatte, trotz ihrer körperlichen Gebrechen, nie die Bitterkeit der Zurücksetzung empfinden müssen. Um sie die Verkürzung ihrer natürlichsten Rechte vergessen zu machen, war Jedes im Umgang mit ihr beflissen, sie doppelt auszuzeichnen. Wohl wissend, daß sie dem Beruf als Gattin entsagen müsse, hatte sie doch ihr an Zärtlichkeit so reiches Herz jubelnd der ersten Liebe geöffnet, und wenn sie auch im Stillen weinend die Natur ob der ihr widerfahrenen Vernachlässigung und somit der Zerstörung ihres Lebensglücks anklagte, so blieb ihr doch immer die beseligende Gewißheit, daß ihre Neigung erwidert werde. Die unausgesetzten Aufmerksamkeiten Hollfeld’s, sein stetes Verweilen in Lindhof, einzelne, hingeworfene zärtliche Worte waren freilich geeignet gewesen, diese Meinung zu einer unerschütterlichen zu machen … Nun war er plötzlich beleidigend zerstreut ihr gegenüber und vernachlässigte sie auf eine unerhörte Weise. Sie litt namenlos, ihr ganzes Innere empörte sich, die gekränkte weibliche Würde, ein nie gekannter heftiger Zorn und ihre unsägliche Liebe rangen miteinander, sie war noch weit entfernt von jenem Stadium, welches edle Naturen früher oder später stets erreichen müssen, das der Resignation und Verzeihung. Sie wurde bitter und heftig, und diese Empfindungen offenbarten sich weniger dem, der ihr wehe that, als daß sie sich mit einer Art von Genugthuung gegen diejenige richteten, deren Tyrannei das junge Mädchen um ihrer Liebe willen bis dahin widerstandslos ertragen hatte.

Hollfeld hatte gerade, als die alte Kammerfrau der Baronin einer unerheblichen Meldung wegen in das Zimmer trat und alsbald

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)