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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

nur bisweilen um die Wette zwinkernd mit der schelmischen Falte um den großen Mund. Er würde uns nicht verrathen, daß seine Wiege und sechszig Jahre seines Lebens in einer Schusterwerkstatt gestanden, wenn nicht die linkischen Bewegungen, das Fuchteln mit den langen Armen und die eigenthümliche Behandlungsweise seines Anzugs seine frühere Lebensstellung kennzeichneten. Mütze und Schlafrock gehören zu seinen Lieblings-Bekleidungs-Requisiten; er trägt die Mütze im Freien und in der Stube, nur mit dem Unterschiede, daß er da, wo es gilt, sich zu zeigen, den Schirm, wie jeder andere Mensch, gerade vor die Stirn rückt, während er denselben für gewöhnlich mehr zur Seite, nach rechts hin zieht; der graue Schlafrock, von welchem man umgekehrt sagen kann, was von den englischen Bedientenröcken gilt: „Sehr gut, aber etwas zu kurz gerathen,“ erscheint auf seinem Leibe als ein ungewohntes Bekleidungsstück; er bindet die Schnur desselben nicht vorn, sondern hinten zu und benutzt die daran hängenden rothen Troddeln gleichsam als Verzierung seines Hintertheils.

Bei meinem Eintritt in das Sprechzimmer machte ich eine Verbeugung; bevor ich aber noch meinen Namen zu nennen im Stande war, redete mich Lampe wie Jeden, dem die Zahlungsunfähigkeit nicht geradezu auf der Stirn geschrieben steht, mit der Frage an: „Sie wollen bei mir in die Cur treten?“ Als ich dies bejahte, drehte er mich mit einem kräftigen Ruck an den Schultern dem Fenster zu, so daß das Tageslicht auf mein Gesicht fiel, ruckte den Schirm seiner Mütze etwas mehr zur Seite, heftete den Blick eine Zeit lang stier auf mein Gesicht, zwinkerte mit den Augen, räusperte sich und zählte dann, den Zeigefinger des lang ausgestreckten rechten Armes wie ein Pistol auf meine Brust setzend, in einem Athem die Leiden her, von welchen ich geplagt sein sollte: „Leberanschwellung, Stockungen im Unterleibe, Congestionen zum Kopf, Appetitlosigkeit, Schwindel, Nervenerregtheit.“ – Dies waren die Beschwerden, welche er mit solcher Bestimmtheit nannte, daß ich an deren Vorhandensein gar nicht zweifeln konnte. Anfänglich überraschte mich diese Diagnose, bald aber sah ich ein, daß Alles ganz natürlich sei; ich hatte meine Leiden mit denselben Worten brieflich geschildert, und Lampe gewann zwischen meinem ersten Besuch, der ihm die Kenntniß meines Namens eintrug, und dem zweiten soviel Zeit, daß er mir zur Noth meinen ganzen, vier Seiten langen Brief hätte hersagen können.

Nach Feststellung der Krankheit richtete Lampe die Frage an mich: „Was hätten Sie gemacht, wenn ich nicht da wäre? Die dummen Kerls, die Aerzte, haben schon viel Unheil in Ihrem Körper angerichtet.“

„Das wissen die Götter“ antwortete ich, „Sie aber wollen mir offen gestehen, ob Hoffnung zur Genesung noch vorhanden ist.“

„Sie sollen nicht sterben“ war seine Entgegnung, die er mit einem freundlichen Lächeln und leisem Klopfen auf meine Schulter begleitete.

Nachdem ich noch meinen Namen und Stand in das Curbuch eingetragen, erhielt ich mein Quartier angewiesen, und empfahl mich, begleitet von der nochmaligen Versicherung Lampe’s: „Sie sollen nicht sterben.“ Zum Sterben war ich freilich nicht nach Goslar gekommen, aber ich muß gestehen, daß mir diese, eigentlich nichtssagende Redensart mehr imponirte, als es früher mit den trostreichsten Versicherungen je der Fall gewesen.

Die Art der Krankheiten, die ich in dem mir zur Wohnung angewiesenen Hause vertreten fand, mußte mein Vertrauen zu Lampe entweder grenzenlos steigern oder aber total vernichten und Lampe als Charlatan vom reinsten Wasser hinstellen. Ich sah Zuckerkrankheit, Schwindsucht, Gelbsucht, Gicht etc. vertreten, und jeder einzelne Repräsentant dieser Leiden erzählte mir ganz treuherzig, wie er höchst elend nach Goslar gekommen, jetzt aber sich bedeutend wohler fühle. So kam es, daß die Wagschale, in welche ich die Gefühle pro et contra Lampe warf, sich vorerst entschieden zu Gunsten Lampe’s neigte. Die Zeit der Verblendung war aber für mich nur kurz; schon das, was ich gleich bei Beginn der Cur sah und hörte, mußte mich mit Recht nachdenkend und argwöhnisch machen.

Die Sommersaison zwar noch nicht eröffnet; wir genossen den sogenannten Kräutertrank in unserer Behausung; die Tochter des Hauswirths holte ihn Morgens und Nachmittags zur bestimmten Stunde aus der Wohnung des Directors.

Wie lachte ich über die sonderbare Manier, mit welcher Lampe die Unterscheidung zwischen den einzelnen Flaschen der Medicin bewerkstelligt! Wie erstaunte ich aber, als ich Wirthsleute wie Curgäste allen Ernstes jene Merkmale als von höchster Wichtigkeit, als Barometer des Befindens hinstellen hörte! Ein viereckiges Stück eines französischen Kartenblattes, vermitelst eines durch zwei Ecken gezogenen Bindfadens über den Hals der Flaschen gehängt, bildet die Etiquette; aus der Farbe der zur Marke benutzten Karte ersieht der Patient seine und Herrn Lampe’s Hoffnungen. Findet der Curgast seine Flasche mit einer rothen Farbe, mit Coeur oder Carreau bezeichnet, so mag er jubeln, denn mit seiner Krankheit ist es dann nicht weit her, die Heilung ist eine Kleinigkeit; aber wehe, wehe, erhält er eine schwarze Farbe, Trefle oder Pique, vielleicht gar Pique-Aß, als memento mori! Sein Zustand ist dann bedenklich, wenn auch Lampe hinterher so thun sollte, als ob er von der ganzen Sache nichts wisse.

Ich habe dieser Alfanzerei nur Erwähnung gethan, weil ich überzeugt bin, der Leser wird schließlich mit mir zu der Einsicht gelangen, daß die ganze Lampe’sche Cur eben nichts weiter als eine großartige Possenreißerei ist.

Ueber das sonst so gemüthliche und naturwüchsige Goslar ist mit dem officiellen Breitmachendürfen der Lampe’schen Cur eine fast unglaubliche Corruption hereingebrochen. Die Gier nach dem Gelde der düpirten Kranken wäre noch zu verzeihen, aber unverzeihlich ist es, daß die große Mehrzahl Derer, denen durch Lampe materieller Nutzen erwächst, sich auch zu Werkzeugen der abscheulichsten Gaukelei machen. Man forscht den neu ankommenden Kranken erst gründlich aus, meldet die Krankheit dem Herrn Director und dieser hat dann eben keine schwierige Aufgabe, die Leiden festzustellen.

Der Kranke ahnt gar nicht den Zweck der zudringlichen Fragen seiner Wirthsleute; diese stellen sich gewöhnlich auch so dumm an, als ob sie die unschuldigsten Leute von der Welt wären. So wird denn z. B. ein Schwindsüchtiger gefragt: „Sie haben wohl die Wassersucht?“

„Nein,“ erwidert der Gefragte, „ich habe starken Husten mit Auswurf und Anlage zur Schwindsucht.“

„Das sieht Ihnen aber kein Mensch an,“ entgegnet der verschmitzte Wirth, wenn auch der Kranke bereits auf dem letzten Loche pfeift, und erhält nach und nach alles das zu wissen, was ihm, mehr noch was Lampe in seinen Kram paßt. Der Wirth ist nun aber auch nobel und revanchirt sich durch gleiche Offenherzigkeit; er erzählt dem Patienten Wundercuren, gegen welche die Heilung von Schwindsucht eine wahre Bagatelle ist; er versichert vorzugsweise, daß von Goslar Niemand ungeheilt fortginge.

Nur durch die Quartiergeber in Goslar, also durch Lampe’s Creaturen, lernt man, wie die Kunst im Heilen, so auch die Mildthätigkeit Lampe’s kennen. Da heißt es denn: „Ach, der Herr Director ist ein sehr guter Mann; er curirt Viele für die Hälfte, ein großer Theil hat die Cur ganz umsonst.“ Ich erwidere darauf: Lampe nimmt, abgesehen von zwei bis drei Exemplaren, die als Repräsentanten seiner Mildthätigkeit figuriren müssen, Niemanden in die Cur, dem er die Zahlungsunfähigkeit ansieht oder abfragt; wer aber Monate lang den abscheulichen Curtrank genossen, mit schwerem Gelde bezahlt und noch nicht die Lust verloren hat, die Cur aufzugeben, dem bewilligt Lampe zuweilen großmüthig die halbe Curtaxe. Man bedenke aber, was das sagen will! Man hat beispielsweise in acht Wochen mit achtundvierzig Thalern – die Flasche fünfzehn Silbergroschen! – einen Trank bezahlt, den jeder Apotheker für etwa sechs Thaler – die Flasche zwei Silbergroschen gerechnet – mit Freuden liefern würde, und erhält nun hinterher vom Herrn Director die Vergünstigung, fortan die Flasche statt acht nur etwa vier Mal höher als bei jedem Apotheker bezahlen zu dürfen. Der Aufenthalt in Goslar wäre nicht zu theuer; der Wirth erhält für Logis und Kost nur sechs, höchstens acht Thaler wöchentlich; Lampe aber vertheuert den Aufenthalt, indem er sich für den abscheulichen Trank eben so viel wie für Logis und Kost bezahlen läßt. Ich weiß bestimmt und habe es mit eigenen Ohren gehört, daß, wo Lampe über die Geldverhältnisse eines Kranken zweifelhaft war, er denselben ohne alle Umstände nach dem Bestand seiner Casse fragte und hiernach die Länge der Cur bestimmte oder wohl auch den armen Kranken gar nicht annahm. –

Ich begann die Cur und trank regelmäßig den mir vorgesetzten Kräutertrank. Es ist in der That keine Kleinigkeit, den abscheulichsten Trank von der Welt in Portionen von je einem Quart

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