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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Menschenherz durch ihren geschwätzigen, aber so melodischen Gesang erquickt, den der muntere, traute Vogel, von Stein zu Stein, die dem Wasser entragen, fliegend, trotz aller Kälte ertönen läßt. So bietet der scheinbar so monotone Winter noch Hundertfältiges, was den Naturfreund zu fesseln im Stande ist. Und für den Jäger gar sind die Wintermonate ja recht eigentlich Wonnemonde! Unter solchen Betrachtungen wandern wir weiter und nähern uns dabei dem Ausgang des Waldes, der hier nun lichter und lichter wird. Die blendende Sonne überstrahlt jetzt ungehemmt unsere Bahn, so daß es rings um uns her glitzert und flimmert, besonders wenn der leichte Wind, der sich erhoben, die feinen Schneekrystalle von den Bäumen niederweht. Da ist es, als wenn Demantregen den Höhen entfiele, denn jedes niederschwebende, sonnenbestrahlte Eissternchen blitzt gleich einem irisirenden Edelstein.

Wir verlassen den unvergleichlichen Wald, dafür die sich ihm anschließenden Fluren durchstreifend, aber immer noch dem Bache folgend, der uns schon im bergenden Forste den Pfad angab. Da hören wir plötzlich vor uns einen Schuß, dann rasch hintereinander noch einen zweiten und dritten fallen, uns ein fröhliches Zeichen, daß das lustige Waidwerk heute nicht feiert. Was könnte aber einen Jäger mehr verlocken, als so einem hellhörigen Flintenknall zu folgen? Deshalb beeilen wir uns, die Jagenden ausfindig zu machen, und sehr bald erblicken wir, wenn auch erst noch von Weitem, die Nimrode am Bachesrande und sehen und hören sie nun auch wiederholt schießen. Pfeifend kommen darauf mehrere Stockenten über uns weggezogen, die jedenfalls im Flüßchen gelegen und von den Jagenden beschossen worden sind. Und richtig! Kaum sind wir näher gekommen, so erkennen wir, daß das Schießen allerdings den Enten gegolten hat, und zwar nicht ohne Erfolg, der freilich einen selten drastisch-drolligen Ausgang nehmen sollte.

Da, wo der Bach zwar steilufrig, aber doch ziemlich breit und deshalb weit nach der Mitte zu mit Eis bedeckt ist, war ein angeschossener Entvogel hineingefallen, den ein prächtiger Hühnerhund eben apportirte. Allein das Herauskommen aus dem eisigen Wasser ward dem Eifrigen schier zur Unmöglichkeit, denn sowie dieser auf dem Eise seinen Ausstieg nehmen wollte, brachen jedesmal die dünnen Ränder durch, ohne daß er irgend Fuß fassen konnte. So schwamm der Getreue rastlos den Bach auf und ab, aber nirgends vermochte er das Land zu gewinnen, wie sehr auch die ängstlich zusprechenden Worte seines Herrn ihn dazu anspornten. Dem gequälten Herzen des Gebieters entrang sich gar mancher Kernfluch, der aber nicht etwa seinem Lieblinge, sondern vielmehr nur dem unvorsichtigen Cameraden galt, welcher das brave Thier, ohne zu fragen, in’s Wasser geschickt hatte, nur von dem einen Gedanken beseelt, seine zappelnde Beute zu erlangen. Wie nun aber vollends die Situation des Hundes immer bedenklicher wurde, steigerte der Unwillen des Herrn sich auch fast bis zur Bosheit, indem er jetzt den beutegierigen Schützen mit Entschiedenheit aufforderte: unverzüglich nun mit eigener Hand das erschöpfte Thier aus seiner schlimmen Lage zu befreien, oder …!

Nolens volens schickte dieser sich dazu an, die schwierige Aufgabe zu lösen. Das dünne Randeis hätte unbedingt einen Menschen nicht getragen. Man half sich also in anderer Weise. Rasch wurde eine Erlenstange abgeschnitten und mit einem daran gelassenen hakenartigen Aste der Rettungsbeflissene am Jagdtaschenriemen festgehalten. Die Beine fest eingestemmt am Ufer und sich auf Manneslänge frei über das Eis hinüberbeugend, sollte er den Hund am Halsband erfassen und herausziehen. Und wirklich gelang dieses Manöver auch in so weit, als der Hülfespendende den Apportirenden eben zu erfassen in der glücklichen Lage war und zu diesem Zwecke unwillkürlich noch mit der andern Hand einen leichten Stützpunkt auf dem Eise suchte, – da zum Schrecken Aller brach der frostspröde Haken der Stange und beraubte den horizontal über dem Eise Schwebenden jeglichen Haltes. Klirrend und platschend hörte man den Aermsten erst das Eis durchschlagen und alsdann in’s Wasser plumpsen.

So plätscherten einen Moment Jäger, Hund und Ente, die, in der Verwirrung losgelassen, weiter schwamm, im Wasser herum, während die beiden Cameraden, nun jede Rücksicht gegen sich selbst vergessend, ohne Bedenken bis an den Leib in’s Wasser nachsprangen, den Bedrängten aus seinem unfreiwilligen Bade zu erlösen. Als nun aber alle Drei nebst Hund den kalten Wellen entstiegen waren und stampfend und schüttelnd am Ufer standen, da vermißten sie zu ihrem größten Aerger das eigentliche Unglücksobject, die Ente, die wahrscheinlich unter das Eis gekommen und nicht mehr zu entdecken war.

Wie die betrübten Lohgerber trabte das triefende Kleeblatt dem nächsten Dorfe zu, um möglichst schnell in trockene Kleider zu kommen, so recht das alte Sprüchwort bethätigend:

„Nasses Waidwerk, trock’ner Fischfang –
Ist weder dem Jäger noch Fischer zu Dank!“




Eine Saison beim „Director“ Lampe in Goslar.[1]
Von W. v. V., einem Curgast Lampe’s.


Ein großer Theil meiner Leser wird schon von dem ehemaligen Schuhmacher Lampe gehört haben, der jetzt als Kräuterheilkünstler und Heilanstaltsdirector in Goslar sein Unwesen treibt und sich seines ungemeinen Zulaufs von Patienten aus allen Theilen Deutschlands erfreut. Zu diesem Lampe hatte auch ich vor einigen Jahren meine Zuflucht genommen, denn wer Jahre lang krank ist und nirgends Heilung findet, setzt leider nur zu leicht sein Vertrauen in Mittel, die mit der Quacksalberei so ziemlich identisch sind.

Klopfenden Herzens trat ich einige Stunden nach meiner Ankunft in Goslar in das am Viti-Thor belegene Haus Lampe’s ein; das blaue Schild mit der in Gold gefaßten bedeutungsvollen Inschrift „Heilanstalt“ machte mich wonnetrunken. Endlich sollte ich den Mann mit leiblichen Augen schauen, auf den mein geistig Auge schon längst mit Bewunderung geblickt hatte; endlich sollte ich Heilung finden!

Aber meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt; das Erscheinen einer ältlichen Frauensperson, mehr noch ihre Frage nach Namen und Stand, sowie der kurze Bescheid, „mich andern Tags in den Vormittagsstunden wieder einzufinden,“ dies Alles riß mich plötzlich aus meinem Freudentaumel und machte mich schnell nüchtern. Ich wußte ja nicht, daß Lampe’s angeborenes und durch vieljährige Praxis ausgebildetes Talent der Krankheitserkennung (Diagnose) sich in Einzelerscheinungen wohl einmal täuschen darf, in der Hauptsache aber der Krankheit jeder Zeit auf den Grund sehen muß. Welch’ furchtbares Aufsehen hätte es nun machen müssen, wenn Lampe ganz unvorbereitet mich empfangen und mir Leiden dictirt hätte, die mir vielleicht dem Namen nach bekannt waren, von denen mein Leib aber nichts wußte! Darum ist es eine gute Sitte, daß der Kranke in Goslar dem Director Lampe nicht so ohne Weiteres gegenübertreten darf; Lampe läßt sich nicht darauf ein, den Patienten anzuhören; er bezeichnet die Krankheit selbst ganz genau; ob’s dem Kranken richtig scheint oder nicht, ist ihm sehr gleichgültig und damit „basta“. Um nun aber den guten Ruf über die Gabe des „sicheren Erkennens“ zu bewahren, ist es doch erforderlich, daß der Kranke die Ansichten Lampe’s mit den eigenen wenigstens einigermaßen in Harmonie zu bringen im Stande ist. Lampe forscht daher sehr genau nach der Krankheit – bevor er den Patienten vor sich treten läßt.

Am folgenden Tage begab ich mich zu angegebener Stunde von Neuem zu Lampe; ich erhielt ohne Weiteres Zutritt. Da stand er vor mir, der siebenzigjährige Held des Stückes, er, dem ich mein Schicksal anzuvertrauen Willens war, grau von Kopf bis zu Fuß, wie einer seiner Biographen uns erzählt, den Oberkörper etwas nach vorn gebückt, ein Auge halb auf, das andere nicht geschlossen,

  1. Ueber die Lampe’sche Charlatanerie, sowie über die vieler anderer Medicaster, ist in einem nächstens erscheinenden Schriftchen unter dem Titel „Die Wilden-Medicin der Jetztzeit im Allgemeinen und Koryphäus Friedrich Lampe insbesondere“, Ausführlicheres zu finden. – Diesem Schriftchen, welches ich von dem mir bekannten Verfasser in den Aushängebogen zugesandt erhielt, entnahm ich die vorstehenden Mittheilungen zur Warnung vor jener Lampe’schen Charlatanerie und empfehle sie den Kranken, die nach Goslar zu pilgern beabsichtigen, zur Beachtung und Beherzigung.
    Bock.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)