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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der südlichen Fronte geführt. Gleich darauf trat er selbst aus der Glasthür, mit der Reitpeitsche in der Hand, und stieg die Stufen hinab … Elisabeth hatte ihn nicht wieder gesehen seit jenem Nachmittag, wo er ihr so rauh und rücksichtslos begegnet war; er erschien ihr auffallend bleich und finster.

In dem Augenblick, als er sich auf das Pferd schwang, erschien eine junge Dame in weißem Kleide auf der Treppe. Sie war sehr hübsch und eilte mit graziöser Leichtigkeit hinunter, um das Pferd auf den Hals zu klopfen und ihm ein Stück Zucker zu reichen.

Fräulein von Walde, die an Hollfeld’s Arm mit ihr zugleich herausgetreten war, blieb oben stehen und winkte ihrem Bruder grüßend mit der Hand zu.

„Die junge Dame ist Fräulein von Quittelsdorf?“ fragte Elisabeth.

Reinhard bejahte mit einem mißvergnügtem Gesicht.

„Ihre äußere Erscheinung gefällt mir,“ meinte das junge Mädchen. „Herr von Walde scheint sich gern mit ihr zu unterhalten,“ fügte sie leise hinzu. Der Reiter bog sich in diesem Augenblick vom Pferd herab und schien nachdenklich auf das zu hören, was ihm die junge Dame vorplauderte.

„Je nun, er will nicht grob sein und läßt sich das Geschwätz einen Moment gefallen,“ sagte Reinhard weiterschreitend. „Die spricht das Blaue vom Himmel herunter und ist im Stande, dem Pferd in die Zügel zu fallen, wenn er davon will, ehe sie mit ihrem Capitel fertig ist.“

Inzwischen waren sie in das Vestibüle getreten. Elisabeth verabschiedete sich hier von Reinhard und begab sich hinauf in das Musikzimmer, wo sich alsbald auch Fräulein von Walde und Hollfeld einfanden. Erstere ging noch einmal in ihr Ankleidezimmer, um ihre ein wenig derangirten Locken in Ordnung bringen zu lassen; diesen Moment benutzte Hollfeld und trat eilig auf Elisabeth zu, die sich in die Fensternische zurückgezogen hatte und in einem Notenheft blätterte.

„Wir wurden neulich abscheulicher Weise gestört,“ flüsterte er.

„Wir?“ fragte sie ernst und mit Nachdruck und trat einen Schritt zurück. „Ich hatte allerdings Ursache, mich über Störung zu beklagen, und muß gestehen, daß ich sehr entrüstet war, meine Lectüre unterbrochen zu sehen.“

„Ah, jeder Zoll eine Fürstin!“ rief er scherzhaft, aber mit unterdrückter Stimme. „Ich habe übrigens durchaus nicht beabsichtigt, Sie zu beleidigen, im Gegentheil, wissen Sie nicht, was die Rose sagt?“

„Gewiß, sie hat sicher gemeint, es sei tausendmal schöner, am Zweig zu sterben, als zu einem so unnützen Zweck abgerissen zu werden.“

„Grausame! … Sie sind hart wie Marmor … Ahnen Sie denn gar nicht, was mich täglich hierher zieht?“

„Ohne Zweifel die Bewunderung für unsere großen Tonmeister.“

„Sie irren sich.“

„Dann jedenfalls zu Ihrem Vortheil.“

„O nein, denn damit käme ich um keinen Schritt weiter. Die Musik ist für mich lediglich die Brücke –“

„Von der Sie sehr leicht in’s kalte Wasser fallen dürften.“

„Und würden Sie mich untergehen lassen?“

„Ja, ganz sicher … Ich bin nicht ehrgeizig genug, um mir die Rettungsmedaille verdienen zu wollen,“ antwortete Elisabeth trocken.

Fräulein von Walde kam zurück. Sie schien verwundert, die Beiden im Gespräch zu finden, denn bis dahin war ja noch nie ein Wort zwischen ihnen gewechselt worden. Ihr Blick streifte prüfend über Hollfeld’s Gesicht, das den Ausdruck eines lebhaften Verdrusses noch nicht ganz zu unterdrücken vermochte, dann setzte sie sich schweigend an das Clavier und präludirte, während Elisabeth die Noten zusammensuchte. Hollfeld nahm seinen gewöhnlichen Platz ein und stützte melancholisch den Kopf auf die Hand. Noch nie aber hatten seine Blicke so glühend und verzehrend auf Elisabeth geruht, als in diesem Augenblick. Sie bereute, sich in ein Gespräch mit ihm eingelassen zu haben; ihr Bestreben, ihn durch Kälte und Schroffheit zurückzuweisen, schien eine ganz entgegengesetzte Wirkung gehabt zu haben. Furcht und Widerwillen bemächtigten sich ihrer beim Anblick seiner auffallend erregten Gesichtszüge, und obgleich das triumphirende Lächeln des Onkels vor ihr aufstieg, gewann doch der Entschluß, lieber den Stunden zu entsagen, als sich noch länger diesen unverschämten Blicken auszusetzen, immer mehr Boden in ihrer empörten Seele.

Die Stunde nahte ihrem Ende, als in Begleitung von Fräulein von Quittelsdorf die Baronin eintrat und auf Elisabeth zuschritt.

„Fräulein von Walde wird Ihnen wohl noch nicht mitgetheilt haben,“ sagte sie in ziemlich gnädigem Ton zu dem jungen Mädchen, „daß sich alle Geladenen zu dem Fest morgen um vier Uhr unten im großen Saal einfinden werden? ich bitte, die Stunde ja nicht zu versäumen. Das Concert wird jedenfalls gegen sechs Uhr zu Ende sein; ich bemerke Ihnen dies nur, damit die Ihrigen Sie nicht früher zu Hause erwarten.“

Helene sah bei diesen Worten verlegen auf die Tasten, während Fräulein von Quittelsdorf sich neben die Baronin postirte und Elisabeth neugierig in’s Gesicht starrte. So hübsch auch die schwarzen Augen waren, die auf ihr ruhten, so fühlte sich das junge Mädchen doch verletzt durch dies unausgesetzte Fixiren. Sie verbeugte sich leicht vor der Baronin mit der Versicherung, daß sie sich pünktlich einfinden werde, und heftete dann einen festen, ernsten Blick auf die hübsche Zudringliche. Die Wirkung war eine blitzschnelle. Fräulein von Quittelsdorf wandte den Kopf weg und drehte sich verlegen und wie ein ungezogenes Kind auf dem Absatz herum. In demselben Augenblick entdeckte sie Herrn von Hollfeld in der Fensternische.

„Wie, Hollfeld,“ rief sie, „sind Sie es selbst oder ist’s Ihr Geist? Was thun Sie hier?“

„Ich höre zu, wie Sie sehen.“

„Sie hören zu? … Ha, ha, ha! … Und genießen Unverdaulichkeiten wie Mozart und Beethoven? … Wissen Sie nicht mehr, daß Sie mir noch vor vier Wochen beim letzten Hofconcert versichert haben, Sie litten jedes Mal nach dem Genuß classischer Musik an verdorbenem Magen?“

Sie hielt sich die Seiten vor Lachen.

„Ach, lassen Sie jetzt die Possen, beste Cornelie,“ sagte die Baronin, „und helfen Sie mir lieber mit Ihrem erfinderischen Geist beim Festprogramm… Und auch Du, lieber Emil, würdest mir einen großen Gefallen thun, wenn Du mitkommen wolltest. … Du weißt ja, ich bin jetzt in die traurige Nothwendigkeit versetzt, eine männliche Stütze neben mir haben zu müssen, wenn meine Anordnungen respectirt werden sollen.“

Hollfeld erhob sich mit sichtlichem Widerstreben.

„Nun, dann nehmt mich auch mit! … Wollt Ihr so grausam sein, mich die ganze, lange Zeit bis zum Thee allein zu lassen?“ rief Helene vorwurfsvoll und stand auf. Sie sah verstimmt aus, und es kam Elisabeth zum ersten Mal so vor, als hafte ihr Blick neidisch auf Corneliens flinken Füßen, die ohne Weiteres Hollfeld’s Arm genommen hatte und zur Thür hinaushüpfte. Elisabeth machte den Flügel zu und wurde eiligst entlassen.

In den Gängen des Schlosses, die das junge Mädchen passiren mußte, herrschte reges Leben. Mehrere Bediente schleppten Körbe voll Silberzeug und Porcellan in ein Zimmer neben den großen Saal. Aus den Küchenfenstern im Souterrain quollen Duftströme aller möglichen gebackenen und gebratenen guten Dinge, und in einem offenstehenden Domestikenzimmer lagen ganze Berge grünen Laubwerks und bereits fertiger Guirlanden und Kränze.

Und er, zu dessen Verherrlichung sich Aller Hände heute rührten und regten, er ritt einsam draußen, mit umdüsterter Seele auf Mittel und Wege sinnend, wie er dem fried- und freudelosen Leben in seinem Hause entfliehen könne!

Elisabeth ging hinüber in das Dorf, um einen Auftrag ihres Vaters auszurichten. Vor einigen Tagen nämlich hatte ein heftiger nächtlicher Gewittersturm dem baufälligen Erker im Garten wieder dergestalt zugesetzt, daß man fürchten mußte, er werde bei der leisesten Erschütterung zusammenstürzen und die ihm naheliegenden, kaum erst mit so großer Mühe hergestellten Gartenanlagen mit seinen Trümmern zerstören. Zwei Lindhofer Maurer hatten endlich Ferber versprochen, die Ruine nächsten Montag abzutragen; da ihnen aber in Bezug auf das Worthalten nicht zu trauen war, wie der Oberförster nach gemachter Erfahrung versicherte, so sollte Elisabeth sie nochmals an ihre Zusage erinnern und ihnen die Nothwendigkeit ihres Kommens vorstellen.

Das Resultat ihrer Wanderung war ein befriedigendes. Einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)