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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

nicht gelingt, anderweit ihr Glück zu machen. Der Unternehmer, ein achtbarer Bürger von Oregon, handelt im Auftrage zahlloser lediger Männer der Küsten des stillen Meeres, wo das Verhältniß der Frauen zu den Männern wie 1 zu 10 ist, indem er nach Neuengland kommt, sich an die 300,000 Frauen wendet, welche dort über die Männerzahl überschießen, und sie zu gemeinsamer Auswanderung einladet. Die öffentliche Meinung ist ganz zu Gunsten des Unternehmens, und die ehrbarsten Mädchen, zum Theil aus den besten Familien, machen die Reise mit. Hoffen wir, daß das Schiff mit seiner hoffnungsvollen Fracht wohlbehalten den Hafen der Reise und die Mädchen den der Ehe erreichen und daß noch viele Schiffe mit ähnlicher Bestimmung diesem ersten folgen!




Das Thurmzimmer.
Geistergeschichte aus Herder’s Leben.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Der Graf fühlte in der That sein Herz sehr freudig aufschlagen bei der Ueberraschung, welche ihm Prinzessin Sidonie bereitet hatte. Nicht im Entferntesten hatte er geahnt, daß die theure Seelenfreundin so außerordentlich schön sei. Hatte man sie ihm nicht geschildert als groß und stark und ein wenig Mannweib in ihrer Erscheinung? Das war ja die schrecklichste Verleumdung! Wie imposant und wie anziehend doch in ihrer würdevollen weiblichen Hoheit stand sie vor ihm!

Er ergriff ihre Hand und drückte sie an seine Lippen; sie entzog ihm diese Hand sehr rasch wieder.

„Aber wie ist es möglich, daß mir dieses ungeahnte Seligkeit wird?“ fuhr er fort,“ ist es nicht ein Traum …“

„Es ist einfach erklärt, Herr Graf! Den Plan, den ich entwarf und Ihnen mittheilte, um auf eine nachdrückliche Weise dem Bräutigam meiner Freundin das Gewissen aufzumahnen, äußerte ich behutsam und wie tröstend der letzteren. Meine Freundin warf ihn mit Entrüstung weit, weit von sich. Ich mußte diesen Plan sofort fallen lassen, wenn ich ihn auszuführen gedachte mit Caroline Flachsland’s Hülfe. Sie fand ein solches Spiel ihrer und ihres Bräutigams unwürdig; Und doch war ich täglicher Zeuge ihres Leidens, und doch sah ich täglich ihr Herz bluten im Kampfe mit der kranken Empfindlichkeit eines eitlen Mannes, der ihr nur halbe Gefühle widmete und das Recht auf ganze und volle gegeben hatte; der in diesem Kampfe sich selbst und noch viel mehr sie quälte. Es mußte etwas für Beide geschehen und so entschloß ich mich selbst zu thun, was die Freundin stolz von sich abwies. Ich mußte auf den Rath meines Arztes das Bad besuchen. Ich wählte das Ihnen nahe Eilsen. Ich lebte eine kurze Zeit da in völliger Verborgenheit … das Uebrige wissen Sie!!

„Mein Gott!, Prinzessin, welcher Edelmuth, welcher Heroismus … für eine Freundin so viel zu wagen!“

„War es ein großes Wagniß? Es blieb jeder menschlichen Seele unbekannt …“

„Und doch … o könnte ich hoffen,“ rief der Graf aus, „daß der Gedanke, die Ausführung Ihres kühnen Vorsatzes werde Sie in die Nähe Ihres treuesten, liebendsten Freundes führen, bei Ihnen in die Wagschale des Entschlusses gefallen, Prinzessin, dann wäre ich der glücklichste Mann …“

„Gewiß, gewiß,“ unterbrach ihn die Dame kalt und immer in derselben kühlen Zurückhaltung verharrend, „der Gedanke, Sie zu sehen, Graf, übte nicht geringen Einfluß auf meinen Schritt.“

„Ich möchte Ihnen zu Füßen fallen vor Entzücken, Prinzessin … Sidonie …“ rief der Graf aus, nach ihren beiden Händen fassend, als ob er die verführerische Gestalt an sich ziehen wolle.

Sie trat abermals einen Schritt zurück. „Es war ja nöthig, daß ich kam,“ fuhr sie mit einer gewissen ironischen Betonung fort, „denn so viel tiefe Sehnsucht nach meinem Anblick, so viel glühende Gefühle Ihre Briefe an Prinzessin Sidonie auch aushauchten, Sie selbst kamen ja nicht. Es hinderten Sie die Jagden oder ein grausames Katarrhleiden, oder mannigfache und beklagenswerthe Abhaltungen ähnlicher Art. Ja, das Leben ist für einen heldenmüthigen Mann, der einmal ein paar Tage seinem eigensten Innern leben möchte, entsetzlich grausam; er hat mit der festesten Energie die Rücksichten, die ihn banden, von sich abgeschleudert, er athmet endlich frei auf und will die Pilgerfahrt zur Geliebten antreten: siehe da, er hat nicht daran gedacht, daß morgen der erste Jagdtag ist, daß übermorgen der Tag, an welchem er jährlich sich zur Ader zu lassen pflegt – und all seine schönsten Hoffnungen liegen verwelkt und entblättert zu Boden! Arme gebundene Sterbliche – arme Männer!“

„Prinzessin“ sage der Graf betroffen, „ich glaube …“

„Sie glauben, Sie wären nie gekommen; gewiß, auch ich glaube das, und darum kam ich selbst.“

„Und das unendliche Glück, das Sie mir dadurch gewährten, entschädigt mich tausendfach für die Herbheit der Vorwürfe, die ich aus Ihrem Munde, von Ihren holdseligen, rosigen Lippen höre! Aber glauben Sie mir, Sie thun mir Unrecht – bitteres Unrecht!“

„Man thut den Männern nie Unrecht, wenn man ihnen die Schuld giebt, daß die Frauen leiden!“

„Sie hätten gelitten, durch mich, Prinzessin? … ich wäre untröstlich …“

„Ja, ich habe gelitten! Seit einem halben Jahre, wo ich Ihnen zuerst unbekannter Weise schrieb, um Sie zu trösten wegen des Verlustes Ihrer Gattin, an der ich mit so viel Freundschaft hing – seit diesem halben Jahre haben Sie mir immer zärtlicher Ihre Gefühle ausgesprochen. Wir haben uns in immer höher gespannteren Empfindungen ergangen. Aber eine Frau erfaßt ein solches Verhältniß mit andern Gefühlen, als ein Mann. Eine Frau fühlt dabei, was sie spricht, ein Mann kokettirt damit. Die Frau klammert sich mit ihrem ganzen Sein an den Freund, dessen Seelenleben sich ihr darzubringen scheint; ein Mann behält sich ganz für sich und spiegelt sich in den Ergüssen nicht seines Herzens, sondern seines Kopfes. Und so entsteht zwischen ihrem Weh und Schmerz ein innerer Kampf und Herzenskummer. Und an dem habe auch ich gelitten, gelitten gerade so, wie meine Freundin Caroline; seit dem Tage, wo mir die Ahnung ward, daß ich es mit dem geistreichsten Manne unserer Zeit zu thun habe, der in einer romanhaften Verbindung mit einer Frau nur dem krankhaften Gang der Zeit nachgehe, dem eitlen Drang, in schwärmerischen Gefühlsausschüttungen sich das Leben des eigenen Gemüths gegenständlich zu machen und darin die Schönheit der eigenen Seele zu bewundern. Ihr wollt Euch Alle nur einen Spiegel schaffen, der recht schön und verklärt die Züge Eures inneren Menschen zurückwirft; Narciß hat viele, viele Nachahmer …“

Der Graf, der sehr unangenehm überrascht und mit einem unbeschreiblichen Mienenspiel diese zornige Strafrede hingenommen hatte, begann bei diesen Worten der Prinzessin zu lächeln:

„Narciß … Prinzessin,“ rief er aus, „sehen Sie mein braunes Soldatengesicht und meinen grauen Bart an … und dann schelten Sie mich noch einen Narciß!“

Die Prinzessin wollte fortfahren, als plötzlich an die äußere Thür geklopft wurde.

„Gott, dieser unselige Herder,“ rief der Graf erschrocken, „er verliert die Geduld, der Mensch ist rein außer sich …“

„Herder soll mich nicht sehen,“ sagte die Prinzessin gebieterisch, „senden Sie ihn fort, Niemand soll mich sehen!“

„Aber er besteht so heftig darauf, ich bin völlig außer Stande, ihn zu beruhigen … was beginn’ ich mit ihm?“ sagte der Graf in größter Unruhe.

„Er wird Ihnen freilich unangenehme Dinge bereiten,“ versetzte die Prinzessin kühl und mit einem empörenden Mangel an Theilnahme für des Grafen Verlegenheit. „Solch ein Dichter hält sich jedem Fürsten ebenbürtig; er wird mit Eclat Ihren Dienst verlassen, er wird in seinen Schriften gegen Sie auftreten …“

„Und Sie, Sie drohen mir damit, Sie, die doch allein die Ursache, die Veranstalterin …“

„Nun, das ist Frauenlogik,“ fiel die Prinzessin lächelnd ein, „Sie dürfen sich nicht darüber wundern; die Verantwortung überlasse ich Ihnen. Gehen Sie nur, Herder zu beruhigen, für den Augenblick mindestens, und ihn abzuhalten, daß er nicht hier eindringt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_122.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)