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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und wilder Verzweiflung, an hohen Gedanken und niedrigen Verirrungen, an inneren Krämpfen und Ringen zwischen dem guten Genius und dem bösen Dämon in der eigenen Brust.

Jetzt lag er hier, in dem rauchgeschwärzten Kerker, auf halb verfaultem Stroh in tiefster Einsamkeit, fern von dem tröstenden Anblick und der Gesellschaft der ihm unentbehrlichen Menschen, gefoltert von Langweile, Hunger, Frost, Körperleiden und Seelenangst. Schlaflos wälzte er sich auf dem traurigen Lager und dachte an das arme, sanfte Weib, das er so schwer betrübt, an seine Kinder, die er so innig geliebt, und Thränen der bittersten Reue flossen über seine blassen, von der Kerkerluft gebleichten Wangen.

„Gefangener Mann, ein armer Mann!“ seufzte er tief.

Der Seufzer aber wurde zum Lied, das er mit dem spitzen Dorn seiner Schuhschnalle in die schwarze Wand seines Kerkers kratzte.

„Gefangener Mann, ein armer Mann!
Durch’s schwarze Eisengitter
Starr’ ich den fernen Himmel an
Und wein’ und seufze bitter,
– – – – – – – – –
– – – – – – – – –
Mich drängt der hohen Freiheit Ruf;
Ich fühl’s, daß Gott nur Sclaven
Und Teufel für die Kette schuf,
Um sie damit zu strafen.“

So sang der unglückliche Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart in seinem Gefängnisse auf dem Asperg, wo ihn die Willkür des Tyrannen ohne Schuld und Urtheil festhielt.

Er war am 26. März 1739 zu Obersontheim in dem liederreichen Schwaben geboren und in Aalen erzogen, wo sein strenger Vater, das Amt eines Schullehrers und Musikdirectors bekleidete. Bis zu seinem siebenten Jahre galt er für dumm und beschränkt, aber plötzlich war sein Geist erwacht. Auf einmal zeigte der Knabe ein bedeutendes Talent, besonders für Musik, und machte die überraschendsten Fortschritte. Nachdem er die gelehrten Schulen zu Nördlingen und Nürnberg besucht, sollte er auf die Universität nach Jena gehen, aber die Stürme des eben begonnenen siebenjährigen Krieges hinderten ihn am Weiterreisen, so. daß er vorläufig in Erlangen blieb. Hier führte er ein lustiges und wildes Studentenleben; statt der Hörsäle besuchte er die Kneipe und den Fechtsaal, und wo es am tollsten herging, war gewiß der eben so gutmüthige wie leichtsinnige Schubart zu finden. Die gewöhnlichen Folgen blieben nicht aus; seine Ausschweifungen zerrütteten seine Gesundheit, seine Gläubiger warfen ihn in’s Gefängniß und der strenge Vater rief den verlorenen Sohn nach Hause zurück.

Schubart gelobte Besserung und bereitete sich für den geistlichen Stand vor, zu dem ihm indeß jeder innere Beruf fehlte, obgleich seine hinreißende Beredsamkeit ihn vorzugsweise zum Kanzelredner zu bestimmen schien. Da die Beförderung allzulange auf sich warten ließ, so nahm er vorläufig die Stelle eines Präceptors in dem Ulmischen Städtchen Geislingen an, wo er sich mit der Tochter des dortigen Oberzollers Bühler verheirathete. Bald war ihm seine Stellung unerträglich. Das ewige Einerlei des Unterrichts von Schülern, die zum Theil der niedrigsten Volksclasse angehörten, und die ihm aufgebürdeten, entehrenden Nebenbeschäftigungen ekelten ihn an; sein Gehalt, das er noch dazu mit dem alten, dienstunfähigen Schulmeister theilen mußte, konnte selbst den bescheidensten Ansprüchen nicht genügen. Dazu kam noch die ganze Beschränktheit der kleinen Stadt und häusliche Zerwürfnisse mit der Familie seiner jungen Frau, die an dem Leben und Treiben des genialen Mannes vielfach Anstoß nehmen mußte.

Um sich zu zerstreuen, besuchte er das Wirthshaus, wo er beim Weine seiner übersprudelnden Laune bald in Versen, bald in Prosa freien Lauf ließ. Da konnte es freilich nicht an Aergerniß bei den Frommen des Städtchens und besonders bei der ihm vorgesetzten Geistlichkeit fehlen. Fortwährend regnete es Verweise, Ermahnungen, Strafpredigten auf das leichtsinnige Haupt des armen Schullehrers, der die Würde seines Amtes so wenig beobachtete. Der Aufenthalt in Geislingen wurde ihm unter diesen Verhältnissen zur wahren Hölle und er sehnte sich weit fort. Nur ein Trost, eine Freundin war ihm geblieben, die himmlische Muse, welche ihm in seiner ärmlichen Schulstube zuweilen erschien und sein düsteres, verworrenes Leben mit ihren goldenen Strahlen erhellte und verklärte.

Seine Lieder blieben nicht unbekannt und warben ihm Freunde, zu denen Wieland und Haug zählten. Letzterer eröffnete dem unglücklichen Schullehrer und Dichter die Aussicht auf die Stelle eines Organisten in der neuen Residenz des Herzogs, in Ludwigsburg; Schubart griff danach mit beiden Händen, leider zu seinem eigenen Verderben. Mit den besten Vorsätzen kam er nach dem würtembergischen Versailles, wo damals das üppigste und ausschweifendste Hofleben herrschte. Vergebens suchte sich der neue Organist im richtigen Gefühle seiner Schwäche durch das Lesen der Michaelis’schen Bibelübersetzung und Gellert’s Moral zu schützen; die Verführung war zu groß. Liebenswürdige Roués und schöne Hofdamen zogen den geistreichen Mann in ihre Kreise, indem sie sich an seinem Witz, seinem geselligen und poetischen Talent, namentlich aber an seinem genialen Flügelspiel, ergötzten. Französische Tänzer, italienische Sänger und Sängerinnen fesselten und entzückten den geborenen Künstler. Bald sah er ein verschwenderisch ausgestattetes Ballet, von dem berühmten Noverre in Scene gesetzt, bald hörte er eine glänzende Oper von Jowelli componirt und dirigirt, worin die reizende Cesari und der herrliche Aprili die ersten Partien sangen, während im Orchester sie die bezaubernde Violine eines Lolli begleitete. Dann schwärmte er wieder bei einem Bacchanal, wo die Frivolität sich mit allen Reizen des Geistes schmückte, oder eilte zu einem Rendezvous mit einer schönen Schülerin, der er abwechselnd in Musik und Liebe Unterricht ertheilte.

So lebte dieser neue Tannhäuser in dem Venusberg zu Ludwigsburg, verfallen den bösen Geistern eines sittenlosen und ausschweifenden Hofes. Seine schlichte, in bürgerlicher Zucht und Sitte aufgewachsene Frau bat ihn vergebens, sich von dem Treiben des „vergoldeten Lasters“ fern zu halten. Als aber alle ihre Vorstellungen und Warnungen nichts fruchteten, beschloß sie auf Anrathen ihrer dem Dichter feindlichen Familie, Schubart zu verlassen und mit ihren beiden Kindern in das Haus ihrer Eltern zurückzukehren. Seinen Bitten und Beschwörungen gelang es, sie wieder zu versöhnen und nach Ludwigsburg zurückzuführen. Bald jedoch waren die ihr gegebenen Versprechungen von dem Leichtsinnigen vergessen, und von Neuem stürzte er sich mit Ungestüm in den Strudel der wildesten Lust.

Wieder war es ein Geistlicher, der hochmüthige Special Zilling, der ihm den Aufenthalt in Ludwigsburg verleidete. Der stolze, bigotte Pfaffe, welcher einen so hohen Begriff von seiner Amtswürde hatte, daß der eigene Bruder als Küster ihm mit einer tiefen Verbeugung den Amtsrock umhängen mußte, ärgerte sich meist, daß Schubart’s ausgezeichnetes Orgelspiel die Kirche mit Zuhörern füllte, während seine langweilige Predigt sie leerte. Leicht wurde es ihm, sich an dem untergebenen Organisten zu rächen, indem er ihn wegen seines sittenlosen Lebenswandels vor dem geistlichen Gericht anklagte und in den Thurm brachte. Aber noch mehr, als seine Gegner, arbeitete Schubart selbst an seinem Verderben, als er, seinem angeborenen Hang zur Satire folgend, ein Spottgedicht auf einen angesehenen Hofmann veröffentlichte und die Litanei in frivolen Versen parodirte.

Das Maß war voll und der Unverbesserliche wurde aus seinem Amte gejagt. Längere Zeit führte er ein geniales Vagabundenleben, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf umherirrend, bald hungernd und durstend, bald an der Tafel vornehmer Gönner schwelgend, die er durch sein bezauberndes Flügelspiel entzückte. An dem Hofe des kunstsinnigen Carl Theodor von der Pfalz fand er gastliche Aufnahme; von Neuem eröffnete sich ihm die Aussicht auf eine feste Anstellung aber durch einen Tadel auf die Mannheimer Akademie, dieses Schooßkind des Kurfürsten, verscherzte er wiederum sein Glück. In seiner Rathlosigkeit folgte er dem bairischen Gesandten nach München, wo er gegen eine Versorgung sich zum Katholicismus bekehren wollte. Aber die über ihn eingezogenen Erkundigungen lauteten so ungünstig, daß man den Neophyten laufen ließ.

Auf’s Neue ergriff er den Wanderstab und zog nach Augsburg, wo er im Wirthshause die Aufmerksamkeit der Gäste durch seinen Geist und seine hinreißende Beredsamkeit auf sich lenkte. Er wurde bald bekannt und ein unternehmender Buchhändler machte ihm Anerbietungen. Schubart versuchte zuerst einen Roman, den er nicht vollendete; darauf gab er eine Zeitschrift heraus, die „deutsche Chronik“, welche sofort bei ihrem Erscheinen das größte Aufsehen erregte. Er war zum Journalisten geboren und brauchte nur seine beim Wein gesprochenen und improvisirten Worte niederzuschreiben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_118.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)