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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

In diesem Augenblicke aber öffnete sich die gegenüberliegende Thür und der Kopf eines jungen Mädchens blickte heraus. Es war die Zofe der Dame.

„Ist Deine Herrin auf, Kind?“ sagte der Graf, „dann sag’ ihr, daß ich sie zu sprechen wünsche; kennst Du mich?“ „Ja, Erlaucht, die Demoiselle sind auf und werden sogleich erscheinen.“

Die Thür schloß sich. Nach etwa fünf Minuten öffnete sie sich wieder; die Zofe kam und sagte:

„Die Demoiselle sind fertig und werden erscheinen, wünschen aber mit dem Herrn Grafen allein unter vier Augen zu reden.“

„Wohl, Sie sehen, Herder, Sie müssen gehen; warten Sie draußen, sobald Demoiselle Flachsland mich meines Versprechens entbunden hat, komme ich, um Ihnen zu sagen, daß Ihre Braut Sie erwartet.“

Herder verließ schweigend das Gemach. Gleich darauf trat von der anderen Seite die Dame ein. Sie war in demselben Anzuge wie gestern, als wir sie im Zwiegespräch mit dem Rittmeister Baron Fauriel sahen. Mit einer ruhigen und ernsten Gemessenheit, mit einem eigenthümlichen Ausdruck stiller Würde trat sie dem Grafen entgegen.

Dieser hatte sie, wie erwähnt, am vorigen Abende im Dämmerlicht gesehen und gesprochen. Jetzt staunte er über die große, schöne, bezaubernde Erscheinung, welche ihm mit einer Art fürstlicher Hoheit entgegentrat. Sie übte einen eigenthümlichen Reiz auf ihn aus, er fühlte sein Herz höher und wärmer schlagen unter dem Einfluß des großen, stolzen, blauen Auges, das auf ihm lag; er wußte, daß Caroline Flachsland recht hübsch sei, aber er war weit davon entfernt gewesen, sie für so schön, so fast von junonischer Hoheit umflossen zu halten, er hatte das gestern nicht entfernt erkannt.

Sie trat ihm schweigend entgegen und erwartete seine Anrede.

„Demoiselle Flachsland,“ sagte der Graf, nachdem er sie einen Augenblick in stummer Ueberraschung angeblickt, man läßt sich nicht ungestraft mit den Geistern ein. Es scheint, sie haben es uns übel genommen, daß wir ihre Rollen spielen wollten, und rächen sich nun. Dies ist ein sehr übler Morgen für uns Beide. Die Moral unseres Stücks hat taube Ohren und ein steinernes Herz gefunden. Herder hat sich auch nicht im Mindesten mystificiren lassen …“

„O, er hat es doch wohl!“ fiel die Demoiselle ruhig ein.

„Nein, nein, nicht im Mindesten,“ fuhr die Erlaucht eifrig fort, „er ist außer sich, er hat mir die fürchterlichsten Dinge gesagt; Sie hätten hören sollen, wie der geistliche Herr mit mir armem, altem Sünder umsprang, und jetzt verlangt er störrisch eine Unterredung mit Ihnen … machen Sie sich auf eine kleine Scene gefaßt!“

„Auf eine Scene bin ich gefaßt,“ sagte die Demoiselle mit derselbe Ruhe; „aber Herder wird keine Rolle darin spielen. Was liegt an Herder … mir an Herder!“

„Wie, an Herder, an Ihrem Bräutigam …“

„Er ist nicht mein Bräutigam!“

„Sie betrachten Ihr Verhältniß gelöst?“

„Gelöst? Nein; es hat nie eines bestanden. Sehen Sie mich an, Herr Graf. Seh’ ich aus wie ein Mädchen der Bourgeoisie, wie die schmachtende Braut solch’ eines eitlen Mannes, die zu verzweifelten Mitteln greift, um eine wankende Treue zu befestigen? Ich meine, Sie müßten auf meiner Stirn geschrieben lesen, daß ich zu stolz dazu bin. Wenn die Treue wankt, so mag sie gehen. Was von uns sich zu trennen vermag, ist nie unser ehrliches Eigen gewesen. Geflickte Gefühle verachte ich.“

„Aber, Demoiselle Flachsland,“ fiel der Graf erstaunt ein.

„Ich bin nicht Demoiselle Flachsland, wie ich die Ehre hatte Ihnen zu sagen.“

„Aber wer … wer sind Sie denn?“

Sie sah ihn ernst und vorwurfsvoll an.

„Da Sie’s nicht wissen, nicht mit einem Blick auf mich erkennen, so schweige ich. Ich habe hier gethan, was Sie von mir wünschten, und jetzt lassen Sie mich heimkehren.“

Der Graf war von dem Allen auf’s Aeußerste betroffen. In großer Erregung rief er aus: „Mit einem Blick auf Sie soll ich erkennen, wer Sie sind? … Welch’ seltsames Verlangen … aber ich lasse Sie nicht, ich will von Ihnen hören, wer diese schöne, stolze, königliche Frau ist, die mein Schloß beherbergt, ich will es wissen …“

„Nun wohl, wenn ich’s denn sagen muß, Ihnen sagen muß: ich bin die Prinzessin Sidonie!“

„Sidonie! Prinzessin Sidonie!“ rief der Graf betroffen, einen Schritt zurückfahrend, aus … Sie … Sie selbst … o mein Gott, wie glücklich machen Sie mich!“

(Fortsetzung folgt.)




In Friedrich Rückert’s Haus.
Von Friedrich Hofmann.
1. Der letzte Gang zum Alten.


Am Morgen des letzten Tags vom Januar ist der letzte große Dichter aus der Glanzzeit deutscher Geistesblüthenpracht von uns geschieden. Friedrich Rückert starb zu Neuseß bei Coburg, nahe an der Vollendung seines achtundsiebenzigsten Jahres.

Es wäre Versündigung, am Grabe eines solchen Todten die gewöhnliche Klage der Trauer zu erheben, wie freudig wir auch die so sehnlich erhoffte Kunde begrüßt hätten, daß das jugendfrische Auge des greisen Dichters einem neuen Frühling lebensfroh entgegensehe. Heilig sei uns der Schmerz seiner Lieben; aber wem die Früchte eines Lebens, das vom 16. Mai 1788 bis zum 31. Januar 1866 währte, als das unvergängliche Vermächtniß desselben an ein großes Volk vor Augen stehen, der versinkt nicht in unfruchtbares Klagen, sondern den drängt es, des Vollendeten würdige Entschlüsse in’s Leben zu rufen.

Als der Nachhall von den Todtenglocken zu Neuseß durch Deutschland drang, in wie vielen Herzen erweckte er die dankbare Trauer der Liebe und Verehrung? In Tausenden, gewiß; aber für Millionen läuteten die Glocken vergeblich; sie hatten nichts mit verloren, des Dichters Name war ihnen ein fremder Schall. Das ist ein schwerer Vorwurf für den Bildungsstolz der Deutschen, hier hat die Klage das Recht, laut zu werden über den Frevel, den man am Volke begeht, wenn man ihm die Pforten des Ewigschönen verschließt, seine Erkenntniß nicht hinführt bis zum Mitgenuß der reichsten, erhebendsten, erquickendsten Schätze des deutschen Geistes, wenn das werthvollste Gemeingut der Nation nur den Glücklicheren zugänglich ist, welche wohlhabend genug sind, um sich mehr Kenntnisse zu verschaffen, als der Staat und die Hüter der Volksschule für diese zu verordnen für gut finden. – Hier öffnet sich für den wahren Volksfreund ein Feld des segensreichsten Wirkens. Gebt unsere großen Dichter ihrem Volke! Labt ihm das an geistiger Noth darbende Herz, klärt ihm den in der Sorge des Alltags verdunkelten Blick! Oeffnet ihm die Halle des verschlossenen Geistes, wenn ihr nach nationaler Macht und Freiheit strebt, denn nur „Kenntniß ist Macht“ und „nur die Wahrheit wird uns frei machen!“

Von allen deutschen Dichtern bieten nur Wenige dem Volke einen solchen Reichthum von Erhebung und Erquickung, Belehrung und Ermuthigung, wie Friedrich Rückert, und dies Alles in den dem Volke geläufigsten Formen des Lieds, des Spruchs und der Erzählung, und Alles aus dem Volksherzen, ja aus den Herzen vieler Völker erforscht und ausgewählt und dem deutschen Volke heimgebracht in den schönsten Lauten seiner Zunge und in der begeisternden Sprache der Götter, die nur große Dichter reden. Allen, Allen hat er Etwas mitgebracht. Wir dürfen’s hier wiederholen, was wir dem Lebenden zur Ehre gesagt: Wenn er an dem Fenster seiner Wohnung stand und über die Blumen seines Gartens hinübersah zur Landstraße, die der rege Verkehr der Welt belebt, so hätte er wohl sich rühmen dürfen: Dort geht Keiner, der nicht eine Gabe von mir empfangen hat. Ich gab den Jünglingen Lieder der Ehre, ich gab den Jungfrauen Lieder der Liebe, den

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