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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und Abtheilungen, wovon auch der einfachste ziemlich complicirt in seinem Bau ist.

Es würde für den Zweck dieser Darstellung zu weit abführen, auch bei dem Mangel eigener Anschauung zu ermüdend sein, ja selbst gegen die geschäftliche Discretion verstoßen, die Construction derselben zu beschreiben. Im Wesentlichen lassen sich alle die verschiedenen Complicationen des Stuhls zurückführen auf die ursprünglichen Bewegungen des Strickens und Häkelns.

Die vier Thätigkeiten, welche die Mutter dem Kind, wenn es den ersten Strumpf stricken soll, vorlernt und welche das liebe, kleine Ding sich immer vorsagt: hineingestochen, aufgehoben, durchgezogen, abgetippt, diese vier Thätigkeiten übertragen sich auch auf den Wirkerstuhl, wenn es sich dort auch in hundertfachen Abstufungen und Complicationen wiederholt. Denn jede neue Gattung Waare erfordert einen neuen Stuhl. Der Wirkerstuhl bildet, wie beim Strickstrumpf die Finger durch die Bewegungen, durch das Aufheben und Senken vieler nebeneinander liegender Nadeln aus den einzelnen von den Spulen herabhängenden Fäden Maschenreihen, welche durch ihre Entstehung schon ineinander geschlungen sind und demnach eine zusammenhängende (gewirkte) Fläche darstellen. Die menschliche Hand reicht der Maschine nur den Faden und setzt dann zugleich mit dem tretenden Fuß den Stuhl in Thätigkeit. Bei gewissen Stühlen neuer Construction, namentlich bei den sogenannten mechanischen Stühlen, reducirt sich diese Thätigkeit fast auf nichts, oft nur auf das Drehen einer Kurbel.

Bereits ist man so weit, daß mehrere Stühle zugleich, durch breite Riemen verbunden, durch eine schwache Kraftäußerung in Thätigkeit gesetzt werden, und der Anfang zur Benützung der Dampfkraft ist damit gegeben. Für den Nichteingeweihten macht es einen wunderbaren Eindruck, wenn er z. B. vor einem „Rundstuhle“ stehend sieht, wie die zwölf oder sechzehn Garnfäden von verschiedener Farbe, welche von dem obersten Ringe aufgespult lose herabhängen, aus der in Bewegung gesetzten Maschine plötzlich, in wenig Secunden unten als bereits fertiger Longshawl oder als Puddelmütze, die nur abgeschnitten und oben zusammengeknüpft zu werden braucht, zum Vorschein kommen, wobei das Auge äußerlich nichts wahrnimmt, als eine Menge im Zickzack sich bewegender kleiner Nadeln, während das Ohr ein rasselndes, knatterndes Geräusch vernimmt. Den fertigen Strumpf, die fertige Hose oder Jacke liefert der Stuhl natürlich nicht, vielmehr nur die einzelnen Theile derselben, und Frauenhände, deren überhaupt sehr viele in Thätigkeit gesetzt sind, fügen die Stücken zu einem Ganzen. Aber auch in dieser Richtung ist man weit vorgeschritten und werden z. B. kleine Strümpfe auf einzelnen Maschinen ohne Naht bis zum Fersenstück gefertigt. Die meisten der vom Stuhle herabgekommenen Waaren werden dann noch gewaschen; die weißen Artikel, besonders Jacken und Hosen, geschwefelt und heiß erwärmt, erstere auch in hydraulischen Pressen gepreßt, letztere über hölzerne Formen gezogen, theilweis auch gerauht und appretirt, bis Alles zuletzt nochmals durch eine prüfende Frauenhand läuft (repassirt), die verbessernd und ergänzend nachhilft, hier einen Saum nähend, dort einen Besatz, Knopf und Knopfloch anfügend. Nun erst kommt es auf die Lagerräume und wird dort mit andern seiner Gattung zusammen in einem Raume sortirt, erhält Namen und Etikette und harrt nun seiner Bestimmung.

Die gewaltige Masse von Kisten, welche eigens mit deren Anfertigung beschäftigte Böttcher in dem geräumigen Hofe aufgestapelt haben, entführen die also gewonnenen Producte in die weiteste Welt. In dem geräumigen, geheimnißvoll stillen Parterresaal sitzen schweigend die zum Theil schon sehr ehrwürdigen Meister des Comptoirs und summiren die langen Zahlenreihen von Soll und Haben.

Wir sind mit unserer Betrachtung noch nicht am Ziele. Der Wirkungskreis der Apoldaer Fabrikarbeit ist noch lange nicht erschöpft. Ein ganz neues wunderbares Feld der von dort angeregten Thätigkeit müssen wir noch betreten: das ist die Hausindustrie der für die Apoldaer Fabriken arbeitenden Frauen. Das führt uns aber weit über die Bannmeile der Stadt hinaus. Zunächst in den nächstgelegenen Städten, dann aber weiter und weiter bis gen Leipzig und Halle, bis in’s Hessenland und an die Grenze des Franken- und des Voigtlandes – bis dahin erweitert sich das Fabrikweichbild Apoldas – überall regen sich fleißige Frauenhände, vom zarten Kinde bis zur greisen Matrone, im Solde der Apoldaer Fabrikanten. Wie viele es deren sind, das ist nicht zu ermitteln, am wenigsten weiß es der Fabrikant selbst, denn dieser hat es immer nur mit einzelnen Frauen, als seinen Agentinnen, zu thun, welche oft selbst wieder Unteragenten haben. Es ist wie eine geheime stillarbeitende Fabrik.

Die Agentinnen holen die Wollgarne und die Muster in Apolda und nun vertheilt sich die Arbeit in Tausende der zarten Hände. Da ist es das kleine Töchterchen, welches, nachdem es seine Schularbeiten gefertigt hat, emsig zur Häkelnadel greift, um für noch viel kleinere Bübchen und Mädchen Söckchen zu häkeln und mit deren Ertrag seine Sparbüchse zu füllen. Es reiht mit seinen zarten Fingerchen sich auch mit ein in die große Welt der Arbeit – es strickt für Apolda. Da ist die gebildete Haustochter, die ihren Schiller und Goethe vor sich liegen hat, sie will von dem heimlich Ersparten dem Papa oder einem noch heißer Geliebten ein Geburtstagsgeschenk machen – sie strickt für Apolda, zugleich mit dem Dienstmädchen, draußen in der Küche; die harten, schwieligen Hände wollen sich nicht um die glatten Filetnadeln schmiegen, aber der gewöhnliche Dienstlohn reicht nicht hin, um in den Besitz einer langersehnten Crinoline zu kommen – sie strickt für Apolda. Die junge Mutter, wie füllt sie die Stunden aus, welche sie Ruhe schaukelnd an der Wiege ihres Kindes zubringen muß? – sie strickt für Apolda, und mancher Zuckerplatz, der im Wirthschaftsgeld nicht mit berechnet ist, fällt dem lieben Schreier damit zu. Das alte Mütterchen, das da klagt und jammert, daß es doch, seit die müden Füße den Dienst versagen, zu gar nichts mehr nütze sei auf der Welt, es regt noch die knochendürren Hände und – strickt für Apolda und reiht sich so von Neuem wieder mit ein in das Reich der menschlichen Thätigkeit. Die sonst saßen und spannen in den langen thüringischen Winternächten – sie stricken jetzt für Apolda. Und es ruht gar vielfacher Segen in dieser Arbeit. Sie bietet eine theilweise Lösung der Frauenarbeitsfrage und hat vor allen andern derartigen Versuchen den unschätzbaren Werth für sich, daß sie das Weib nicht dem Kreis seiner weiblichen Pflichten entfremdet, daß sie es nicht davon abzieht, wo es allein seine gottgeweihte Heimath haben soll, von dem Heerde des Hauses. Und dann noch Eins. Bei uns ist bekanntlich nicht, wie drüben in der neuen Welt, alle Arbeit eine gleichgeachtete. Sie theilt sich noch ab nach Ständen und erzeugt den Begriff der Arbeitsscham. Auch hier hilft Apolda.

Die Pfarrer- und Beamtenwittwe, welche von ihrer kärglichen Pension nicht sich und die armen Waisen ernähren kann und doch aus den Tagen ihres Glückes nur eine feine, harter Arbeit ungewöhnte Hand errettet hat, sie sitzt vom frühen Morgen bis tief hinein in die Nacht an der Häkel- und Filetnadel, und auch die ältern Töchter helfen fleißig mit. Der Frauenhand fällt überhaupt der größte Theil der apoldaischen Fabrikarbeit zu. Ihr fällt namentlich auch anheim das Vertheilen der verschiedenen Waarenarten in den vielgegliederten Waarenspeichern, das Sortiren und Etikettiren. In den weiten Liefersälen tragen die Frauen und Mädchen, kommend und gehend, in großen gehäuften Körben die Garne fort und die Arbeiten zurück.

So ist Apolda für einen großen Theil der thüringer Frauenwelt das Mekka geworden, wohin man lohnender Arbeit willen pilgert.

Wenn wir schließlich noch erwähnen, daß nach statistischen Notizen vom Jahre 1864 in Apolda jährlich etwa 25,000 Centner wollner Garne im Durchschnittspreise von 3,750,000 Thaler verarbeitet werden und die jährlichen Arbeitslöhne in runder Summe 500,000 Thaler betragen, so geschieht dies, um damit unsere Angaben über den Umfang der Apoldaer Industrie nur zu rechtfertigen.

Auf der Weltindustrieausstellung zu London trat Apolda schon allein siegreich auf für die Ehre thüringischer Industrie, bei der kommenden zu Paris wird es einer der wichtigsten Kämpfer um den Siegespreis deutschen Gewerbfleißes werden.

Fr. Helbig.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_091.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)