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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der beiden Taue, an denen es hing, beständig herum, so daß der Löffel nach dem Meere hin sich stellte, und der geringste Wind verwirrte Seile und Löffel derart, daß das Aufwinden eine schwierige Sache wurde.

Sobald der Korallenfischer sich auf einer Bank glaubt, wird das Netz ausgeworfen. Bei ruhiger See breiten sich die Flatternetze nach allen Seiten aus und langsam sinkt die Maschine auf den Boden, oft in eine Tiefe von sechszig bis hundert Faden. Die Segel werden nach dem Winde gestellt, der Patron faßt das Tau, die Matrosen stehen an der Winde, an den Rudern oder den Zugseilen der Segel, um jeden Befehl augenblicklich ausführen zu können. Es gilt, die auf dem Boden festsitzenden Korallenstämme in die Flatternetze zu verwickeln, sie abzubrechen, auszureißen oder selbst mit den Felsstücken, an denen sie festsitzen, in die Höhe zu winden. Hat das Netz gefaßt und eingesackt, so wird das Steuer

Korallen-Netz von der Seite.

entbehrlich, der Patron beschäftigt sich nur mit dem Tau. Das Schifflein, vom Winde oder den Rudern langsam, aber mit Anstrengung getrieben, springt vor- und rückwärts, je nachdem das Netz unten faßt oder losläßt. Der Patron fühlt am Tau jeden Widerstand, jede einzelne Bewegung, er commandirt in einem fort: „Laßt los!“ „Vorwärts!“ „Links!“ „Rechts!“ „Laßt nieder!“ Die Arbeit ist anstrengend, den Burschen läuft der Schweiß über den Rücken herunter. Zuweilen bleibt das Netz stecken in Klüften, so daß man von allen Seiten her den Zug versuchen muß, um es zu lüften; dann wieder sucht man in eine Schlucht, unter einen überhängenden Felsen hineinzukommen, denn da wachsen die schönsten und werthvollsten Stämme! So ist denn ein jeder solcher Zug – und man wiederholt ihn wohl zwanzig Mal im Tage – eine Reihe der lebhaftesten Scenen, der mannigfachsten Manöver und der wechselndsten Stellungen der Mannschaft, wohl werth, im Bilde vervielfältigt zu werden.

Endlich glaubt der Patron, daß das Netz hinlänglich gearbeitet habe; Die Matrosen, die beständig im Tacte durch die Zähne pfeifen, greifen zu den Speichen der Winde, mit einem letzten Ruck wird das Netz losgerissen und unter einem monotonen Gesange heraufgewunden. Alle Augen spannen sich nach dem Orte, wo es erscheinen soll, endlich sieht man, noch tief unten, einen Schein – es kommt! Spielen die Flatternetze weit auseinander, so ertönt ein leiser Fluch der Verwünschung von den Lippen des Patrons: „Dio grazia! Maladetto!“ Hängen sie schwer beladen herab, so malt sich immer größere Spannung in seinen Zügen. Nun glänzt es vielleicht roth herauf. „Santissima!“ seufzt halblaut der Patron, und die Männer arbeiten eifriger, denn der Patron sitzt in der Nähe der Winde, und wer sich lässig zeigt, bekommt zum Mindesten ein Scheltwort, wenn nicht einen Fußtritt oder einen Faustschlag auf den nackten Rücken. Endlich ist es heraus! Es wird mit Vorsicht an Bord gehißt und nun heißt es, die Korallenstücke aus den Fäden zu lösen! Eine Menge von andern unterseeischen Producten sind ebenfalls losgerissen worden. Da hängen andere, werthlose Hornkorallen, worunter eine Art, die sogenannte „schwarze Hand“ der Fischer, eine schwarze Hornkoralle, die bei ihnen deshalb so beliebt ist, weil sie an denselben Stellen wächst wie das Edelkorall und große Stücke dieser Hornkoralle mit Sicherheit anzeigen, daß die Bank seit langer Zeit nicht ausgefischt worden ist; da hängen Muscheln aller Art, Kammmuscheln, Löffel-Austern, Schlangenkopfmuscheln, Seescheiden und Schwämme von allen Farben, eine Welt organischer Formen, um die sich der Korallenfischer nur insofern kümmert, als er mit großer Geschicklichkeit, während er die Fäden entwirrt, zugleich die Muscheln aufbricht und ihren Inhalt hinabschluckt. Sonst aber wird alles Heraufgebrachte mit Verachtung in das Meer zurückgeschleudert, nur jedes, auch das kleinste Edelkorallstückchen mit äußerster Sorgfalt erlesen und sogleich in die Kiste gesteckt, deren Schlüssel der Patron neben dem Reliquientäschchen an einem Bande um den Hals trägt. Er jubelt heimlich, wenn er ein schönes Stück findet, denn der Werth der Korallen nimmt mit der Größe fast in geometrischer Proportion zu; vielleicht auch verspricht er seinen Matrosen einen Extralohn, denn sie erhalten, für eine ganze Campagne von sechs Monaten, höchstens dreihundert Francs, meist weniger, Lohn.

Wenn aber das Netz leer heraufkommt, wenn es gar hängen bleibt und trotz der verschiedenen Instrumente, die man zu diesem

Korallen-Netz von oben.

Zwecke an Bord hat, sich nicht wieder loseisen läßt, was immerhin ein Schaden von mehreren hundert Francs ist, dann wehe den Armen, die doch nicht minder gearbeitet, nicht minder geschwitzt und gedarbt haben! Die Ungunst des Himmels und aller Heiligen haben sie allein verschuldet, sie müssen arbeiten, bis die erschöpfte Natur den Dienst versagt. Lacaze-Duthiers, der im Auftrage der französischen Regierung die Korallenfischerei an den Küsten Algiers untersuchte und während dreier heißer Jahre weit umfassende Untersuchungen angestellt hat, die den Gegenstand vollständig erschöpfen (ich entlehne seinem im vorigen Jahre erschienenen Buche manche Angabe und die Originale der Holzschnitte), erzählt ein haarsträubendes Beispiel von der Hartherzigkeit eines Patrons und seiner Frau.

„Ein armer junger Matrose berieth mich als Arzt. Er kam von der Fischerei zurück mit heftigem Fieber; seine Füße waren geschwollen und mit Wunden bedeckt; er wollte lieber sein Verdienst aufgeben, als wieder an Bord gehen. ‚Ich bin noch zu jung, um so elend zu sterben,‘ sagte er mit dem wehmüthigen Accent und der ausdrucksvollen Geberde des Italieners. Ich bat die Frau des Patrons, den armen Kerl in’s Spital zu schicken. ‚Wie soll denn mein Mann fischen, wenn er keine Matrosen hat?‘ war die Antwort dieser hübschen, achtzehnjährigen Frau, die dabei ihr Kind herzte, das sie auf den Armen trug. Man mag daraus entnehmen, bis zu welchem Grade die Gier nach Gewinn bei manchen Korallenfischern jedes menschliche Gefühl abstumpft und wie sehr der Ruf ihrer Grausamkeit verdient ist. Bei so entsetzlich harter Behandlung weiß man jedoch nur von wenigen an Bord verübten Verbrechen; der Gebrauch des Messers ist, wie es scheint, verboten. Doch wurde im Jahre 1862 in Folge einer Verschwörung ein Patron von seiner Mannschaft gebunden, in den Raum geworfen und das Schiff nach Italien zurückgesteuert; bei Bonifacio wurde aber die Koralline aufgebracht und zur Fischerei zurückgeführt.“ … So viel Elend, Jammer und Mißhandlung, um Hals und Arme der Schönen zu schmücken!

Die Korallenfischerei ist kein geringer Erwerbszweig. Frankreich hat, zufolge eines Vertrages mit dem Bei von Tunis, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_041.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)