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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

machte. Der junge, schmucke Officier kam zum Besuch nach Hause und lernte bei dieser Gelegenheit die schöne Tochter des Flurschützen kennen. Aus Langeweile und da er keinen würdigeren Gegenstand für seine Galanterien fand, verführte er das unschuldige Mädchen, ohne viel an die möglichen Folgen zu denken. Als Koch durch seine Frau den Zustand seiner Tochter erfuhr und diese über die näheren Verhältnisse befragt hatte, zog er seinen Sonntagsrock an und knöpfte das eiserne Kreuz, das Zeichen seines ehrenvollen Verhaltens, in das Knopfloch. Darauf ging er auf das Schloß und verlangte den Major zu sprechen. In schlichten Worten und ohne alle Umschweife klagte er den Verführer seiner Tochter an und forderte von dem Vater die nach seiner Meinung und seinen hochgesteigerten Ehrbegriffen einzig mögliche Satisfaction. nämlich daß der Herr Lieutenant das von ihm gekränkte Mädchen zur Frau nehmen und somit ihre Ehre wieder herstellen sollte.

Der Major, der im Grunde des Herzens ein redlicher Mann war und die Schuld seines Sohnes nicht fortleugnen konnte oder wollte, suchte vergebens dem Flurschützen die Unmöglichkeit seiner Forderung vorzustellen, indem er ihn auf die Ungleichheit der Verhältnisse, des Ranges und Standes verwies. Koch hörte ihn ruhig an, ohne ihn zu unterbrechen, setzte aber allen seinen Gründen am Schlusse seiner Rede nur die einfache Frage entgegen, ob er ihn selbst für einen Ehrenmann und seine Tochter für schuldlos halte? Da der Major Beides zugestehen mußte, so wiederholte er von Neuem seine erste Forderung, mit dem Hinzufügen, daß der Rock des Königs, den sie Beide getragen, sie auch gleich gemacht habe, daß der Unterschied der Stände während des letzten Krieges aufgehört habe, wo der Fürst und der Bauer, der Reiche und der Arme in Einer Reihe für das Vaterland gekämpft und ihr Blut und Gut hingegeben. Er erinnerte ihn, wie er damals, als er ihm das Leben gerettet, auch nicht nach Rang und Stand gefragt, sondern seine Pflicht und Schuldigkeit gethan, und sprach die Ueberzeugung aus, daß auch jetzt der Major wie ein Ehrenmann gegen den andern handeln werde.

Dieser, dem die Angelegenheit wirklich leid that, bot dem Flurschützen eine bedeutende Summe zur Entschädigung für die ihm zugefügte Beleidigung, und als dieser das Geld entrüstet zurückwies, verdoppelte und verdreifachte er sein Anerbieten. Koch blieb jedoch, trotzdem er ein armer Mann war, unerschütterlich und beharrte nach wie vor auf seiner Forderung mit einer Hartnäckigkeit, welche auch den Major immer mehr reizte, so daß dieser zuletzt die Geduld verlor und ihm eben so fest und bestimmt erklärte, daß, wenn selbst sein Sohn die Dirne heirathen wollte, er nun und nimmermehr seine Zustimmung zu einer so thörichten und unerhörten Verbindung geben würde. Bleich und stumm, ohne eine Drohung oder ein böses Wort gegen den Major auszustoßen, verließ Koch das Schloß und kehrte in sein Haus zurück, wo er seine bekümmerte Frau und die weinende Tochter fand. Ruhig zog er seinen Sonntagsrock aus und hängte ihn an den Nagel, ruhig forderte er das Mädchen auf, noch einmal an den Lieutenant zu schreiben und ihn an seine Schwüre und das ihr gegebene Versprechen zu erinnern. Da der Brief, wie zu erwarten war, ohne Antwort blieb, so ging der Flurschütz in der nächsten Woche nach der benachbarten Kreisstadt, um den Lieutenant, oder vielmehr, da derselbe noch minderjährig war, den Major beim Gericht zu verklagen.

Das war jedoch keineswegs so leicht, als es sich der arme Koch in seinem Gerechtigkeitssinn und bei seiner Unkenntniß der juridischen Formen vorgestellt hatte. Von einem Rechtsanwalt zum andern gewiesen, fand er endlich einen braven Justizcommissar, einen alten Freiheitskrieger vom Jahre dreizehn, der ihn anhörte, ohne im Voraus einen Geldvorschuß von ihm zu verlangen. Auch versprach er ihm, den Proceß zu führen, obgleich er ihm nur geringe Hoffnungen machte und deshalb zu einem gütlichen Vergleiche rieth. Davon wollte aber der Flurschütz nichts wissen, indem er sich auf die Gerechtigkeit seiner Sache und die im Namen des Königs geübte Justiz verließ, da ja, wie er wußte oder zu wissen glaubte, das Gesetz ohne Ansehen der Person urtheilte und vor demselben nach seiner Meinung alle Bürger gleich waren. Natürlich konnte er unter diesen Umständen auch nicht länger in den Diensten des Majors bleiben; er gab daher seinen Posten als Flurschütz auf und zog wieder in sein Heimathsdorf zurück, wo ihm nichts übrig blieb, als das gerade offenstehende Amt eines Nachtwächters zu übernehmen, um sich mit den Seinigen nothdürftig durchzubringen.

Auch hier zeichnete er sich durch die strengste Pflichterfüllung aus, indem er, wie aus den Acten zu ersehen, wesentlich und mit Gefahr seines eigenen Lebens zur Entdeckung und Verhaftung einer gefährlichen Diebesbande beigetragen hatte. Die bei dieser Gelegenheit ihm ertheilte Prämie und die wenigen Ersparnisse wurden jedoch bald wieder von dem Proceß verschlungen, der unterdeß ruhig seinen Fortgang nahm. Ohne Murren brachte Koch diese Opfer, legte er sich jede Entbehrung auf, indem er von Tag zu Tag auf die Gerechtigkeit für seine unglückliche Tochter wartete. Nie kam eine Klage, noch weniger ein Vorwurf gegen sie über seine Lippen, da er von ihrer Unschuld vollkommen überzeugt war.

So vergingen Wochen und Monate, bis endlich eines Tages der Gerichtsbote ihm das Erkenntniß einhändigte und dafür den letzten Groschen aus der Tasche des Armen nahm.

Mit zitternder Hand erbrach jetzt Koch das große Amtssiegel und las mit großgedruckten Worten den Namen des Königs. Dann schwammen und tanzten die Buchstaben vor seinen Augen, ein lauter Schrei entfuhr seiner bedrückten Brust und der starke Mann mußte sich an dem Tisch festhalten, um nicht zu sinken. Seine Klage war zurückgewiesen und er in die Kosten verurtheilt worden, weil nach dem Gesetz die Ehe eines Adligen mit einem Mädchen niederen Standes nicht zulässig sei.

Nachdem er sich von seiner Schwäche erholt, warf er noch einmal einen Blick auf das unglückselige Papier, um sich zu überzeugen, daß er wirklich richtig gelesen und sich nicht getäuscht. Da stand es nach wie vor groß und breit: „Im Namen des Königs“ und darunter „von Rechtswegen“.

Koch stieß ein bitteres Gelächter aus, dann riß er das eiserne Kreuz aus seinem Rock und trat seinen höchsten Ehrenschmuck mit Füßen.

Am nächsten Tage wanderte er nach der Stadt, um sich die Bestätigung aus dem Munde seines Rechtsanwaltes zu holen. Dieser rieth ihm wohlwollend von jeder weiteren Appellation abzustehen, da sie ihm doch nichts nützen würde, dagegen eine Klage auf Alimentation und Entschädigung für seine Tochter einzureichen, zu der sein Gegner gesetzlich verpflichtet wäre. Koch schüttelte jedoch mit dem Kopf und dankte dem Justizcommissar für seine Bemühungen, da dieser kein Geld von ihm nehmen wollte. Zugleich erklärte er aber, daß ihm die Ehre seiner Tochter nicht für Geld feil sei.

Anscheinend ruhig kehrte er in seine Wohnung zurück und verrichtete nach wie vor seinen Dienst. Aber in seinem Innern tobte es um so heftiger und, wie er selbst dem Richter gestand, war seit diesem Tage eine vollständige Umwandlung mit ihm vorgegangen. Sein Gerechtigkeitssinn empörte sich gegen ein Urtheil, das allen seinen Anschauungen von Recht und Gesetz, allen seinen Begriffen von Ehre widersprach. Sein beleidigtes Vaterherz verlangte eine entsprechende Genugthuung, die ihm nicht zu Theil geworden. Als das Vaterland in Gefahr war, als der König rief, hatte er nicht gezögert und sein Leben ohne Besinnen eingesetzt, und jetzt hatte derselbe König, dessen Gerechtigkeit er angerufen, ihm die nach seinen Begriffen einzig mögliche Genugthuung versagt und seine Bitte nicht um Gnade, sondern nur um Recht im Namen des Gesetzes zurückgewiesen.

Das war zu viel und mehr als er zu ertragen vermochte. Wenn aber das Gesetz ihm nicht beistand, sein König ihn verließ, so blieb ihm nichts übrig, als sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen; er wollte keine Rache, sondern nur Recht üben. Mit diesem Gedanken beschäftigte er sich von nun an bei Tag und Nacht, während er sich äußerlich bei dem Ausspruche des Gerichts zu beruhigen schien. Mehrere Versuche des Majors, die ganze Angelegenheit gütlich beizulegen, blieben von ihm unberücksichtigt und als seine Frau eines Tages darauf anspielte, gerieth er zum ersten Mal in seiner jetzt mehr als dreißigjährigen Ehe in wilden Zorn und stieß gegen sie und Alle, die sich einmischen würden, die heftigsten Drohungen aus.

So brütete er still für sich, und nur derartige plötzliche Wuthausbrüche, die jedoch eben so schnell wieder verschwanden, verriethen die heimliche Zerrüttung seiner Seele. Seine arme Tochter hatte unterdeß ein todtes Kind geboren und war schwer erkrankt. Mit unveränderter Liebe saß er an ihrem Lager, ja seine Zärtlichkeit für sie schien seit ihrem Unglück eher zu- als abgenommen zu haben. Er trug sie nach ihrer Genesung, da sie zu schwach zum Gehen war, im eigentlichen Sinne auf Händen. Während die Arme sich

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