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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

uns endlich mit einigen freundlichen, von herzlichem Händedruck begleiteten Worten und fragte mich um meine Wohnung in Stockholm, um mir seine Uebersetzungen aus dem Deutschen als Andenken überschicken zu können. Ich war kaum im Hotel angelangt, als ein Kammerherr des Prinzen mir ein illustrirtes Prachtexemplar von Herder’s „Cid“ und Goethe’s „Torquato Tasso“ überbrachte mit der Einschrift: „Zur Erinnerung des Uebersetzers. Oskar.“

Ludw. Aug. Frankl.




Die Nordfahrt der Deutschen.

Am Schlusse des vergangenen Sommers ging eine Nachricht durch die Zeitungen, die blos von einem gewöhnlichen Schraubenbruche in einem Schiffe sprach, aber wie eine Trauerbotschaft aufgenommen wurde. Ein englisches Dampfschiff, die Queen of the Isles, war von preußischen Corvetten-Capitain Werner zu einer Erkundungsfahrt nach dem Nordpol gemiethet worden und auf diesem Schiffe, dem Eigenthum einer Nation, die arktische Entdeckungsfahrten so ziemlich als ihr Monopol betrachtet, hatte sich jener Schraubenbruch ereignet. Die Queen of the Isles soll uns die Freude nicht rauben, daß die deutsche Thatkraft auch bei diesem Plane einer deutschen Nordfahrt sich wieder rasch und energisch entfaltet hat. Wie eine Stahlfeder, die man von einem niederhaltenden Drucke befreit, schnellt die deutsche Unternehmungslust empor, wenn man ihr ein würdiges und nationales Ziel zeigt. Am 23. Juli hatte August Petermann einer Frankfurter Versammlung, die ausdrücklich zur Besprechung einer deutschen Nordfahrt eingeladen worden war, seinen Plan entwickelt, und bereits am 10. August hatte der preußische Corvetten-Capitain Werner in Bremen die ersten Schritte gethan, den Gedanken zu verwirklichen. Noch war der 1. September nicht gekommen und schon dampfte die Queen of the Isles, nicht mit dem wackern, unermüdlichen Capitaln Werner, dem der Urlaub verweigert worden war, aber mit den Hamburger Capitainen Hagemann und Bernard und mit den Naturforschern Wiebel und Fischer-Bengen an Bord, die Elbe hinunter – um bei Cuxhaven mit gebrochener Schraube von einem Schlepper an’s Land bugsirt zu werden.

Es war eine bloße Erkundungsfahrt, die auf diese Weise vereitelt worden ist. Die Pioniere der Nordfahrt sollten über Hammerfest nach Spitzbergen segeln, die dortigen Küsten untersuchen, namentlich sich mit den jüngst aufgefundenen Kohlenlagern beschäftigen, ferner auf dem östlich von Spitzbergen gelegenen, schon mehrmals gesehenen, aber nie besuchten Gilisland zu landen streben, Beobachtungen über Strömungen und Wärmeverhältnisse machen, so weit nördlich steuern, als sich in eisfreiem Wasser gelangen lasse, womöglich östlich bis zu den Mammuthsküsten von Neusibirien gehen und am 15. Oktober wieder in Hammerfest sein. Daß Capitain Werner an der Nordseeküste kein deutsches Dampfschiff fand und ein englisches miethen mußte, hat diese werthvollen Vorstudien unmöglich gemacht. Die eigentliche Nordfahrt wird im nächsten Jahre dennoch stattfinden. Die freudige Theilnahme, die der Petermann’sche Plan aller Orten, namentlich in Hamburg und Bremen, gefunden hat, ist uns Bürgschaft dafür, daß die Deutschen, die „Nation der Geographen“, es als eine Ehrenpflicht erkennen werden, in arktischen Entdeckungsfahrten mit den übrigen Völkern zu wetteifern. Auf diesem Felde sind namentlich die Engländer uns weit voran. Sie haben in zwei Jahren (1848 und 1849) auf der amerikanischen Seite ein Gebiet von 15,000 Geviertmeilen erforscht und für die zwanzig Fahrten jener Zeit sieben Millionen Thaler verausgabt. Wir hoffen, daß im nächsten Jahre Corvetten-Capitain Werner, der nächst Petermann für den Plan der Nordfahrt am meisten und unter persönlichen Opfern thätig gewesen ist, nicht verhindert werden wird, die Leitung der Expedition zu übernehmen. Wie wir hören, hat die preußische Regierung zu solchem Behufe ihm bereits ein Kriegsschiff zur Disposition gestellt.

So weit der Plan bis jetzt gediehen ist, sollen zwei hölzerne Schraubendampfer verwendet werden. Hölzerne Schiffe sind wärmer, als eiserne, und leisten auch, wenn man ihren Wänden die bei arktischen Fahrten übliche Verstärkung giebt, dem Eise mehr Widerstand. Zwei Schiffe müssen es sein, damit sie sich gegenseitig unterstützen und zu Zeiten trennen können, und jedes für sich eine Meergegend, eine Küste, im Eise sich öffnende Straßen zu untersuchen. Zur Besatzung würden, die Officiere und Naturforscher mitgerechnet, sechszig Mann ausreichen. Die Dauer der Fahrt würde höchstens zwei Jahre betragen, doch müßte man auf drei Jahre Lebensmittel mitnehmen, um im Stande zu sein, an geeigneten Punkten Magazine anzulegen. Eine nicht zu niedrig gegriffene Berechnung veranschlagt alle Kosten auf 212,000 Thaler. Die größere Hälfte wäre bereits vorhanden, wenn man die müßig liegenden deutschen Flottengelder für das echt nationale Unternehmen verwendete, das dem Ruhm der deutschen Flagge in ganz anderer Weise dienen würde, als der Bau von einem Paar Kanonenbooten. Das Fehlende ist durch Unterzeichnungen zu beschaffen; wenn der Plan Privatsache bleibt.

Für die deutsche Nordfahrt ist nicht die amerikanische, sondern die asiatische Seite der Polarzone gewählt worden. Die Engländer haben, gewissermaßen aus Gewohnheit, die erstere immer bevorzugt und sind ebendarum auf die stärksten Hindernisse gestoßen. Nimmt man eine Landkarte zur Hand, so gewahrt man im Westen der Barrowstraße, dem Hauptgebiet der englischen Thätigkeit, ein Gewirr von Inseln und schmäleren oder breiteren Wasserstraßen. Wie sehr das feste Land die Entstehung von Eis begünstigt, kann man an jedem unserer größeren Flüsse beobachten. An den Ufern setzen sich hüben und drüben Eisränder an und dehnen sich bei fortdauernder Kälte mehr und mehr gegen die Mitte hin aus. Dort ist noch eine Zeit lang freies Wasser, in dem bald Eisschollen zu erscheinen anfangen, die an Zahl und Umfang zunehmen, endlich in’s Stocken gerathen und den Fluß ganz schließen. In allen den Canälen westlich der Barrowstraße, welche die Engländer befahren haben, bilden sich auf dieselbe Weise Massen von Eis. Unter dem Einflusse des Landes, das überall in der Nähe ist, thauen sie in der guten Jahreszeit spät auf und entstehen nach dem kurzen Sommer rasch auf’s Neue. Das Eistreiben, das in dem freibleibenden Raume in der Mitte stattfindet, wo starke Meerströmungen herrschen, ist fürchterlichster Art. M’Clure, der Entdecker der nordwestlichen Durchfahrt, gerieth beim Vorgebirge Prinz Alfred in Polareis, das vom Westwinde in jeder Stunde einen Knoten weit gegen Osten fortgetrieben wurde. Sechszehn bis achtzehn Fuß hoch waren die mit Donnergeräusch treibenden Eisblöcke, und welchen Druck sie übten, sah man nicht blos an losgerissenen Kupferbeschlägen des Investigators, die wie Papierrollen zusammengewickelt wurden, sondern auch an einer Art von Bergreihe am Ufer, die aus einer einzigen Holzmasse bestand, lauter Trümmern von Stämmen Treibholz, die das Eis zu Spähnen und Splittern zerrieben hatte. Gnadenbucht nannte M’Clure die Einzahnung der Küste, die ihm vor den Eismassen Schutz gewährte. Noch fürchterlicher ist der Canal westlich von der König Wilhelmsinsel, aus dem Franklin keinen Ausweg gefunden hat. Gleich einem Eisstrom drängt sich dort das Polareis aus der Straße zwischen dem Prinz Waleslande und dem Victorialande heran.

Ehe die Schiffe zu der Barrowstraße gelangen, die ihnen den Zugang zu dem höchsten Norden gewähren soll, haben sie bereits eine Gefahr zu bestehen. In der Baffinsbai treiben große Eismassen, von den Walfischfängern als Mitteleis bezeichnet. Es öffnen sich darin Straßen, in die man sich auf die Gefahr hin wagen muß, daß sie sich wieder schließen und das Schiff nicht mehr fortlassen. M’Clintock war aus seiner Nordpolfahrt zur Aufsuchung Franklin’s zweihundert zweiundvierzig Tage der Gefangene des Mitteleises. Rings von ihm eingeschlossen, wurde er mit den Eisfeldern vom Winde hierhin und dorthin getrieben und machte in der erwähnten Zeit eine unfreiwillige Reise von fast dreihundert deutschen Meilen. Die große Erzeugungsstätte dieses Mitteleises der Baffinsbai ist das nördliche Grönland, welches einen einzigen ungeheuren Gletscher darstellt. Unter den doppelten Einwirkungen der Luftniederschläge und des Frostes immerfort sich ausdehnend, schiebt der grönländische Riesengletscher sein Eis durch Thäler und Schluchten dem Meere zu. Sind die Ufer hoch und steil, so wird der Gletscherrand in die Luft hinausgedrängt, bis er unter dem Drucke seines eigenen Gewichts abbricht, krachend in’s Meer stürzt

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