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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Nach geendigtem Gesange nahm die freundliche Fürstin wieder das Wort und sagte: „Den Lohn für diese Deine Liebe und Güte wirst Du von Gott erhalten und bald bei uns sein.“ Darauf entfernten sich die Geister.

Der Herzog blieb in feierlicher Stimmung noch eine lange Zeit. Von der Unterredung aber hatte die Wache nach ihrer Aussage nur die Worte des Herzogs gehört und die Erscheinenden nicht gesehen. Er berichtete das Vorgefallene seinem Rathgeber, dem torgauischen Superintendenten Hofkunz, und bereitete sich zu einem seligen Ende vor. Die Prophezeiung der beiden Geister, daß auch er bald im Reiche der Geister sein werde, scheint auf den ohnedies schon kränkelnden Herzog einen tiefen Eindruck gemacht zu haben; wenigstens wurde er tagtäglich düsterer und in sich gekehrter, und selbst die vernünftigsten Vorstellungen waren nicht im Stande, ihn von seinem Trübsinne abzuziehen und ihn den mit seinen alchymistischen Versuchen verbundenen, lebensgefährlichen Beschäftigungen zu entreißen. Hierzu kam außer der vereitelten Hoffnung auf Bergbausegen in seinem Lande, zu welchem Zwecke er sogar ein besonderes Bergamt in Eisenberg errichtete, der tiefe Ruin seines ganzen Finanzwesens noch hinzu. Daß aber diese Schuldenlast nicht eine Folge leichtsinniger Verschwendung, sondern vielmehr ein Ausfluß seiner allzu menschenfreundlichen und darum leider nur zu oft für selbstsüchtige Zwecke benutzten Gesinnungsweise war, erhellt aus allen Handlungen und Unternehmungen seines privaten sowohl, wie seines öffentlichen Lebens und Wirkens. Denn von der ihm durch die Geister zugesagten Summe von beinahe sechs Millionen Thalern an baarem Gelde sollte (laut der in seinem von ihm selbst geführten Tagebuche vom Jahre 1696–1704 aufgestellten Berechnung) nur ein Dritttheile in seinem Interesse, dagegen zwei Dritttheile zu Nutz und Frommen seiner nächsten Umgebung und seines Landes verwendet werden. Sogar noch wenige Monate vor seinem Tode erließ der Herzog im festen Glauben auf die baldige Gewinnung eines unermeßlichen Reichthums durch Geisterhülfe den sämmtlichen Unterthanen seines Landes die Steuern auf drei Jahre. Christian verschied am 28. April 1707 an einer Nervenvertrocknung, einer Folge der bei seinen alchymistischen Operationen gebrauchten starken Gifte. Nach seinem Tode nahm das Haus Gotha wieder von Eisenberg Besitz, wodurch dieses aufhörte, ein selbstständiges Fürstenthum zu bilden.

Die Christiansburg, seit 1829 von dem Prinzen George von Hildburghausen, dem nachmaligen Herzog Georg von Sachsen-Altenburg, wieder bewohnt, steht gegenwärtig aufs Neue verwaist. Doch ist in den Räumen, wo Herzog Christian lebte und starb, so ziemlich Alles im früheren Zustande erhalten worden. Daß der ganze Gespenstertrug, welcher einen dem Mystischen zugewandten Geist vollends verwirrte, auf Rechnung hab- und herrschsüchtiger Geistlichen und auf die Werkzeuge der katholischen Propaganda zu setzen ist, bedarf für unsere Leser keiner weitern Ausführung.




Blätter und Blüthen.

Kalendertag in London. Der Nebelmonat par excellence, der spleenbefördernde, Hängungsgelüste weckende November bringt den Londonern zur Unterbrechung der trüben Monotonie seines vom Gaslicht erhellten dickzähen Dunstgraus alljährlich zwei volksfestliche Tage: am 5. den Erinnerungstag an die bekannte Pulververschwörung des Guy Fawkes, ein Hauptfest der Straßenjugend, die zum Gedächtniß jener bekannten Parlamentserrettung allerhand große und kleine Puppen als Guy Fawkes unter Trommelschlag und musikalischem Gelärm in den Gassen umherträgt und umherführt, dabei ihren politischen Antipathien nach Herzenslust freien Lauf lassend, und am 9. die mit mittelalterlichem Gepränge von statten gehende Auffahrt des neugewählten Cityhauptes, des Lord-Mayors, nach dem Westminsterpalaste. Außerdem aber darf sich dieser seelen- und leibermörderische November noch eines merkwürdigen Tages rühmen, welcher für gewisse Geschäftskreise eine große Bedeutung hat und mit seinem Einfluß in alle Schichten der Londoner Bevölkerung nicht nur, sondern weit in’s Land hinausreicht und die ganze Zukunft gewissermaßen unter sein Regiment stellt. Es ist der Kalender- oder Almanachstag.

Am 22. November nämlich Glock drei Uhr Nachmittags erfolgt in der Londoner Buchhändlerbörse – wenn wir so die Bezeichnung des Innungsgebäudes der Buchhändlerzunft, die Stationers’ Hall, verdeutschen wollen – mitten im belebtesten Theile der City die Ausgabe von dreizehn Kalendern und Almanachen auf das nahende künftige Jahr. Wer von unsern Lesern jemals in Leipzig gewesen ist, wenn in den Nachmittagsstunden des Freitags die neue Nummer der Gartenlaube in die Hände des Publicums geliefert wird; wer gesehen hat, wie die Körbe und Buchhändlerwagen, in denen die Commissionäre der verschiedenen auswärtigen Buchhandlungen die beliebte frische Geisteswaare in Empfang nehmen, gleich einer Wagenburg um den Keil’schen Gartenlaubenpalast aufgepflanzt sind; wer sich gar, wie Schreiber dies, so manches liebe Mal durch das Gewühl von Menschen, von Colporteuren, Buchhändlerburschen, Zeitungsfrauen und sonstigem journalhungrigen Publicum hat schlagen und drängen müssen, welcher die Vorhalle der Expedition erfüllt – der hat ein Miniaturbild des Gewirrs im Kopfe, das am Kalendertage sich um die riesigen Tafeln gruppirt, die in der großen Halle der Londoner Buchhändlerbörse aufgestellt sind.

Schon Tage vorher werden die Tausende von Ballen hereingeschafft und ihrer Hüllen entkleidet, welche die verschiedenen Kalender enthalten, und sowie die Glocken des St. Paulsdomes die Mittagsstunde verkünden, thun sich draußen die eisernen Gitterthore vor Stationers’ Hall und drinnen die Thüren des Hauses auf, und wie ein tosendes Meer fluthet das Heer der Expectanten von der Straße herein, mit Lebensgefahr und manchem Stoße sich Bahn brechend, bis der gewaltige Raum der Halle nur noch ein undurchdringliches Chaos von menschlichen Köpfen und Armen zu sein scheint. In eben solchem Sturme läuft die Fluth wieder ab; Jeder will der Erste sein, die neuen Kalender auf seinen Wagen und Karren zu laden, Jeder der Erste, damit nach dem bekannten Buchhändlergäßchen von Paternoster-Row zu gelangen. In weniger als zwei Stunden ist die ganze ungeheuere Stadt mit Kalendern versorgt, in derselben Zeit enteilen die andern nach Nord und Süd, gen Osten und gen Westen auf den Fittigen des Dampfes über das gesammte Königreich von Großbritannien und Irland, und nur die allerärmsten Hütten sind es, wo keiner der Almanache der Stationersgenossenschaft mit seiner Belehrung und Unterhaltung, seiner Sonnen- und Mondlaufoffenbarung, seiner Sturm- und Regenverkündigung einspricht. Mehrere dieser Kalender werden in fabelhaften Auflagen, Auflagen von unterschiedlichen Hunderttausenden über das europäische und außereuropäische Bereich der englischen Zunge verbreitet und die meisten erfreuen sich ihrer Volksthümlichkeit schon seit Hunderten von Jahren. So ist der Gärtnerkalender (The Gardeners’ Almanac) bereits 1664, das Damen- und Herren-Tagebuch (the Lady and Gentleman’s Diary) 1709 gegründet und seitdem ununterbrochen veröffentlicht worden, während auch die übrigen fast sämmtlich ihre goldene und diamantene Jubelfeier hinter sich haben.

Früher stand der Buchhändlercooperation ausschließlich das Recht der Kalenderherausgabe zu; dies Monopol ist jetzt zwar aufgehoben, allein noch immer genießen die Almanache der Stationers’ Hall den Vorzug vor allen ähnlichen Publicationen, weil sie sich namentlich durch die Genauigkeit ihrer astronomischen Angaben und eine Fülle von praktischer Belehrung für das tägliche Leben auszeichnen. Der Engländer ist und bleibt einmal durch und durch conservativ, so auch in der Wahl seiner Kalender, und als vor einigen Jahren in einem derselben die Rubrik in Wegfall gekommen war, welche von dem Einfluß des Mondes auf die verschiedenen Theile des menschlichen Körpers handelt, erhob sich das Publicum wie ein Mann und gab empört die verstümmelten Kalender den Lieferanten zurück.

Die Buchhändlergenossenschaft, oder wie ihr förmlicher Titel lautet, „Meister und Bewahrer, oder Hüter und Gemeinschaft des Geheimnisses oder der Kunst des Buchhandels in der City von London“, hat sich ihren ursprünglichen Charakter durch alle Jahrhunderte treu bewahrt; es ist die einzige Londoner Gilde, deren Mitglieder nur aus Kunstgenossen bestehen, während alle übrigen, ähnlich wie in manchen Städten der Schweiz, unter ihrer Zunftbezeichnung Männer der verschiedensten Gewerbe und Berufsclassen vereinigten. Uebrigens existirte und blühte die „Bruderschaft der Buchhändler“ schon lange vor der Erfindung der Buchdruckerkunst, erst Anfangs des siebenzehnten Jahrhunderts aber erhielt sie von Jacob dem Ersten das Privilegium der ausschließlichen Herausgabe von Gebet-, Gesang- und Psalmbüchern wie von Kalendern und „Prophezeiungen“ und von sämmtlichen in den gelehrten Schulen des Landes benützten lateinischen Werken und Handbüchern. Natürlich ist dies Monopol nunmehr längst erloschen und die erwähnten Kalender und ein lateinischer Gradus ad Parnassum bilden die einzigen Verlagsartikel, welche die Londoner Buchhändler als Genossenschaft in die Welt senden. Jedes Buch aber, das in England erscheint, muß vor der Ausgabe in die Register der Stationers’ Hall eingetragen werden, soll es den Schutz der Gesetze wider den Nachdruck genießen. Die Buchhändlerbörse selbst, wie sie jetzt steht, wurde kurz nach dem großen Feuer errichtet, welches im Jahre 1666 die ganze City von London in Asche legte, und enthält in ihren zahlreichen Sälen und Gemächern neben ausgezeichneten Holzschnitzereien und Glasmalereien eine Reihe vorzüglicher Gemälde älterer und neuerer britischer Meister, darunter namentlich die Portraits der Literaturkoryphäen des vorigen Jahrhunderts.

Als der Lordmayorstag noch mit feierlicherem Prunke vor sich ging; als der neue Bürgermeister und sein Gefolge in vergoldeten Staatsgondeln auf der Themse nach Westminster ruderten, da war es die edle Gilde der Buchhändler, die ein Hauptelement der schimmernden Procession bildete, und wenn Königin Elisabeth von ihrem Landhause an der Themse sich nach dem Whitehallpalaste begab, pflegten die „schicklichsten Personen der Zunft“ in rothen Sammetwämsen mit schweren goldenen Ketten und langen Wachsfackeln die unmittelbare Escorte der Monarchin abzugeben, wie sie auch bei verschiedenen öffentlichen Gelegenheiten gewissermaßen zur Trabantenschaft des im jenseitigen London, in Lambeth, residirenden Erzbischofs von Canterbury gehörten, ohne dessen Genehmigung vormals keiner der von der Corporation veröffentlichten Kalender in Umlauf gesetzt werden durfte. Heute machen die Londoner Stationers die ansehnliche Gesellschaft von etwa zwölfhundert Mitgliedern aus, deren höchst respectables Vermögen ihnen alljährlich verschiedentliche üppige Galabankets gestattet.

S.



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