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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nicht entfernt mit dieser deutschen Landschaft messen können, wie die deutschen Gauen überhaupt von den Meeresufern bis zu jenen Linien hinüber, wo sich Italien und Frankreich in der Alpenregion als Nachbarn anschließen, eine kaum zu beschreibende Fülle von ebenso lieblichen wie großartigen Naturscenerien aller Art darbieten.

König Ludwig von Baiern wußte sehr genau, wie unbekannt die Isarufer sind und noch lange bleiben werden, indem er der von ihm erbauten Isarbrücke zu München eine Inschrift hinzufügen ließ, mit einer Nachricht darüber, in welchem Gebirgsstock die Isar entspringt und in welchen Fluß sie sich endlich ergießt. Freilich ahnt man auch bei München die Wunder dieser eigenthümlichen Gebirgsufer nicht und nur die Wildheit und gesunde, jäh aufbäumende Kraft sieht man diesem Flusse an, der in weißgrünen Wellen daherrauscht, über endlose, unfruchtbare Kieselfelder schäumend, die er dem Marmorgeröll der Alpen entführt hat. Fünfzehn Meilen weit schwemmte er in Urzeiten dieses unendliche Kieselmeer von Milliarden Steinen hinweg, denn wo man auch in München und auf dem ganzen Plateau rings umher in die Erde gräbt, immer kommt man auf den Untergrund dieser mächtigen Kiesellager. Sie bestehen an vielen Stellen oft, ja großenteils, aus Stücken vortrefflichen bunten Marmors, welche sich von den Kalkalpen losgelöst und sich Jahrtausende lang im Bette des Flusses weiter und weiter gedrängt und gewetzt haben, bis ihre Ecken nach dem mechanischen Gesetze des Bachgeschiebes zu den eirunden Flächen des Wasserkiesels abgeschliffen worden sind.

Doch während hier Alles flaches, ebenes Land ist, das sich endlich weiter nach den Alpen hin zu Hügeln und Vorbergen erhebt, bei deren verborgenen Schönheiten wir heute nicht verweilen dürfen, gipfelt sich der wirkliche Charakter dieser Flußgegenden erst zwischen Scharnitz und Tölz, an Mittenwald, Krün, der vorderen Riß, Fall und Länggries vorüber.

Einsame Großartigkeit, Flussesbrausen und Wälderrauschen umgiebt den Wanderer; abwechselnd begleitet ihn der wundersame Anblick des Wetterstein- und Karwendelgebirges und anderer Alpenstöcke, die im Sonnenlicht ihre gelben Kalkfirnen und die kühnen Zackenlinien ihrer schroffen Abhänge durch die blaue Luft tragen. In langen, immer bewegten Berggruppen, malerisch gefärbt vom Schlagschatten vorspringender Felsenkanten und von hell beschienenen Marmorflächen, bilden sie einen markirten Gegensatz zu den dunklen Tannenwaldungen an ihrem eigenen, zurückgelehnten Fuß und zu denen auf den Zügen des ringsum drastisch aufgestellten, immer noch mächtig hohen Mittelgebirgs. Unten an der Isar liegen die hellgrünen Grashalden des ruhigen Thales, das von Mittenwald bis über Krün hinab räumig und frei ist, mit kleinen Querbächen und Wasserrinnen durchzogen, eine stille Weideflur, auf der kleine Heerden hellfarbigen Hornviehs grasen. Der Anblick dieser imposanten Gegend wird immer ergreifender und träumerischer in der Abendzeit, wenn die Gipfel der Kalkgebirge wie eine orangenfarbige Lichtvision über dem einsamen Thale schweben, sich hier und da spiegelnd in den grünen Fluthen der fortstürmenden Isar.

Und hier an der vorderen Riß, wo der wilde Rißbach sich aus einem riesig felsengethürmten Alpenthal herauswälzt und in das Bett der Isar niedertost, herrschen nicht blos die Zauber der Gebirgsnatur mit all’ ihren dämonischen Reizen – hier ist auch ein auserwählter Tummelplatz für die Freuden des Waidmanns und für den Verehrer der Forstcultur und des Waldes.

Wie der Herzog von Coburg in der hinteren Riß ein Jagdschlößchen erbaut hat, in dessen zur malerischen Pertisau am Achensee hinüberführendem Gebiet er Hochwild und Gemsen hegt, so steht in der vorderen Riß ein von König Maximilian errichtetes, einfach geschmackvolles Jagdschlößchen. Unweit daneben liegt das zugleich als Gasthaus dienende Wohngebäude des Revierförsters dicht am Wasser und am wenig betretenen Wege. Auch in diesem Terrain stehen gegen achthundert Stück Rothwild und wer Morgens früh bei Sonnenaufgang zum Fenster hinausschaut, kann ohne Mühe mit einem Stein bis zu der Stelle in der Isar hinüberwerfen, wo die Gemsen von den grünen Jachenauer Bergen arglos zur Tränke herabsteigen, um zum jenseitigen Revier hinüberzuwechseln. Ihre Sicherheit und Schnellkraft, über luftige Felsen hinwegzusetzen, ist oftmals geschildert. Als weniger bekannt aber möchte ich eine ähnliche Geschicklichkeit im Klettern des noch nicht zu alt und groß gewordenen Edelwildes erwähnen. Ich habe starke, jagdgerechte Hirsche auf den gefährlichsten Wegen bergab und bergauf mit einer Bravour dahinklimmen sehen, von welcher sich der Jäger unseres norddeutschen Berg- und Flachlandes schwerlich einen Begriff machen wird.

In diesen Gegenden darf das Wild sich auch wahrhaft heimathsberechtigt fühlen. Nicht allein, daß es eine lange Reihe von Jahren hindurch von der verständigen Mäßigung und Pflege eines weisen Jagdgebietes geschont wurde, gewährt ihm auch die Gegend selbst den nöthigen Schutz. Den Hauptrückhalt findet es im grünen, lebendigen Hause der Natur, unter dem schirmenden Blätterdach des deckenden Waldes, mit seinen moosigen Lagerstätten, seinen nahrhaften Pflanzen und Kräutern, seinen jungen, saftigen Sprossen der Tannen und Laubholzbäume, und endlich in den windgeschützten Sonnenplätzen, die an Felsen und Bergeshalden, dicht und traulich umwachsen, ihm eine warmgeborgene Friedensstätte der Mittagsruhe bieten.

Diese mächtigen Waldungen, soweit sie königlich sind vom ausgezeichneten bairischen Forstwesen so zweckmäßig wie der Wildstand verwaltet, ziehen sich bis nahe zu den Quellen des Flusses nach allen Seiten des Isarthales dahin, weit in Nebenschluchten und Seitenthäler hineinragend und mit ihrem grünen harzduftigen Mantel auf- und absteigend über manches breitkupplige Bergplateau. Ueberall das Weben und Rauschen in den Gipfeln der Föhren und Tannen, dazwischen das dunkelgrüne Maigrün der breitastigen Buche und des strotzigen, sonnengebräunten Ahorns, und oben in den Lüften der Habichtsschrei und Weihenruf, denen im sicher bergenden Kieferwald die laute Stimme des Spechtes wie ein höhnendes Freudelachen zu antworten scheint.

Die windbrüchigen Bäume, welche der Sturm umgestürzt hat, läßt der Forstmann an geeigneten Stellen ruhig im Walde liegen und vermodern, da in diesen Gegenden ihre düngende Kraft für den jungen Nachwuchs größeren Werth hat, als ihr Holz. Morsch und moosdurchwuchert und von blühenden Schlingpflanzen wild umrankt, gewürmdurchkrochen und mit rothen und gelben Pilzen unterwachsen, hauchen diese am Boden liegenden Stämme den brütenden Duft vegetabiler Verwesung aus; der Fuß des Wanderers glaubt bei jedem Schritt auf Schlangen und Salamander zu treten und ohne tausendjährigen Bestand sind ringsumher die Zauber des Urwaldes gewoben.

Der gewöhnliche, genußarme Wanderer empfängt freilich nur selten diese magischen Eindrücke aus der großen Allkirche der Natur. Sein Fuß betritt diese Stätten nicht, er wandert auf dem gangbaren Wege dahin, und sein Auge beleckt gleichsam blos den bestaubten Saum der Wälder. Nur hier und da dringt in das innere Heiligthum der Natur ein wahrer Freund derselben, oder der Verehrer des Waidwerks, wenn er durch die Forsten schreitet, um den Hirsch zu pirschen; wenn er tief drinnen an einer versteckten Waldblöße lauert, um dem kreisenden Raubvogel seine rasche Kugel zuzusenden; oder wenn er noch höher hinauf sich zieht in das Gebiet des Bergfuchses, der von gleicher Race mit dem der Ebene hier zu besonderer Größe gedeiht; ja noch mehr, wenn der Jäger sich endlich gar an den waldbewachsenen Nebenbächen, Wasserrinnen und Bergschlünden viele tausend Fuß hoch hinaufarbeitet, um droben in die freiheitlachende Region der Murmelthiere und Gemsen hinauszutreten, den Windhauch der feinen, schneegekühlten Luft um sich und rief unter seinen Füßen das morgendampfende Thal.

Aber nicht blos ist es möglich, bei solchen Wanderungen das geheime Waldleben mit seinen Reizen der Thier- und Pflanzenwelt zu belauschen; bei diesen Gängen durch die innern Winkel und tief eingesenkten Bergbuchten der Alpen findet man auch Gelegenheit, die Thätigkeit der Waldarbeiter, der Holzfäller, zu beobachten.

Nicht so friedlich und gefahrlos, wie drunten in der Ebene, im breiten Thal und an sanften Berghalden, ist diese Thätigkeit droben an Schrunden und Schlünden, auf kluftigem Terrain, an steilen Waldhängen, die sich zum schwindelnden Felsenabhang hinuntersenken.

Der ruhige Wegreisende bleibt wohl oft stehen auf der kühn gespannten Eisenbahnbrücke von Groß-Hessellohe und sieht thurmhoch unter sich die Holzflöße in langen Reihen durch die Bogen steuern, ein froher Juhschrei oder ein Schnaderhüpferl der lustigen, im Nationalcostüm malerisch auf den aneinander geschnürten Tannenbäumen stehenden Bursche oder auch Mädchen schallt zu ihm hinauf; er sieht die Flöße weiter und weiter gleiten den hochragenden Thürmen des schönen Münchens zu, wo sie am Ufer der Vorstadt Au, ihrem Bestimmungsorte, landen. Nicht immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_726.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2022)