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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

jedoch das A. Schmidt’sche Etablissement nicht verlassen, zugleich den nach japanischer Weise vergoldeten, broncirten und auch gemalten Siderolithwaaren der verschiedensten Art unsere Bewunderung zu zollen. Aus Terralith werden hier äußerst feine Figuren, Portraits, Gebrauchsgegenstände etc. hergestellt, deren Farben, was früher bekanntlich nicht der Fall war, unverwüstlich sind und deren Versilberung und Vergoldung polirfähig ist. Alcarazzas, Kühlgefäße, Weinkühler, Butterkühler u. dergl. Gegenstände, aus porösem weichen Thone fabricirt und mit doppelter Wandung versehen, gehen gleichfalls aus dieser Anstalt hervor.

Es ist eine Freude, zu gewahren, wie hier alle Kräfte harmonisch ineinander greifen. Die Früchte solcher Arbeit sind denn auch sichtbar. Sonneberg ist in den letzten zwanzig Jahren von dreitausend auf fünftausend Einwohner gestiegen, der Wohlstand wächst mit jedem Jahr, die Stadt selbst sieht sich genöthigt, aus der Enge des Waldthales immer weiter nach der Ebene hinabzusteigen, wo auch die Gasanstalt ihre Stelle erhielt und eine Reihe von großstädtischen Gebäuden den Blick auf sich zieht. Ueberhaupt gewährt die Stadt, die hoffentlich, wie bereits mit Coburg, bald auch mit Gera durch einen Schienenweg verbunden sein wird, vom Bahnhofe aus und namentlich zur Sommerzeit in der grünen Umrahmung der nahen Berge einen überaus malerischen Anblick. Weit oben über dem alten Stadttheile erhebt sich an der Stelle einer längst verfallenen Burg ein hoher Thurmbau, als ein Lueg in’s Land die Thalebene weit beherrschend, welcher den Rittern der Gegenwart, den Industriellen, als Vergnügungslocal dient. Da hat man denn Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß bei aller Intelligenz und Gewandtheit dem Sonneberger seine alte thüringische Gemüthlichkeit nicht abhanden gekommen ist. Rechts aber auf einer mäßigen Anhöhe prangt die schöne neue Stadtkirche, nach des unlängst verstorbenen Heideloff’s Zeichnung eine Nachbildung der St. Lorenzkirche in Nürnberg, ebenfalls zum Zeugniß dafür, daß Sonneberg auch in Zukunft mit Stolz genannt werden wird – eine Tochter Nürnbergs.

August Topf.




Ein kirchliches Charakterbild.

Die große, freisinnige, religiöse Bewegung in Baden, welche seit fast zehn Jahren dort neben einem politischen Fortschritt vor sich geht, hallt aus den süddeutschen Blättern zu uns herüber. Aus diesem religiösen Kampfe klingt jedoch der Name Schenkel am meisten an unser Ohr. Ueber diesen Namen spricht die religiöse Reaction ihr Anathema und der Fortschritt schreibt ihn auf seine Fahne, und da die religiöse Bewegung mit dem Namen Schenkel verflochten ist und aus der deutschen Presse nachklingt, so wird den Lesern der Gartenlaube ein Charakterbild dieses Mannes wohl nicht unwillkommen sein.

Schenkel, der Professor der Theologie zu Heidelberg, der badische Kirchenrath, der Seminar-Director und erste Universitäts-Prediger, dessen Verdienst es ist, daß die Annahme des Concordats mit Rom abgewiesen wurde, der die freisinnigste Kirchenverfassung für Baden entworfen und der, dem badenschen politischen Umschwung gegenüber, auch einen freieren Spielraum in dem Kirchenwesen des Badener Landes heraufbeschworen hat, ist ein echtes Charakterbild der modernen evangelischen Freiheit oder der freisinnigen Vermittelung. Und als er vor Kurzem, neben Strauß und Renan, mit seiner Schrift: „Das Charakterbild Jesu“, aufgetreten, die schon in wenigen Monaten in dritter Auflage erschienen ist; als bei dieser Gelegenheit eine mächtige klerikale Parteiversammlung sich zu einem Ketzergerichte aufgeworfen und die Behörden zu Gewaltschritten aufgefordert – da hat sich die langjährige, freisinnige Vermittelungsrolle Schenkel’s als segensreich, die Reactionspartei der Kirche als ohnmächtig erwiesen.

Seit fünfundzwanzig Jahren ist Schenkel bestrebt, für die evangelische Freiheit auf praktischem Wege zu kämpfen, um durch das System der Vermittelung, in gleicher Entfernung von dem Traditionsglauben und der Orthodoxie wie von der rücksichtslosen, die Masse erschreckenden Negation, einen Einfluß auf den Gang der kirchlichen Reform zu behalten. Dieser Weg allein, wie er auch durch die beiden extremen Parteien ein dornenvoller wurde, hat den Fortschritt der badischen Kirche bewirkt. Wenn wir auf Preußen schauen, wo man von oben herab die starre Orthodoxie in Kirche und Schule, den religiösen Rückschritt und die evangelische Unfreiheit dem Volke durch Regulative und Maßregeln einzuimpfen sucht, die nur vom politischen Absolutismus übertroffen werden; wenn wir auf Hannover sehen, wo die zähe Strenggläubigkeit der Regierung fort und fort die constitutionellen Rechte und die religiöse Freiheit des Volkes bedroht: so müssen wir auf Baden mit Genugthuung hinblicken, wo durch Schenkel die kirchliche Bewegung begann und die Regierung auf der Seite des Fortschritts steht.

Und der Kampf und der Widerstand von Seiten der Verblendeten des Volkes, sowohl gegen die fortschreitende Regierung, als gegen Schenkel, ist nicht ausgeblieben. Ein großer orthodoxer Theil der Geistlichkeit und des ihr vertrauenden Volkes widersteht fanatisch dem Fortschritte und sucht in jeder Weise der Regierung Hindernisse in den Weg zu legen. Für das freisinnige Schulgesetz, welches den katholischen Klerus in Aufruhr gebracht, hat die Regierung nur mühsam die Mehrheit der Stände gewonnen, um es zu veröffentlichen. Und gegen Schenkel und gegen sein Buch, „das Charakterbild Jesu“, erhob die Schaar der Finsterlinge einen Schrei der Verdammung. Nach einer fanatischen Agitation unterzeichneten einhundert und siebenzehn Geistliche einen Protest, worin sie Schenkel für unfähig erklärten, ein theologisches Lehramt zu bekleiden, die oberste Kirchenbehörde darin aufforderten, ihn aus seiner Stellung als Seminardirector, als Professor und als Kirchenrath zu entfernen. Nur die hinter ihm stehende freisinnige Regierung und oberste Kirchenbehörde waren im Stande, durch Herbeiführung einer Conferenz zu Durlach und durch eine Entscheidung des obersten Kirchenraths, ihn dem Märtyrerthum zu entziehen. Daß die Regierung und oberste Kirchenbehörde auf freisinniger Bahn wandeln; daß letztere entschieden hat, „das Vertrauen der Gemeinde zum Christenthum könne nur geschwächt werden durch jeden Versuch, dasselbe der freien Forschung zu entziehen“, ist Schenkel’s Werk. Das Princip der Lehrfreiheit, wenn auch in einem kleinen Theile der protestantischen Kirche, bleibt unter allen Umständen ein Sieg, und diesen Sieg erfocht Schenkel.

Die Bedeutung der Schenkel’schen Wirksamkeit, die der Urheber dieses Charakterbildes hier gezeichnet, ist aber nicht blos eine Phrase, sondern eine von allen Parteien anerkannte. Die traditionsgläubige, orthodoxe Geistlichkeit mit ihrem Anhange möchte ihn dieser Wirksamkeit wegen aus seiner Stellung stoßen. Der freisinnigen extremen Partei geht er in seinem Wirken nicht weit genug und gern möchten sie ihn bis zur Isolirung drängen; die Berliner Hoftheologen mit ihrem Kreuzzug, Hengstenberg an der Spitze, sehen in ihm den Antichrist. Nur die freisinnige Regierung weiß ihn als aufgeklärten badischen Landestheologen zu schätzen, der bei aller Schonung für das kirchliche Bewußtsein der Gemeinde die Reaction zu brechen versteht. Diese Anerkennung zollt ihm auch der Herzog Ernst von Coburg, indem er Schenkel bei Gelegenheit seiner neuesten Schrift, „die protestantische Freiheit im Kampfe mit der kirchlichen Reaction“, gratulirte, daß er „sowohl der verdammungssüchtigen Orthodoxie, wie auch dem wohlfeilen Spott der Fanatiker des Unglaubens“ entgegen getreten.

In einem andern Lichte muß uns aber Schenkel’s Charakterbild erscheinen, wenn wir ihn als theologischen Schriftsteller betrachten. Als Schriftsteller ist Schenkel, wie sein Gegner Strauß mit Recht sagt, wirklich nur ein Halber. Obgleich er von Strauß die Anregung empfangen, auf demselben freien Standpunkt steht und vor der Orthodoxie in gleicher Verdammniß ist, hat er dennoch, um seine kirchliche und akademische Stellung nicht zu verlieren und einen Freibrief für seine praktische Wirksamkeit zu haben, sein Vorbild in dem Aufsatze „das Christenthum und die Humanitäts-Religion“ verleugnet und im Kampfe gegen den kirchlichen Wahn und den religiösen Aberglauben nicht die ungetheilte Wahrheit gesagt. Und kann man auch nicht mit Strauß, bei dessen Verstandeseinsamkeit und Isolirung, darin einstimmen, daß Schenkel’s Charakterbild Jesu ein verschwommenes, vermittelndes und also charakterloses Buch sei, so können doch seine besten Freunde vom schriftstellerischen Standpunkte aus diesem Buche keine Entschiedenheit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_715.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)