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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Beide erkannten darin mehrere Arten von Wurzelfüßern, mehrere Arten von s. g. Polycystinen, mehrere Arten von Bacillarien oder Diatomeen, welche Ehrenberg in seinem großen Infusorienwerke noch für Thiere ansieht, während sie jetzt allgemein, und wohl mit vollem Rechte, für Pflanzen gehalten werden. Aber einer der beiden Beobachter schien eher zu der Meinung hinzuneigen, daß diese Thiere sämmtlich todt und ihre Kalk- und Kieselschalen nur von den Meeresströmungen, namentlich dem Golfstrome, auf das Telegraphenplateau geführt und dort abgesetzt worden seien. Vielleicht war es die Ueberzeugung von der Unmöglichkeit organischen Lebens in solcher Tiefe, die damals noch herrschende Ansicht war, vielleicht die Art und Weise der Aufbewahrung, welche zu diesem Ausspruch leitete, der durch die neueren Untersuchungen Torrell’s, Malmgrén’s, Wallich’s brieflich widerlegt wird. Nicht nur möglich ist organisches Leben dort unten, sondern es findet sich auch in den zwei einander bedingenden Reichen, im Thier- und Pflanzenreiche, repräsentirt und das Thierreich zeigt, wenn auch gerade nicht viele Formen, so doch die wesentlichsten Typen, welche sich überhaupt im Meere finden – Krustenthiere, Krebschen als Repräsentanten der Gliederthiere – Ringelwürmer – Schnecken, Muscheln und Moosthiere als Vertreter der Weichthiere oder Mollusken; Seewalzen, Seeigel, Schlangen- und Medusensterne als Darsteller des Typus der Stachelhäuter; Kalk- und Rindenkorallen als Verkünder der beiden Richtungen, die in den Polypen vertreten sind, und endlich Wurzelfüßer und Schwämme als untersten Anfang thierischen Lebens.

Das organische Leben breitet sich also vollwichtig in der blauen Tiefe über den Meeresgrund aus, und seine wichtigsten Träger sind mikroskopische Pflanzen und Thierchen, die in ungeheueren Massen den Grund bedecken. Das ist aber ein wichtiger Unterschied von dem Leben in freier Luft und von der Verbreitung der Organismen in die Höhen hinauf. Auf den vereisten, schneebedeckten Kuppen der höchsten Berge erstirbt alles organische Leben, weil es dort die nöthige Wärme nicht findet, die zu seiner Entfaltung nöthig ist; in der blauen Tiefe herrscht noch immer, selbst in den höchsten Polarzonen, ein Grad von Wärme, der eine üppige Entfaltung des organischen Lebens gestattet. Ja es scheint, als ob gerade in den Polarzonen der Höhengrad des thierischen Lebens nicht, wie in den gemäßigten und heißen Zonen, an der Oberfläche und deren unmittelbarer Nähe sich finde, sondern im Gegentheile in die blaue Tiefe sich zurückziehe, wo es größere und stetigere Wärme findet, als an der Oberfläche. Wenigstens sind die Schleppnetz-Fischereien in größeren Tiefen und die Sondirungen in blauer Tiefe stets weit ergiebiger in den nördlichen Breiten gewesen, als in den wärmeren Meeren.

Dann aber scheint es mir von besonderer Wichtigkeit, daß Pflanzen- und Thierleben gleichmäßig in der blauen Tiefe entwickelt ist. Die Wurzelfüßer (Fig. 7) sind an vielen Stellen, wie auf dem Telegraphenplateau, in so ungeheuren Mengen angehäuft, daß sie

Fig. 7. Formen von Wurzelfüßerschalen aus großer Tiefe.

über diese weite Strecke eine bedeutende Schicht bilden. Millionen dieser niedlichen Schälchen, zu welchen die erwähnten Globigerinen gehören und von denen wir noch einige Arten abbilden, um den Reichthum ihrer Formen zu zeigen, sind nöthig, um einen Kubikzoll fester Masse zu bilden – die Mengen, deren es zur Herstellung solcher Schichten von zehn und mehr Fuß Mächtigkeit bedarf, lassen sich in Zahlen nicht mehr ausdrücken. Aber diese Wurzelfüßer, welche mit ihrer geschmeidigen, aus einfacher, körniger Schleimsubstanz sich entwickelnden Fortsätzen sich langsam fortbewegen, umspinnen oder umgießen damit auch gleichsam ihre Nahrung, deren lösliche Theile in den Körnerstrom der Fortsätze aufgenommen und so dem Körper zugeführt werden. Sie fressen sich so zwar auch untereinander auf – die Großen fressen die Kleinen, wie dies überall in der Welt Sitte ist – aber ein solcher einfacher Kreislauf des thierischen Stoffes ist nicht wohl denkbar – es gehört die Thätigkeit der Pflanze dazu, um aus den unorganischen Stoffen die ersten organischen Verbindungen zu entwickeln.

Fig. 8. Formen von Diatomeen aus großer Tiefe.

Dafür sorgen die Bacillarien oder Diatomeen (Fig. 8), mikroskopische Organismen mit organischem Inhalte und harter Kieselschale, die auf der Grenze beider Reiche zwischen Pflanze und Thier inne zu stehen scheinen, aber doch in allen ihren Lebensbedingungen, in ihrer Bewegungslosigkeit, ihrer Entstehung innerhalb zellenartiger Schläuche, ihrer Vermehrung durch freiwillige Theilung sich den Pflanzen anreihen. Mit den Wurzelfüßern zusammen und fast in gleicher Menge, wie diese, wenigstens an einigen Stellen aufgehäuft, bilden diese Bacillarien eben so ungeheure Anhäufungen wie die Wurzelfüßer selbst oder nehmen in gewisser Proportion Theil daran.

Ein wichtiges Moment für die Erdbildung liegt in dieser einfachen Thatsache. Die beiden mineralischen Stoffe, welche den größten Antheil an der Bildung der festen Erdmasse nehmen, sind einestheils der kohlensaure Kalk, anderntheils die Kieselerde. Beide fehlen kaum in irgend einem Gestein; beide bilden für sich allein große Gebirge und weite Länderstrecken. Die Thiere, welche alle, mit geringen Ausnahmen unter den Schwämmen, sich Gerüste und Schalen aus kohlensaurem Kalke bauen, sind in geologischer Hinsicht Filtrirmaschinen, bestimmt, diesen Kalk aus dem Meerwasser abzusondern – den mikroskopischen Pflänzchen ist im Gegentheile die Aufgabe zugefallen, die Kieselerde aus dem Wasser abzuscheiden. Beide Stoffe sind in so geringer Quantität in dem Meerwasser vorhanden, daß sie erst bei sehr bedeutender Abdampfung und Verdichtung sich niederschlagen würden; Kalkschichten und Kieselschichten würden sich bei einer gewissen Austrocknung eines Meeresbeckens erst kurz vor der Salzkruste bilden, welche zuletzt sich absetzte, wenn die chemischen Eigenschaften der mineralischen Processe allein in Frage kämen. Die organische Thätigkeit tritt hier aber vermittelnd ein und bewirkt, daß Kalk und Kiesel unaufhörlich eben so gut an den Küsten, wie in der größten Tiefe abgeschieden und so beständig neue Schichten aus der vom Lande herkommenden Zufuhr fester Stoffe gebildet werden. In Beziehung auf diese Stoffe selbst aber scheint die Thätigkeit der beiden Reiche in der blauen Tiefe streng getrennt – das Thier zieht den kohlensauren Kalk, die Pflanze den Kiesel an.

Fig. 9. Ausgehöhlte Feilenmuschel.

Es giebt, wie wir gesehen haben, Thiere, welche fast alle Tiefenzonen des Meeres bewohnen – die Deckel-Kammmuschel ist davon ein sprechender Zeuge. Es giebt aber auch viele Thiere, welche nur gewisse Tiefenzonen bewohnen, so gut, wie das Kameel nicht auf hohen Bergen und das Rennthier nicht in der heißen Ebene fortkommen kann. Schalen aus solcher Tiefe, die man in höheren Regionen findet, geben davon Zeugniß, daß das Meer früher an dem Orte eine weit größere Tiefe besessen, daß es entweder seinen Stand verändert, oder das Land sich erhoben habe. Die oben erwähnte Augenkoralle findet sich an den norwegischen Küsten vom Hardangerfjord an nördlich, um Grönland und Island, aber immer nur in blauer Tiefe von wenigstens 200–300 Faden (12–1800 Fuß). Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_711.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)