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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Arbeit, einen weißen Seidenhut mit sämmtlichen Landesfarben der Welt, und einen orangegelben chinesischen Shawl. Die junge Dame aber, die sie bei sich hat, ein junges Ding von noch kaum siebenzehn Jahren, voll und schlank gebaut, nur von Rabenschwärze und mit etwas zu sehr aufgeworfenen Lippen, aber prachtvollen Zähnen und ein paar wahren Gluthaugen, geht ebenfalls weiß gekleidet und noch dazu höchst kokett mit weißen Rosen in dem wulstigen Wollhaar, das in unzählige kleine Zöpfe geflochten ist.

Ihnen begegnet ein junger Stutzer – ebenfalls „couleurt.“ Er war Steward in einem der ersten Hôtels Philadelphias und ist jetzt nach New-York gekommen, um hier ein „Engagement“ zu suchen. Er geht à quatre épingles gekleidet, ordentlich carrikirt modern, mit hellblauer, kaum fingerbreiter Cravatte, veilchenblauen Glacéhandschuhen, Glanzstiefeln, großcarrirten, sehr engen Pantalons, hellblauem Frack mit gelben Knöpfen, weißer, gestickter Weste, Tuchnadel, Hemdknöpfen, Uhrkette und Berloques, kurz mit Schmuck behangen, wie ihn bei uns nur ein jüdischer Weinreisender trägt. Ein kleines Rohrstöckchen mit Elfenbeingriff, ein gekrümmtes Knie vorstellend, hält er an die dicken Lippen und betrachtet musternd die ihm Begegnenden. Da fällt sein Blick auf das ungleiche Paar.

„By Golly!“ ruft er entzückt aus, „Missus Nelson and the lovely blossom Miss Sarah Mary!“ (Madame Nelson und die liebliche Blüthe Fräulein Sarah Mary)

„Oh, Looord a Massy,“ sagte die alte würdige Dame mit einem tiefen Grundbaß, indem sie erstaunt mitten im Weg stehen bleibt und beide Hände – von denen die eine den Sonnenschirm, die andere den „Strickbeutel“ hält, erstaunt emporhebt, „Mr. Brown in New-York.“ Die junge Dame lächelt verschämt und zeigt zwei Reihen wundervoller Zähne und ein paar verführerische Grübchen in den Backen. Mr. Brown ist ganz befangen von der aufgeblühten Knospe, die er seit Jahren nicht gesehen. Er behält den Hut in der Hand.

„Bitte, bedecken Sie sich, Mr. Brown,“ sagte die Dame, „Gemmen always do.“ (Die Herren thuen das immer.)

Mr. Brown gehorcht, aber noch immer wie in einem Traum. Dabei vergißt er die für Einen seiner Race stets nöthige Aufmerksamkeit in der Straße.

Ein junger Patricier kommt des Weges; er ist elegant, aber nachlässig gekleidet, sein Gesicht sieht verlebt und unzufrieden aus. Er scheint nicht besonders guter Laune; seine Stirn ist in Falten gezogen: plötzlich stößt er gegen den ent- und verzückten Mr. Brown aus Philadelphia an.

„Kannst Du nicht aus dem Weg gehen, verdammter Nigger!“ und ein Faustschlag schleudert den Unglücklichen aus seinem Himmel und von dem Trottoir hinab, daß ihm der Hut vom Kopf und der Stock mit dem Elfenbeinknie aus der Hand fällt.

„Looord a Massy,“ haucht die alte würdige Dame wieder in tiefer Entrüstung, aber mit nur halblauter Stimme, und der unglückliche Mr. Brown wagt gar keine Entgegnung und hebt nur bestürzt seine Habseligkeiten wieder auf. Er weiß recht gut, daß alle Weißen in Sicht bei der geringsten Widersetzlichkeit über ihn herfallen und ihn mit Händen und Füßen mißhandeln würden. Klagen? bei wem?

„No dammage done“ (kein Schaden verursacht), lacht ein Irländer, der gerade sehr vergnügt mit seiner „dray“ oder seinem Karren vorüberfährt.

Es waren das tägliche Scenen in New-York und sind es vielleicht noch, denn das Volk, was auch die Regierung für Gesetze erläßt, wird sich schwer daran gewöhnen können, dem „Nigger“ eine Gleichberechtigung mit sich selber zuzugestehen.

Dadurch bleiben sie auf sich selber angewiesen – eine verachtete Classe in einer ihnen fremden Welt, selbst wenn sie sich, wie das gar nicht etwa selten geschieht, zu Wohlstand und selbst Reichthum hinaufarbeiten.

So besuchte ich einst das Haus eines alten, sehr reichen Mulatten, der am False River in Louisiana eine große Plantage und selbst viele Sclaven hatte. Ich wollte einen von diesen von ihm miethen und wurde von der chamber maid oder dem „Kammermädchen“, das mir die Thüre öffnete, in das untere, hohe und luftige „Parlour“ gewiesen.

Welch ein Unterschied: die Stammesgenossen des alten Herrn wohnten da draußen in kleinen, dürftigen Negerhütten, ihre Kleidung war ein weißbaumwollener Kittel, ihre Nahrung die gewöhnliche Negerkost: Speck und Syrup – und hier?

Das Zimmer war mit einer rothen, geschmackvollen Tapete ausgeschlagen. Gepolsterte Divans und Fauteuils standen darin umher und Mahagonymeubles. An den Wänden hingen – allerdings nicht gerade von den ersten Künstlern gemalte – Bilder alter, würdiger Herren und Damen aus der Familie, mit schwarzbraunen Gesichtern und Wulstlippen, aber in höchstem Staat und Glanz – es schien der Ahnensaal zu sein – und auf dem einen Divan und in dem einen Fauteuil lehnten zwei gelbbraune Damen von etwa zwei- und sechsundzwanzig Jahren in einem sehr losen, aber sehr sauberen Morgenanzug – die erhitzten Gesichter komischer Weise dicht mit weißem Puder bestreut, um die transpirirte Feuchtigkeit abzutrocknen. Sie empfingen mich aber mit Grazie, und der alte Herr, der bald darauf eintrat, machte das Geschäft mit mir in wenigen Minuten ab.

Es war ein Mann von – wie man ihn dort taxirte – etwa hunderttausend Dollars Vermögen, aber dennoch durfte er nicht wagen, sich in irgend einem Hôtel mit an den Tisch zu setzen, oder – wenn er einmal das Dampfboot nach New-Orleans benutzen wollte – auf diesem in der Cajüte zu fahren. Er mußte im Zwischendeck bleiben, wohin die „Niggers“ gehörten.

Wie wunderbar ist überhaupt die ganze Race über den Erdboden zerstreut! In der Heimath, unter ihren kleinen Fürsten, deren Geldgier die Weißen erregt haben, geknechtet, gehetzt, eingefangen und an die Fremden verkauft, arbeiten sie in einigen Ländern unter der Peitsche ihres Aufsehers, während sie in anderen, der eigenen Heimath entfremdet, als unabhängige Menschen leben dürfen – und wie benutzen sie diese Freiheit?

Der Stamm Israels, auf ganz ähnliche Weise in der Welt zerstreut ist, macht einen anderen Gebrauch davon. Er weiß, daß er nie durch sich selbst, nur durch den Erwerb herrschen kann, und wirft seine ganzen Fähigkeiten auf diesen Zweig. Der Neger nicht. Er hat keinen Sinn, kein Geschick für den Handel, und was er sich verdient, geschieht mit schwerer Arbeit oder eisernem Fleiß. Allerdings haben wir einige Ausnahmen, wie z. B. Ira Aldridge und einige Wenige, die sich wirklich der Kunst gewidmet, aber sie stehen viel zu vereinzelt da, um auch nur zu zählen.

Wo wir in Europa Neger oder ihre Abkömmlinge zu sehen bekommen, sind es entweder in Livrée gesteckte herrschaftliche Diener, Kunstreiter, oder Gesindel, das sich auf den Messen und Märkten herumtreibt, um dort entweder die große Trommel zu schlagen oder sich als Indianer in den Buden für Geld sehen zu lassen.

Der Neger lernt dabei leicht eine fremde Sprache, aber nie rein, und besonders scheint ihn der Buchstabe r darin zu stören, während dagegen die Indianerstämme, z. B. die australischen Schwarzen, ein ganz merkwürdiges Gehör für einen fremden Klang haben und vorgesprochene Sätze auf das Genaueste nachsprechen.

Vollkommen ungerecht wäre es aber, dem Stamm der Neger, wenn sie bis jetzt auch noch nicht gerade viel darin geleistet haben, alle geistigen Fähigkeiten abzusprechen, denn wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir immer annehmen, wie wenig Gelegenheit ihnen bis jetzt geboten wurde, sich zu entwickeln. Selbst wo man sie freigegeben hat, hörten sie nie auf, einen untergeordneten Stamm zu bilden, und wo man ihnen wirklich ein eigenes und freies Terrain anwies, um einen eigenen und selbstständigen Staat dort zu bilden, oder wo sie sich das selber nahmen, wie in der Negercolonie in Liberia oder auf Haiti, war es immer nur wieder ein heißes, tropisches Land, das sie bewohnten und das nun einmal einer jeden geistigen Entwicklung hinderlich ist und Geist und Körper erschlafft. Selbst der Europäer, so lange er nicht seinen in einer gemäßigten Zone gestärkten Körper mit in ein heißes Land bringt, fühlt sich dort am wenigsten zu geistigen Arbeiten angeregt, wie können wir es da von dem Neger verlangen?

Freieren Spielraum bekommen sie jetzt allerdings in den nordamerikanischen Staaten, aber sie werden immer und ewig ein verachteter Stamm bleiben, unbequem durch ihre Masse, aber deshalb nur noch mehr gehaßt, und wenn man nicht ein Mittel findet sie zu Hunderttausenden aus dem Lande zu schaffen, so kann gerade das Anwachsen des Negerstammes, inmitten der weißen Bevölkerung, später noch einmal zu schweren und blutigen Conflicten führen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_698.jpg&oldid=- (Version vom 6.11.2022)