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vollendeten Tyrannen vorführen. Und unmöglich ist der Gräuel keineswegs; erinnern wir uns, daß Peter auch seine rechtmäßige Frau Awdotja allerhöchsteigenhändig geknutet hat. Der Jähzorn dieses Mannes hat häufig genug seine menschlichen Züge in’s Bestialische verzerrt. Mag er aber auch von der Beschuldigung, des Sohnes Knutung selber vollzogen zu haben, vielleicht freizusprechen sein: daß der Prinz nach über ihn gefälltem Todesspruch wirklich noch „torquirt“, d. h. geknutet wurde, ist nicht zu bestreiten. Der bis zur Raserei erhitzte Argwohn des Czaren war mit den erlangten Resultaten der Procedur nicht zufrieden, und es sollten dem unglücklichen Alexei noch mehr Geständnisse, noch mehr Namen von Mitschuldigen entrissen, d. h. entknutet werden.

Am Abend des 8. Juli, also einen Tag nach Fällung des Todesurtheils verstarb der Czarewitsch an einem – Schlagfluß, der ja, wie weltbekannt, in russischen Czarenpalästen als ein gar häufig angerufener und allzeit dienstgefälliger Nothhelfer zu erscheinen pflegt. Die amtliche Hofchronik läßt dem Tode des Prinzen noch eine rührende Scene vollständiger Aussöhnung mit seinem Vater vorangehen, wie das nur einer wohlbeflissenen Hofhistoriographie Pflicht und Schuldigkeit. Die nichtamtlichen Berichte über Alexei’s Tod geben von dem „Schlagfluß“ verschiedene Definitionen. Eine derselben sagt aus, ein Schlagfluß habe allerdings stattgehabt, aber in Folge eines von dem Apotheker Bär bereiteten und dem Prinzen gewaltsam eingenöthigten Gifttranks. Eine zweite will, der Schlagfluß sei eigentlich ein Beil gewesen, das Beil, womit der General Adam Weide auf Befehl und im Beisein des Czaren dem Czarewitsch im Gefängniß heimlich den Kopf abgeschlagen habe. Eine dritte vergräßlicht das Gräßliche, indem sie das Richtbeil dem Vater des damit Gerichteten in die eigenen Hände legt.

Es ist aber zur Ehre der menschlichen Natur und zur Steuer geschichtlicher Wahrheit zu sagen, daß eine heimliche Hinrichtung des Prinzen gar nicht stattgefunden hat und daß eine öffentliche – welche zu veranstalten Peter, der ja den Sohn auch öffentlich hatte richten und verurtheilen lassen, wohl der Mann gewesen wäre – nicht stattzufinden brauchte, weil Alexei, schon durch den über ihn ergangenen Todesspruch furchtbar erschüttert, an der am 8. Juli drei Mal an ihm vollzogenen Knutungstortur gestorben ist. Mit diesem Ergebniß einer vorsichtigen Ausschöpfung aller zugänglichen Quellen stimmt auch die Ansicht solcher Russen überein, welche, wie z. B. der Fürst Peter Dolgorukow, von der nichtofficiellen, d. h. wirklichen, Geschichte ihres Landes am meisten wissen. –

6. „O Absalom! Mein Sohn Absalom!“

Schon am 9. Juli war der Leichnam des Czarewitsch in der Dreifaltigkeitskirche öffentlich ausgestellt. Zwei Tage darauf ging mit gebührendem Pomp die Bestattung vor sich. Der Czar wohnte als erster Leidtragender der Ceremonie an. Die gehaltene Grabrede hatte zum Text die Stelle aus dem zweiten Buch Samuels: „Da ward der König David traurig und ging hinauf in den Saal über dem Thore und weinete und sprach im Gehen: ‚O Absalom, mein Sohn Absalom, wäre ich doch statt Deiner gestorben!‘“ Als diese Worte verlesen wurden, brach der Czar in Schluchzen aus und sein Antlitz schwamm in Thränen.

Wer wird den Muth, wer die Frechheit haben, diese Thränen erheuchelte zu schelten? Der Orkan hatte ausgetobt, das Gewitter sich entladen und aus dem in Berserkerwuth rasenden Czaren war ein armer, schwacher, leidender Mensch geworden, dem sich wie ein glühendes Eisen das Gefühl in die Seele bohrte: Der dem Verderben Geweihte war doch Dein Kind, war doch Blut von Deinem Blute und Fleisch von Deinem Fleische! … Es giebt Ewig-Menschliches, an welchem als an einem Felsen von Diamant alle scheinbaren nicht nur, sondern auch alle wirklichen Gründe und Nöthigungen der „Staatsraison“ wie Glas zersplittern.

Fast sollte man meinen, Peter habe seinen Vaterschmerz in Blut ertränken wollen. Denn auch nach dem Tode des Czarewitsch ging das Strafgericht fort. Als Mitschuldige Alexei’s wurden enthauptet sein Haushofmeister Iwan Affanaßjew, ferner Fedor Dubrowski, Jakow Pustinoi und Abraham Lapuchin, der Bruder Awdotja’s. Der Fürst Scherbatow erhielt die Knute und wurden ihm Nase und Zunge ab- und ausgeschnitten. Andere Verurtheilte gingen in die Verbannung. Nie hat Peter zugestanden, daß er dem Sohn Unrecht gethan. Noch im Jahre 1722 sprach er in einem öffentlichen Erlasse von „der absalomischen Bosheit seines Sohnes Alexei“. In demselben Edict that er in Beziehung auf die Thronnachfolge die sehr richtige Aeußerung: „Das Erstgeburtsrecht ist eine absurde Gewohnheit.“ Seinem Enkel Peter war er zugethan; aber er wagte nicht recht, diese Zuneigung sehen zu lassen, sei es aus Besorgniß für das Kind, sei es aus Besorgniß für sich selber.

Denn die letzten Jahre des gewaltigen Mannes waren durch finsteres und nicht grundloses Mißtrauen gegen die Menschen verdüstert, auf welche er sich doch hauptsächlich stützen und verlassen mußte, gegen Katharina und ihren Anhang. Zwar ließ er im Mai 1724 Katharina feierlich zu Moskau als Czarin krönen; allein er argwohnte doch, und zwar nicht ohne Grund, daß die also von der niedersten Sprosse der socialen Leiter durch ihn zur höchsten Erhobene ihm nicht einmal als Frau getreu sei. Freilich, seine eigene brutale und unzählige Male wiederholte Untreue konnte die ihrige wohl herausfordern, und, seltsam zu sagen, der grimme Czar scheint zuletzt die ehemalige Leibeigene ordentlich gefürchtet oder wenigstens für ganz unentbehrlich gehalten zu haben. Sonst ließe sich sein Verhalten und Verfahren in der Mons’schen Sache kaum erklären.

Das war auch wieder so eine echtrussische Hof- und Staatsaction von damals. Es ging ein sehr hörbares Geraune und Gezischel um, daß Herr Mons de la Croix, erster Kammerherr Katharina’s, seiner Herrin etwas näher gekommen sei, als der Respect vor einer gekrönten Czarin gestattete, und seine Schwester, die verwittwete Generalin von Balk, sei die Gelegenheitsmacherin. Peter soll dann seine Frau mit Herrn Mons Nachts in einer Laube überrascht und die Czarin auf der Stelle abgestraft, d. h. tüchtig durchgeprügelt haben. Wahrscheinlicher ist, daß er, wie erzählt wird, als Katharina, die natürlich Alles leugnete, für Mons und dessen Schwester eine Fürbitte einlegte, die Czarin vor einen prachtvollen venetianischen Spiegel führte und bedeutsam sagte: „Sieh, das war früher nur ein verächtlicher Stoff. Das Feuer hat ihn veredelt und jetzt ist er ein Schmuck des Palastes; aber ein Schlag meiner Hand kann ihn seinem ursprünglichen Zustande wieder nahe bringen.“ Damit zerschlug er den Spiegel. Aber Katharina sagte gefaßt und ruhig: „War diese Zerstörung eine Ihrer würdige That und ist Ihr Palast dadurch schöner geworden?“ Der Kammerherr und seine Schwester wurden verhaftet und „wegen Bestechlichkeit und Veruntreuung czarischer Gelder“ processirt. Die Generalin erhielt die Knute und wurde nach Tobolsk verbannt, Mons aber ward enthauptet und sein Leichnam auf’s Rad geflochten. Etliche Tage nach der Hinrichtung sei der Czar mit der Czarin absichtlich dicht am Hochgerichte vorübergefahren. Katharina habe die grausen Ueberreste des hingerichteten Lieblings angesehen und mit vollkommener Selbstbeherrschung gesagt: „Es ist doch ein Jammer, daß unter den Hofleuten so viele Bestechlichkeit herrscht!“

Sie hatte nach dieser schrecklichen Probe nicht mehr lange zu warten, bis sie regierende Czarin und Selbstherrscherin wurde. Am 8. Februar 1725 starb der große Czar und zwar, wie nicht vertuscht werden soll, in Folge seiner unbezähmbaren Sinnlichkeit eines unsauberen Todes … Carl Immermann, der einzige Dichter, welcher dem Manne poetisch gerecht zu werden verstand, weil er denselben (in seiner Trilogie „Alexis“) mit [William Shakespeare|Shakespeare]]’schem Maßstab zu messen wußte, hat der Bitterkeit, welche Peter’s letzte Tage und Stunden erfüllte, kräftigen Ausdruck verliehen, indem er dem Sterbenden die Worte in den Mund legte:

„Nicht sterben können! Endige! Schon klingt Geräusch
Arbeitenden Verwesens. Bei dem Werke sind
Geschäftig-laut die Würmer. Meine Zunge quält
Ein salzig-fauliger Geschmack, als läge drauf
Der Welt Gemeinheit …“



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