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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mehr gegen die Höhe des Himmels als gegen seinen Rand hin erstreckt. Auf die mächtigen Ahorne, welche in dieser Mulde stehen, fielen schwache Lichter; schon vergilbten ihre Blätter, einige hingen purpurroth an den wuchtigen Aesten. Die ganze Gegend lag in jener seltsamen, dämonischen Beleuchtung, wie sie oft einem stürmischen Tage vorangeht. Die Zacken hatten die grellsten Umrisse; wo nicht schroff das Licht auffiel, war schwarze Nacht, der Schnee schien flüssiges Gold. Der höchste Glanz und unbegreifliche Dunkelheit grenzten haarscharf aneinander.

Bald hatte ich das Wirthshaus erreicht und saß im Gespräch mit Jägern. Man sprach von den Bergen und der größeren oder geringeren Mühe ihrer Ersteigung. Ein Watzmann, dessen Gipfel neuntausend Fuß hoch in’s Flachland hinausschaut, wird da gar nicht genannt, weil sein Rücken gemach ansteigt und man weder Steigeisen, noch Stricke und Leitern bedarf, um die hohe Zinke zu erklimmen. Ein Bergrücken aber, der dem Wanderer diese Dinge nicht zur Nothwendigkeit macht, kommt bei Erwähnung anstrengender Touren nie in Betracht, er möge so hoch sein, wie er wolle. Dagegen waren Alle darin einig, daß den Hochkaltern zu besteigen nicht Jedermanns Sache sei. Forstgehülfe Graßl, der diesen an Abgründen und Schrecken reichen Berg wie kein Anderer kennt, meinte sogar, es dürften es wohl die Allermeisten bleiben lassen, bis zum Signalgrat hinaufzuklettern. Wenn es auch kaum solche Wände giebt, wie die an der bekannten Zugspitz, an denen sich der Grainauer Forstwart herabließ, so ist doch die Möglichkeit auf’s Blaueis oder in tiefe Klüfte hinabzustürzen keine geringe. Der Forstgehülfe sprach noch aus frischer Erinnerung, denn er hatte erst diesen Nachmittag weit oben, in der Richtung gegen die Hocheisspitz zu, einen Hirsch geschossen. Ausgeweidet hatte er ihn gleich und auch das „Unschlitt“ mit herabgebracht, aber droben lag er noch, der schwere Zehnender.

„Der Jack muß ihn morgen herunterholen,“ sagte der Forstgehilfe.

Jack saß am Ofen. Er trug eine graue Joppe, Hosen von grobem Segeltuch mit einem Zwickel unter dem Knie und lange Strümpfe, welche weiß sein sollten. Er nahm die Botschaft mit der größten Freude auf.

„Der Andrädl muß auch mit,“ setzte er lakonisch hinzu.

Darauf verzehrten sie eine Suppe. Diese wurde in einer ungeheuern Schüssel aufgetragen und enthielt Verschiedenes, was gewiß nicht in Kochbüchern steht. Jack und Andrädl, der eben so gekleidet war, wie ersterer, legten sich sodann auf die Bank und tranken, wahrscheinlich schon auf den morgigen außerordentlichen Verdienst hin, ein paar große Gläser Enzianbranntwein.

Ich war mit dem Forstwart allein. Das Licht brannte trüber und trüber, in mir stieg aber immer gewaltsamer der Wunsch auf, mich bei der Abholung des Hirsches auf der schroffen Schneide zu betheiligen. „Es sind zwar gute sechs Stunden hinauf,“ meinte Graßl, „aber es bleibt Ihnen unbenommen, mit zu gehen, wenn Sie’s aushalten.“ Ich dankte ihm und zog mich zeitig zurück, um Kraft für einen Gang zu bekommen, der für Jack und Andrädl vielleicht ein Spaß, für jedes andere Fußwerk aber, als das eines Holzknechtes oder Jägers, jedenfalls eine Anstrengung sein mußte.

Der frühe Morgen zog wirklich so von den Wänden des Göhl herüber, wie ich mir es vorausgedacht hatte. Im Thale lag graue Trübe und in einer Höhe von wenigen Tausend Fuß versteckten dichte Wolkenbänke die Gipfel der Berge. Es war eine unerquickliche, feuchte Frühkühle. Auf dem Hintersee trieben sich Nebel herum, zwischen denen hier und da eine schwarze Welle hervorlugte.

„Es wird grob Wetter,“ sagten die Knechte, die schon lange in Bereitschaft standen. Die zwei Bursche sahen aus wie die ausgezeichnetsten Wildschützen, welche mir je in den Bergen vorgekommen sind. Voll Feuer, Kraft und Muth in den Augen, mit Muskeln wie Stahlfedern und einer Kenntniß der hohen Wildnisse, wie eine Alpendohle oder ein Jochgeier, konnte es ihnen nicht fehlen, wenn sie dem gefährlichen Gewerbe obliegen wollten. Ich machte Graßl meine Bemerkungen darüber, der aber sagte:

„Das sind Holzknechte bei uns und haben ihren ständigen Verdienst. So wie sie in Verdacht der Wilddieberei kommen, gleichviel ob begründet oder unbegründet, werden sie augenblicklich von der Arbeit entlassen. Das fürchten sie, denn sie können sich dann lange Zeit vergebens nach einer andern umsehen. An ihrer Lust zum Wildern aber zweifle ich keineswegs. So wird nicht leicht einer von unsern Leuten Wildschütz, allein aus dem Pinzgau kommen sie herüber. Denn drüben steht keine Gemse und kein Hirsch mehr, während bei uns Alles davon wimmelt.“

Unterdessen hatten die Knechte einen Schlitten beigebracht.

„Wir müssen doch nicht über Schnee? fragte ich, etwas angefröstelt.

„Nein,“ antwortete Graßl. „Die Zwei ziehen oder tragen den Schlitten so weit wie möglich, bis es einmal so steil hergeht, daß sie ihn stehen lassen müssen. Es zieht sich der Hirsch doch immer noch leichter auf dem Schlitten, wenn es gleich über Steine und Geröll geht, als er sich auf den Schultern trägt.“

Der Gebrauch des Schlittens Jahr aus Jahr ein ist im Berchtesgadener Lande überhaupt nichts Ungewöhnliches. Wie sollten die Bauern, welche in hochgelegenen Höfen, fast an der Grenze des Felsens, im sogenannten „Mittelgebirg“ wohnen, ihre Lasten auf und ab bewegen? Der einzige Weg zu ihnen hinauf ist ein Gangsteig oder Viehtrieb, bei dessen bloßem Anblick jeder Gedanke an die Möglichkeit eines Wagens oder an die Möglichkeit, eine schwere Bürde auf den Schultern hinaufzutragen, schwindet. Ich begegnete einmal im Juli, als ich in einem feuchten steinigen Hohlgrund eine jähe Höhe hinanschritt, einem solchen Erdschlitten; er trug eine Leiche. Hinterher gingen eine Menge Leute von den umliegenden Alpenhöfen, laut für die Ruhe des Dahingeschiedenen betend. Dieses Bild frischte in mir der Anblick des Schlittens, auf welchem man den getödteten Hirsch herabholen wollte, lebendig wieder auf, und ich kann nicht sagen, daß es zur Vermehrung der heiteren Eindrücke dieses Morgens beitrug.

So setzten wir uns denn – der Forstgehülfe, Jack, Andrädl und ich – in Bewegung. Es dauerte nicht lange und das Steigen begann. Ueber Steine und vielfach verästelte Wurzeln der Nadelbäume ging es mühsam aufwärts. Nachdem wir eine gewisse Höhe erreicht hatten und das Ramsauer Thal, die Rabenau, tief unter uns sahen, der Klausbach nur noch am Rauschen kenntlich war und der Hintersee blaß zwischen hohen Wipfeln heraufdämmerte, trennten wir uns. Die Knechte zogen den Schlitten über den Reitsteig weiter, der mit vieler Mühe bis in’s Ofenthal, ein felsiges Plateau, angelegt wurde. Es kann nur einem König einfallen, hier reiten zu wollen. Der verstorbene König von Baiern, ein leidenschaftlicher Gemsenjäger, ließ sich zu seiner Bequemlichkeit an und auf vielen Bergen des Hochlandes solche Steige ebenen, wobei mancher der Arbeiter beim Sprengen oder durch anderes Unglück sein Leben verlor. Freilich sind sie auch für den Alpenpilger eine gewünschte Hülfe, und manche Berge, wie z. B. der Kramer bei Garmisch unweit Partenkirchen, sind dadurch eigentlich erst zugänglich geworden.

Wir aber hielten uns auf dem „Jagersteigl“, das sich links am steilen Gewänd hinzieht. Die Wände links und die Abgründe rechts begannen schon in gewaltigen Verhältnissen aufzutreten, und oft blieb den Füßen nur ein schmaler Raum, um sich zwischen beiden hindurch zu winden. Hier und da half uns eine Eibe mit ihren Nadelklumpen; an diesen Wänden ist einer der wenigen Standorte, an welchen dieser merkwürdige Baum in Südbaiern noch angetroffen wird. Wir mußten aus Vorsicht uns Schritt für Schritt an den Felsen hinantasten und hatten deshalb Muße genug, die Stämmchen näher anzusehen. Denn es sind meist nur dünne Stämmchen. Ein solches Stämmchen von neun Zoll Durchmesser kann aber an dreihundert Jahre alt sein; es giebt wohl keinen Baum, der langsamer wächst.

An einem Quell, der aus dem Kalkgeklüft hervorrieselt, ruhten wir, bereits durstig geworden, ein wenig aus und betrachteten, was bei dem Nebel zu sehen war. Hinter uns war eine wüste aufgeriebene Furche in den Berg eingerissen; der aufgewühlte Felsgrund sah aus wie das trockene Bett eines wilden Alpenstromes. Hier hatten vor Zeiten herabstürzende Lawinen einen Schutzwall zerschmettert und mit den tiefen Wurzeln ausgerissen. Daß er später wieder angesäet worden war, sah man an jungen Pflanzen, die an einigen Stellen aus der Verheerung hervorschauten, aber auch von diesen waren die meisten wieder von spätern Rutschungen und Schneestürzen theils ausgewühlt, theils mit Schotter überdeckt worden. Eine solche Rinne bringt dem Fremdling zuerst einen klaren Begriff von der Macht der zerstörenden Gewalten in den Alpen bei. Aber das Merkwürdige dabei bleibt, daß die hohen Gipfel dadurch an ihrer eigenen Zerstörung arbeiten. Der Schotter, die vom Wasser gewaschenen Kalktrümmer, werden herabgeschwemmt, von den Bergwassern in die Flüsse getragen, von diesen zerschlämmt

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