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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Eine künstliche Weinbereitung ist ein Unding – schon deshalb kann von ihr keine Rede sein, weil die maßgebenden Bestandtheile des Weines noch keineswegs hinreichend gekannt sind. So ist namentlich über die Bouquetstoffe des Weines so gut wie nichts bekannt, denn die Arbeiten Winkler’s darüber haben sich bei wiederholten Versuchen Anderer als ungenau herausgestellt. Es ist durch die Untersuchungen von Béchamp bewiesen worden, daß der Wein das Resultat nicht einer, sondern mehrerer Gährungen ist, und noch täglich werden neue wesentliche Bestandtheile des Weines gefunden, von denen die Herren Leuchs und Consorten sich nichts träumen lassen; ich erinnere nur an die Nachweisung von Glycerin und Bernsteinsäure im Weine von Pasteur. Nach den schönen Versuchen von A. Béchamp und Maumené über Weingährung nimmt sogar der wirkliche Most, wenn er nur filtrirt wird, ein ganz anderes, weinunähnliches Aroma an, Most aber, dem Bierhefe beigesetzt, verliert alle Eigenschaften des Traubensaftes nach der Gährung; die Anwendung der Leuchs’schen Hobelspähne scheinen die französischen Gelehrten noch nicht zu kennen.

Eine fernere Schwierigkeit, welche sich der künstlichen Weinerzeugung, selbst wenn alle nothwendigen Elemente des Weines bekannt wären, was, wie oben gezeigt, noch lange nicht der Fall ist, entgegenstellen würde, ist die, daß der Wein wie das Bier eine in beständiger Veränderung begriffene Flüssigkeit ist, welche unter günstigen Umständen in kürzerer ober längerer Zeit einen Höhepunkt der Vollkommenheit erreicht, dann aber an Güte abnimmt.

Diejenigen unserer Leser aber, welche den Leuchs’schen Reclamen einen unverdienten Glauben beizumessen für gut finden, haben wenigstens die Gelegenheit, ohne Auslegung von sechszig Thalern mit dem Hobelspähnewein ihr Glück zu versuchen. Nur müssen wir sehr darum bitten, daß diese aus Dankbarkeit dann uns nicht etwa auffordern mögen, ein Glas der Schiller’schen oder Leuchs’schen Weinparodie auf glücklichen Fortgang des Geschäftes zu trinken, denn wenn wir uns in die traurige Nothwendigkeit versetzt finden, Glaubersalz zu verschlucken, so thun wir dies doch wenigstens ohne den keinesfalls den Geschmack verbessernden Zusatz von Tannin und Schnaps.

Dr. v. B.




Blätter und Blüthen.


„Bedaure, Alles besetzt!“ Es war Herbstmesse in Frankfurt a. M. und wunderschönes Herbstwetter dazu. Ein Doppelstrom von Geschäftsleuten und Touristen aller Zungen ergoß sich über die Stadt und stieg, Alles überschwemmend, bis zu den höchsten Mansarden der Gasthöfe hinauf.

Arme Menschenkinder, die verspätet mit dem letzten Bahnzuge ankommen und nun, im sichern Hafen sich wähnend, einem gastlichen Nachtlager sich entgegenfreuen! Droschken genug, die von dem Bahnhof zur Stadt führen, aber vor allen Gasthäusern das leidige Wort: „Bedaure, Alles besetzt!“ Immer weiter fährt die müde Droschke; in dunkeln Nebengäßchen, vor den schlechtesten Herbergen bettelt der stolze Kleinbürger, den sie führt, mit verhaltenem Grimme um Einlaß, und auch hier überall abgewiesen, lenkt er endlich mit verzweifeltem Muthe die Fahrt nach den vornehmsten Hotels. Aber Alles ist vergeblich! Schon verlöschen hie und da die Lichter in den Häusern. Die trostlose Aussicht, auf dem Pflaster oder einer Bank der Promenade übernachten zu müssen, wird zum fürchterlichen Ernst.

Auf einer solchen Fahrt landet spät Abends ein Fuhrwerk vor dem *** Hofe. Eine armselige Droschke vor dem Hotel der Kaiser und Könige! Der goldbetreßte Portier, der im Thore steht, macht mit dem schweren, silbernen Knopfe seines Stabes eine vornehm abweisende Bewegung. Aber der Kutscher steigt ab und öffnet den Schlag: „Thun’s gefälligst aussteigen, ’s Thier kann nich weiter: dritthalb Stunden, drei Personen, zwei Koffer, mit Laterngeld, thut drei Gulden vierundzwanzig Kreuzer zusammen!“ Und die Insassen steigen wirklich aus: ein ansehnlicher Herr mit kurzgeschnittenem, weißem Haar und weißer Cravatte, eine stattliche Frau, ein blühendes Töchterlein, nach Accent und Wesen ehrsame Holländer.[1]

Der Portier tritt entrüstet zwei Schritte vor und ruft sein „Alles besetzt!“ Allein die Koffer werden auf’s Pflaster gesetzt. Es kommen kleine und große Kellner mit weißen Servietten unter dem Arm und schnarren ihr „Alles besetzt!“ Aber der Alte zählt gelassen aus seiner Börse Kreuzer um Kreuzer hervor und mit der entschlossenen Miene eines Feldherrn, der im Angesicht des Feindes die eigenen Schiffe hinter sich verbrennt, lohnt er die Droschke ab. In ängstlicher Verlegenheit, halb unbewußt, mustert inzwischen die Frau die prachtvollen Säulen des glänzend erleuchteten Portals, während das Töchterlein hinter einer derselben ein wunderliebliches Kinderköpfchen entdeckt und fröhlich zu ihm niederkauert, es auf die blond gelockte Stirn küßt und dem herzigen Wesen kosend einen Blumenstrauß aus den Biebericher Gärten in den Gürtel steckt.

Da naht, zur Hülfe gerufen, die höchste Autorität des Hauses, der Oberkellner selbst, und das andere Dienstvolk schweigt, während er mit nachdrucksvoller Würde spricht: „Muß wirklich sehr bedauern, mein Herr, aber wir haben in der That auch nicht ein Zimmer mehr freil“

„Ja wohl,“ dehnt der Gelassene, „das haben mir ja alle die Herren da schon genug gesagt. Sprechen wir nicht mehr davon! Aber eine Tasse Thee,“ sagt er lächelnd, „eine Tasse Thee wird ja doch wohl noch im *** Hofe zu haben sein, nicht wahr? Portier, bitte, lassen Sie mein Gepäck einstweilen im Hofe einstellen! Das Gastzimmer ist ja wohl hier rechts?“

„Zu dienen, mein Herr!“

Sie treten in das Gastzimmer. „Bitte, Kellner, drei Portionen Thee!“

Der Thee wird langsam geschlürft. Die Menge der Gäste beginnt sich zu lichten. Ein Sopha wird frei, und wie der Belagerer auf eine verlassene Schanze des Feindes, so schreitet der Holländer auf das freie Polster zu. Rechts und links in die Ecke postiren sich Mann und Frau und auf einem Sessel daneben nimmt das Töchterlein Platz. „Nun sitzet fest,“ flüstert er, „auf die Straße hinaus wird man uns nicht weisen!“ Und siegesgewiß ruft er den Kellner. „Drei Portionen Beefsteak mit Salat und eine Flasche Bordeaux, wenn ich bitten darf.“

„Sogleich, mein Herr!“

Noch immer gehen Gäste, Herren und Damen, ab und zu. Auch das schelmische Blondköpfchen schielt zur Thür herein und eine jugendliche Frauengestalt, die es an der Hand führt, wirft lächelnd einen langen Blick auf die holländische Gruppe.

Endlich ist das Abendessen verzehrt, die Flasche ausgetrunken, das Gastzimmer geleert und nur noch spärlich erleuchtet. Der Holländer zündet eben die dritte Havanna an und beginnt dieselbe Zeitung zum dritten Mal zu lesen; die Frau hat das bürgerliche Strickzeug hervorgeholt und nickt nach jeder zehnten Masche ein; das muntere Kind im Sessel aber ist schon lang entschlafen.

Der schläfrige Kellner dreht die vorletzte Gaslampe zu. „Bitte, geniren Sie sich nicht,“ sagt der Alte, „löschen Sie auch die letzte aus!“

Da tritt ein zweiter Kellner ein: „Ein Zimmer mit Cabinet, mein Herr, wenn Ihnen gefällig ist?“

Der Kellner leuchtet vor, öffnet eine Treppe hoch ein Zimmer, setzt die siibernen Armleuchter auf den Tisch: „Noch Etwas zu befehlen, mein Herr?“

„Morgen um acht Uhr Chocolade im Gastzimmer und um neun Uhr eine Droschke nach dem Main-Neckar-Bahnhof,“ befiehlt der Herr in vornehm gestimmtem Ton.

Die Erlösten sehen sich um in dem Asyl, das sie so unerwartet gefunden. „Ein wahres Königszimmer,“ sagt der Alte, „wahrhaftig Oelgemälde aus bester Schule, Statuetten vom reinsten Marmor, prachtvolle exotische Gewächse und Meubles, so geschmackvoll, wie im Schlosse von Laeken!“

„Und die kostbaren Albums hier auf dem Tische,“ ruft das Töchterlein, „die allerliebsten Nippsachen, die schweren, seidenen Vorhänge, die Teppiche, ach, und seht nur hier heraus, das reizende Cabinet!“

„Ja, ja, ein wahres Königszimmer,“ seufzt die Mutter, „und wird auch schon die Zeche darnach sein! Weißt Du nicht, wie unser Präsident uns gewarnt hat? Auf zwei Nächte und einen Tag hat er für sich mit Frau und Zofe zweiundneunzig Gulden zahlen müssen und hat gewiß nicht so prachtvoll gewohnt!“

„Immer besser, als auf der Straße campiren,“ sagt der Alte, „wollen froh sein, daß meine List gelungen ist! Laßt uns zu Bett gehen! Wir werden gut schlafen!“

Und sie schlafen vortrefflich und die Chocolade, die sie am nächsten Morgen im Gastzimmer einnehmen, ist köstlich. Das Töchterlein mustert neugierig die Zeil, auf der die glänzenden Läden sich öffnen, und die sorgliche Mutter berechnet gutachtlich im Stillen die Zeche. Bis zu etwa einunddreißig Gulden hat sie es gebracht und strickt seufzend mit erneuter Energie, als ob sie die Rechnung noch schnell abverdienen wollte. Da dehnt endlich der Alte das schwere Wort heraus: „Bitte, Kellner, die Rechnung!“

„Drei Gulden sechsunddreißig Kreuzer, mein Herr!“

„Bitte, wie viel?“ fragt der Holländer zweifelnd.

„Drei Gulden sechsunddreißig Kreuzer, mein Herr!“

Der Holländer öffnet seine Börse und schließt sie wieder. Er nimmt aus seiner Tabatière eine gewaltige Prise und schlürft sie mit lauten Zügen ein, stäubt mit dem seidenen Taschentuche die entfallenen Körnchen säuberlich vom blüthenweißen Hemde ab und spricht endlich lächelnd mit dem Selbstbewußtsein eines ehrlichen Mannes: „Aber, bester Garçon, Sie irren sich wohl! Drei Portionen Thee, drei Beefsteaks mit Salat, eine Flasche Bordeaux, drei Chocoladen mit Backwerk und Logement und drei Gulden sechsunddreißig Kreuzer? Nein, nein, das ist wohl nicht möglich!“

„Erlauben, mein Herr, werde den Oberkellner fragen!“

Und der Oberkellner in eigner Person erscheint. „Habe sehr um Entschuldigung zu bitten, mein Herr! Es ist eine unverzeihliche Verwechselung vorgegangen; die Rechnung ist für jenen Herrn im Nebenzimmer, der eben im Vorübergehen mit seinen Damen eine Chocolade eingenommen hat.“

„Ja. ja, habe mir so Etwas denken können. Aber bitte nun, was habe ich zu zahlen? Ich brauche keine schriftliche Rechnung.“

„Aber, mein Herr, Sie erinnern sich doch, daß ich gestern in der Nothwendigkeit war, Sie abzuweisen, daß wir keinen Platz –“

„Freilich, freilich, Bester! Hab’s genug gehört, bin aber erfahren in solchen Dingen, kenn’ es, wie die Herren Portiers und Oberkellner Ausflüchte

  1. Der Name des Mannes hat einen ehrenvollen Klang weit über die Grenzen seines Landes hinaus, soll aber hier, wo wir den würdigen Herrn in wenig beneidenswerther Verlegenheit erblicken, nicht genannt werden.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_639.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)