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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Sieg ward durch diese entscheidenden Vorgänge unverzüglich herbeigeführt. Was von den Franzosen noch die Waffen trug, ward in der noch kochenden Wuth des Kampfes zusammengehauen; der Ueberrest erhielt Pardon, welchen nur der Capitain, der, gezwungen sein Ehrenwort brechend, die Vertheidigung geleitet hatte, anzunehmen verschmähte.

Es war kurz nachher, als der zum letzten Male siegreiche Schill dem zur gelegenen Zeit genahten Helfer mit kräftigem Druck der Hand seinen Dank, seine Anerkennung aussprach und dieser, hingerissen von seiner Begeisterung für Denjenigen, dessen überraschende und glückliche Handstreiche, dessen treue Hingebung für seinen König ihn so bald zum Liebling des Volkes gestempelt hatten, ihm seinen Arm und mit diesem alle Hülfsquellen seines Geistes zur Verfügung stellte. Schill nahm freudig dies Erbieten an, und Petersson trat unter seinem früheren Rang in preußische Dienste. Man nahm die vorhandenen Kriegsbedürfnisse und Vorräthe in Augenschein und ihr reichlicher Befund mochte wohl in der Seele des preußischen Anführers die so hartnäckig in ihm festgewurzelte Idee, sich in Stralsund zu behaupten, mit verstärkter Macht rege machen. Aber die Festung lag darnieder, war vernichtet und der nachsetzende Feind ihm auf den Fersen; es war nicht denkbar, die schützenden Wälle und Bastionen unter den die grösste Eile gebietenden Verhältnissen wieder herzustellen.

„Wenn es sich nur darum handelt,“ rief Petersson mit blitzenden Augen, „so verpflichte ich mich auf Ehrenwort, falls ich über die nöthigen Mittel und Arbeitskräfte gebieten kann, in kürzester Frist, ja im Zeitraum einer Woche, die Festungswerke vollständig aufzurichten.“

Schill erfaßte begierig diesen Vorschlag, und von jetzt an begannen für den Lieutenant Petersson Tage rastlosen Wirkens, einer nie ermüdenden Thätigkeit, die, wenn sie hinterher auch nicht von dauernden Erfolgen gekrönt wurde, doch das Talent und die Thatkraft dieses Mannes bewundern läßt, der die zertrümmerten, geschleiften Verschanzungen fast gänzlich neu wieder aufrichtete. Auf das Innigste vertraut mit jeder Einzelheit der Fortification, wie sie unter den Schweden hier gewesen, konnte er den ursprünglichen Plan getreu wieder herstellen. Bald starrten Palissaden drohend empor, die Gräben wurden ihres Schuttes entleert, die Wälle mit ihren Brustwehren wuchsen wie durch Zauberschlag in die Höhe; die Thore, auf die das meiste Augenmerk der Vertheidigung sich richtete, waren nach Verhältniß größtentheils schon trefflich befestigt. Alle diese Dinge in’s Werk zu setzen waren zahlreiche Kräfte aufgeboten worden. Tag und Nacht ging die Arbeit mit ungeheuerer Anstrengung ohne Unterbrechung fort: Hunderte von herbeorderten Landleuten und Tagelöhnern waren im Verein mit der Mannschaft beim Schanzen thätig; Schaufeln und Hacken ruheten nimmer, während unzählige Karren nach allen Richtungen hin sich kreuzten. Auch mancher müßig einherschlendernde Bürger sah sich durch die entblößte flache Säbelklinge des preußischen Befehlshabers zur Mitwirkung an diesem Schaffen genöthigt, dessen schleunigste Förderung diesem freilich vor allen Dingen nothwendig erscheinen mußte.

Gleich zu Anfang hatte Schill vermittelst Proclamation Pommern, als durch ihn den Franzosen entrissen, für die Krone Schweden in Besitz genommen erklärt und erließ in diesem Sinne zahlreiche, durch seine eigenthümliche und verzweifelte Lage gebotene Verordnungen und Anforderungen an die Stadt und das Land, die freilich den Betreffenden ihrerseits mitunter strenge und ungerechtfertigt erscheinen mußten. Der Landsturm der Provinz wurde schleunigst aufgeboten, Ausbleibende mit Todesstrafe bedroht und alle früher in schwedischem Dienst gewesenen Mannschaften sich zu stellen beordert. Auf dem Rathhause, wo Schill eine ständige Commission von Officieren und Mitgliedern des Rathes errichtet hatte, kam es oft zu stürmischen Auftritten, da manchem Verlangen, das für die Wohlfahrt der Stadt bedenklich erschien, nicht ohne Weiteres entsprochen werden konnte, und gewiß war es nur natürlich, daß die Einwohner zum überwiegenden Theil nicht von kriegerisch freudiger Zuversicht beseelt waren, vielmehr mit angstvoller Besorgniß der nächsten Zukunft entgegen sahen. Handelte es sich doch für sie, die gleichsam zwischen zwei Feuern sich befanden, wahrlich um nichts Geringes, wenn ein zur rächenden Vergeltung aufgestachelter Feind sich der Stadt bemächtigte. Auch die meisten der Officiere Schill’s, welche für Einschiffung nach England oder für ein offenes Feldtreffen stimmten, waren unzufrieden mit dem sonst vergötterten Anführer, der keines Rathes achtete.

Petersson theilte nicht diese Stimmung; ganz in seinem Wirken aufgegangen, sah er in dessen Fortschreiten die Bürgschaft des Gelingens. Mit seiner Familie verkehrte er nur auf kurze Momente, und die treue Gattin hätte nimmer durch Kundgebung eines besorgten Kleinmuths dieses muthige Vertrauen trüben mögen.

So war die letzte Entscheidung des blutigen Dramas, dessen Hergang und Hauptmomente bekannt genug sind, um eine weitläuftige Schilderung derselben hier am Orte überflüssig erscheinen zu lassen, nach längerem Drohen aus der Ferne jetzt herangenaht. Voll höchster Aufregung und Spannung war die Nacht, welche dem letzten Maitage voranging, vom Lärm der Trommeln, vom wechselnden Signalruf der Hörner durchklungen, und während an lodernden Wachtfeuern aus muthigen Kehlen die Schlachtgesänge deutscher Dichter erschallten und Kampfeslust jede Brust der preußischen Krieger höher schwellen ließ, genossen auch wohl wenige der Einwohner Stralsunds eines sorglosen Schlafes. Der Morgen war vorgerückt und mit ihm die Massen des Feindes, der in dunkel drohenden Linien von drei Seiten her sich langsam heranzog, enger stets die Stadt einzuschließen.

Nicht lange mehr, und der Kampf entbrannte heiß und mörderisch an den Thoren im Westen und Süden. Die Schill’schen bewährten ihren alten Ruhm der Tapferkeit glänzend auf’s Neue; die Feinde wichen, zurückgeschlagen, eine Strecke hinterwärts; die Kanonen der Gegner hatten ihre Vorderreihen gelichtet. Der ungestüme Muth, der die deutschen Herzen entflammte, drängte ungeduldig, aber vom Willen des Befehlshabers gefesselt, in’s Freie, zum Ausfall, zum Hervorbrechen aus den beengenden Schranken. Das Zeichen zum Kämpfen erharrend hielt die Reiterei auf ihren Pferden müßig auf dem Alten Markte, dem Knieperthore im Norden zunächst, auf welches sich das Hauptcorps der feindlichen Streitmacht von linksher über sumpfigen Wiesengrund, einer Lawine gleich, unaufhaltsam näher und näher herzuwälzte.

Doch wer vermöchte das Bild des bald an allen drei Thoren wüthenden Streites, den bis zur Wuth gesteigerten Heroismus der Schill’schen Kämpfer, ihre fast übermenschlichen Anstrengungen anschaulich genug in Worten wieder zu geben? Sie erlagen der Uebermacht, der Enge des Raumes, der Zersplitterung ihrer Kräfte, die, im Einzelnen gewaltig und staunenswerth wirkend, doch der leitenden Einheit ermangelten, durch das Terrain bedingt, ermangeln mußten.

Und als schon Alles verloren, als Schill gefallen war und sich die holländischen und dänischen Soldaten in alle Straßen ergossen, wehrte sich noch ein geringer Rest der Seinen, vom altersgrauen Thurme des Knieperthores aus, gegen die erdrückende Uebermacht, bis auch der Letzte von ihnen sterbend dahin sank. Hier, am Fusse jenes Thorthurmes, wo eine Schwadron abgesessener Cavalerie, mit Gewehren ausgerüstet, unter dem Befehl eines Hauptmanns die Besatzung verstärkt hatte, war es auch, wo Petersson nicht minder tapfer als jene gefochten. Er ward gefangen, fand jedoch, einen günstigen Zwischenfall gewandt benutzend, der Schnelligkeit seines treuen Rosses vertrauend, Gelegenheit zu entschlüpfen. Man behauptet, daß er ohne Zweifel bei der herrschenden Verwirrung auf Wegen nach aussen hin sich hätte retten können; aber wer, dessen Geist, von der langen Blutarbeit benommen, der Klarheit entbehrt, ist fähig in solchen Augenblicken stets den allein sichern Ausweg besonnen zu erfassen? Vom Instincte des Herzens getrieben suchte Petersson den Schutz seines Hauses, nachdem er, an der Ecke vom Pferde abgesprungen, diesem die Zügel über den Hals geworfen hatte. Niemand war seiner gewahr geworden von draußen, aber die sich ausbreitenden Verfolger drängten auch bis hierher nach, sich um jeden Preis des schädlichen Feindes zu bemächtigen. Man erkannte das Thier, das er geritten, und die von Grimm entflammten Soldaten stürzten in das Haus hinein. Sie suchen wie die lechzenden Spürhunde, sie durchstöbern die Kammern, die Gemächer – sie finden nichts. Aber es sind Frauen da, die Mutter, die Gattin des Gesuchten; von ihnen wird man das Geständniß seines Aufenthaltes erpressen können. Muthig und standhaft unter den Drohungen versichert das jüngere Weib seinen Aufenthalt nicht zu wissen; die alte Frau zittert erblassend unter den hochgeschwungenen Säbeln ihrer Dränger. Sie stoßen sie in ein Nebengemach, schütteln die Geängstigte an den Schultern. Die Schwache, den ermuthigenden Blick ihrer Schwiegertochter

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